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Standpunkt

Der lange Weg zu weniger Plastikmüll

Melanie Bergmann ist Meeresbiologin am Alfred-Wegener-Institut, dem Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. Sie begleitete die Verhandlungen um ein UN-Plastikabkommen, die im November 2023 in Nairobi stattfanden. Bild: AWI

Jedes Jahr werden weltweit mehr als 460 Millionen Tonnen Plastik produziert. Davon landen zwischen 19 und 23 Millionen Tonnen pro Jahr als Müll in Gewässern – das entspricht fast zwei Lkw-Ladungen pro Minute. Ein internationales Abkommen zur Eindämmung von Plastikmüll ist dringend nötig, meint die Meeresbiologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut.

Plastik in der Umwelt ist eine gesundheitliche Belastung für sehr viele Organismen in den Ozeanen, an Land und auch für uns Menschen. Wir gehen heute davon aus, dass weit über 13.000 verschiedene Chemikalien mit Plastik assoziiert sind. Rund ein Viertel davon wirkt nachgewiesenermaßen schädlich. Von den restlichen drei Vierteln wissen wir noch gar nicht, ob sie unbedenklich sind oder nicht. Eine aktuelle Studie schätzt, dass durch Plastik jährlich allein in Bezug auf den Menschen mindestens 250 Milliarden Dollar an Kosten für die öffentliche Gesundheit entstehen. Und die Schäden für die Ökosysteme – etwa durch Plastikmüll in den Ozeanen – sind so groß, dass wir sie kaum beziffern können.

Wir müssen also dringend handeln und ein internationales Abkommen zur Eindämmung von Plastikmüll erreichen. Wissenschaftliche Berechnungen haben gezeigt, dass der allerwirksamste und kostengünstigste Hebel eine Reduktion der Plastikproduktion ist. Denn effektiveres Recycling kann bestenfalls ein Baustein sein. Den Müll im Meer einzusammeln mit Hunderten von Schiffen und Netzen – man denke an das bekannte Projekt „The Ocean Cleanup“ – wäre technisch kaum umsetzbar, würde viel CO2 ausstoßen und durch den Beifang von Meeresorganismen zusätzlichen Druck auf die Ökosysteme ausüben. Es ist also viel besser, wenn das Plastik gar nicht erst dorthin gelangt.

Im November tagten Vetreter:innen von rund 170 UN-Staaten in der kenianischen Hauptstadt Nairobi, um genau darüber zu verhandeln. Das Ergebnis ist leider sehr ernüchternd. Es haben sich zwei Blöcke herauskristallisiert, die sehr unterschiedliche Vorstellungen von einem solchen Abkommen haben. Staaten mit einer starken fossilen oder petrochemischen Industrie wie Russland, Saudi-Arabien und Iran bremsen den Prozess stark aus und befürworten lediglich freiwillige nationale Maßnahmen. Dagegen streben die über 60 Staaten der sogenannten „High Ambition Coalition“ sehr viel weitreichendere Veränderungen an. Dazu gehören auch Produktionssenkungen und eine vereinfachte chemische Zusammensetzung, um einen Kreislauf für unverzichtbare Plastikprodukte überhaupt erst zu ermöglichen. Denn der erwähnte Cocktail von 13.000 Chemikalien, die sich häufig nicht miteinander vertragen und gar nicht deklariert werden, steht einem effektiveren Recycling im Wege. Hinzu kommen noch unbekannte Chemikalien, die im Produktionsprozess entstehen.

Darüber hinaus ist der Lobbydruck noch stärker geworden: Die Anzahl von Industrievertreter:innen allein aus dem fossilen und petrochemischen Sektor ist im Vergleich zur vorherigen Runde um 36 Prozent gestiegen und übertrifft nun die zusammengenommene Zahl der Verhandlungsführer:innen der G7-Länder.

Die verhärteten Fronten haben dazu geführt, dass man sich auch auf kein Mandat für „intersessional work“, also weiterführende Arbeiten zwischen den Verhandlungsrunden, einigen konnte. Das gefährdet das Ziel, die Verhandlungen bis 2024 mit einem Abkommen abzuschließen, massiv. Dennoch ist es vielleicht besser, eine zusätzliche Verhandlungsrunde mit einem guten Ergebnis zu haben als einen schnellen, aber dafür weniger weitreichenden Kompromiss, den man später kaum noch korrigieren kann.

Es bleibt zu hoffen, dass die Staaten auch ohne Mandat für „intersessional work“ informell weiterarbeiten und so den Weg für weiterführende Verhandlungen nächstes Jahr in Ottawa ebnen.

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