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5 Fragen an… Inge Hinterwaldner

Der Internetkunst auf der Spur

Inge Hinterwaldner erhält bis zu zwei Millionen Euro für ein Forschungsprojekt zu digitaler Kunst (Bild:Bernd Seeland).

Viele digitale Kunstwerke liegen im Internet nahezu komplett im Verborgenen. Sie aufzuspüren hat sich Inge Hinterwaldner vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) zur Aufgabe gemacht und für ihre herausragende Forschung einen ERC Consolidator Grant in Höhe von knapp 2 Millionen Euro erhalten.

Frau Hinterwaldner, Ihr Forschungsschwerpunkt sind computerbasierte und im Internet aufzuspürende künstlerische Artefakte. Was kann man sich darunter vorstellen?

Als Kunsthistorikerin interessiere ich mich für Artefakte, das heißt komponierte Konfigurationen, die auf besondere Weise eine Aussage produzieren und damit einen kulturellen Wert haben. Die Artefakte sind ganz unterschiedlich. Es können Inhalte auf Webseiten sein. Es können Computerprogramme sein. Oder Viren. Es können Darstellungen im Programmcode sein. Oder auch codierte Botschaften in anderen Dateien, was dann auch die Kryptograf:innen interessiert. Diese Artefakte aufzuspüren, ist nicht ganz einfach. Denn solche Arbeiten muss man zunächst als solche erkennen, sie sind meistens keine reinen Bilder. Sehr oft sind sie operativ. Da tut sich was. Sie sind massiv vernetzt. Und mich interessieren eben die Arbeiten, die wir nicht einfach in den kommerziellen Browsern auf der Website finden. Mich faszinieren stattdessen solche, die auf verschiedenste Weise entzogen sind. Es kann sein, dass die Kunstschaffenden sie explizit irgendwo hineingesteckt haben. Etwa um die Topologie dieses digitalen Netzes zu explorieren, das ja ein hochdimensionales Gebilde ist. Um sich damit Orte zu erobern, die für Kunst nicht vorgesehen waren. Und das lässt sich nicht einfach so mit einem Screenshot einfangen.

Wie findet man diese nun auf?

Dazu habe ich im Vorfeld neun Kategorien entwickelt, wie ein kultureller Ausdruck im Internet entzogen sein kann. Ein Beispiel ist ASCII Art, bei der eine visuelle Konfiguration im Programmcode versteckt ist. Ein Artefakt kann aber auch dadurch entzogen sein, weil es zu gefährlich scheint. Es kann sich also hinter der Warnmeldung eines Webbrowsers quasi in Quarantäne befinden. Da haben schon mal 90 Prozent der Leute keine Lust mehr, sich darauf einzulassen. Oder es gibt auch Arbeiten, die nur in bestimmten online Communities zirkulieren. Das heißt, sie sind nicht öffentlich zugänglich, sondern verbleiben bei den jeweiligen Interessensgruppen – seien es nun Java-Programmierer:innen oder die Fangemeinde eines Computerspiels.

Wie genau finden Sie nun die Artefakte im Internet?

Die Kategorien der Entzogenheit dienen mir dazu, die Kunstwerke gezielt zu suchen. Für deren Analyse brauchen wir forensische Software-Tools – und das ist ungewöhnlich für die Geisteswissenschaften. Diese Werkzeuge erlauben uns, den Code zu inspizieren und Netzwerkanalysen zu betreiben. Denn programmierte Arbeiten haben eben nicht nur eine den Sinnen zugewandte Oberfläche, sondern auch ein Gestaltungsmoment auf der Ebene des Codes.

Als weitere Methode setzen wir auf Crowd Sourcing – insbesondere dann, wenn es um Communities geht. Wir werden Interviews führen und evaluieren. Die helfen uns dann bei der weiteren Suche. Ich will auf Leute in verschiedenen Zirkeln zugehen und über sie Kontakte multiplizieren und Neues erschließen. Einfach weil sie sich erinnern, dass es da in ihrem Umfeld noch die eine oder andere Arbeit gibt, die wirklich außergewöhnlich ist. Dabei ist mir eines sehr wichtig. Wann immer jemand sagt: Das wollte ich verstecken und das soll nicht in die Öffentlichkeit. Das akzeptieren wir natürlich. Wir wollen auf keinen Fall in die Privatheit vorstoßen und Rechte verletzen.

Und wer profitiert am Ende von dieser Forschung?

Die ganzen Fundstücke sortieren wir dann in eine Datenbank ein. Und wir schreiben auch immer mit, wie wir etwas gefunden haben. Damit haben wir dann eine Richtlinie oder einen Wegweiser. Wir entwickeln also Strategien, um etwas zu finden, das nicht so leicht zu finden ist. Von den sehr vielen Arbeiten, die wir hoffen ausfindig zu machen, werden wir einige tiefer analysieren. Und von diesen werden wir wieder eine Auswahl treffen, um das Herzstück des Projekts voranzutreiben. Wir möchten nämlich das Methodenrepertoire für die Geisteswissenschaften weiterentwickeln, die sich mit programmierten Kunstwerken beschäftigen. Und zwar in die Richtung Visualisierung. Diese Arbeiten sind nämlich hochkomplex. Wir haben sehr, sehr viele Ebenen, viele Facetten, die zu berücksichtigen sind. Um ihr Zusammenwirken zu verstehen und auch Ebenen des Vergleichs zu haben, brauchen wir Mittel, um uns das plastisch vor Augen zu führen.

Kunstgeschichte und Computercode ist eine nicht gerade alltägliche Kombination. Wie sind Sie dazu gekommen?

Zunächst muss ich sagen, ich hatte sehr viel Glück. Ich genoss eine klassische Ausbildung in Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck. Da gab es Gottfried Kerscher, der als Lehrbeauftragter schon 1998 ein Seminar zur Internetkunst angeboten hatte. Man muss sich vorstellen, Internetkunst war 1997 erstmals bei der Documenta in die Öffentlichkeit getreten – und da schon für tot erklärt. Für viele Netzkünstler:innen war die Assimilation der online Kunst durch Kulturinstitutionen ein rotes Tuch. Im Kurs waren wir angehalten, ein Kunstwerk im Internet zu finden und zu beschreiben. Und ich bin gescheitert. Ich habe eine Designerwebseite beschrieben. Ich hatte keine Parameter, um zu bestimmen, was ist hier künstlerisch und was nicht. Gerade dieses Scheitern aber hat mich angestachelt. Ich habe mich entschlossen, meine Dissertation über bildliche Phänomene zu schreiben, die so nicht ohne Computer zu haben waren. Seit dem Jahre 2000 befasse ich mich intensiv mit programmierter Kunst. Das beinhaltet auch Protoformen von Programmierung. Also nicht nur Arbeiten in Von-Neumann-Maschinen, auf deren Basis fast alle modernen Computer funktionieren. Sondern alles, wo sich Kunstschaffende ein Regelwerk ausdenken und danach etwas ablaufen lassen. Solche Prozesse der Programmgestaltung sind auch ganz zentral für meine Erforschung dieser Arbeiten.

Wie haben Sie sich auf den ERC Consolidator Grant vorbereitet?

Es wird empfohlen, dass man ein halbes Jahr zur Vorbereitung des Antrags einplant. Die Zeit hatte ich nicht. Aber es war meine letzte Möglichkeit, mich auf den Grant zu bewerben. Danach hätte ich das akademische Alter überschritten. Ich habe also schon ein paar Jahre Forschung hinter mir. Und darauf konnte ich natürlich aufbauen. Den Antrag habe ich dann innerhalb von fünf Wochen geschrieben. Was sehr sportlich ist. Und was ich niemandem empfehlen würde. Das geht wirklich nur, wenn man nicht von null startet. Wenn man also schon Ideen angehäuft hat und den Forschungsstand sehr gut kennt. Die Antragsphase war also sehr intensiv. Kolleginnen und Kollegen, die schon einen Grant gewonnen hatten, habe ich zum Beispiel bekniet, mir einen Einblick in ihren Antrag als Best Practice  zu gewähren. Die arbeiten natürlich zu ganz anderen Bereichen. Aber nichtsdestotrotz hilft das zum Beispiel dabei, einen Arbeitsplan aufzustellen. Dann habe ich so viele Kolleginnen und Kollegen wie möglich um Feedback gebeten. Sie sollten meinen Antrag so lesen, als wenn sie Schwachstellen finden müssten. Also möglichst kritisch. Ich habe es zeitlich dann noch hinbekommen, dass ein englisches Lektorat drüberliest und habe dann alles eingetütet.

Und dann stand das Interview an. Wie lief die Vorbereitung auf diesen zweiten Teil ab?

Die war bei mir noch intensiver. Ich habe damit begonnen, die Fragen zu antizipieren; sie mir aufzuschreiben; und dann habe ich mich auf zwei offizielle Trainingssessions beworben. Da muss man auch ein bisschen kämpfen, dass man dort reinkommt. Denn selbst das Training ist hoch kompetitiv. Eines war von der NKS, also der Nationalen Kontaktstelle, die an das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt gekoppelt ist. Das zweite war von Helmholtz. Beide Trainings waren essenziell für mich. Das erste hat vor allem darauf geachtet, wie man wirkt – also auf die Körpersprache, auf die Ausleuchtung, auf den Hintergrund. Und beim zweiten waren wir aufgefordert, Spezialist:innen für unser Feld einzuladen. Die haben dann echte Fragen gestellt. Es war wichtig zu verstehen, dass es in der Fragerunde wie bei einem Computerspiel ist. Es ist sehr zeitkritisch. Man weiß ja vorher nicht, wie viele Fragen kommen. Die Antworten müssen also so kurz und so prägnant wie möglich sein. Auch das KIT hat intern mehrere Sitzungen von ERC Grantees organisiert. Die haben erzählt, wie sie sich vorbereitet haben. Wie sie es erlebt haben. Es gibt ja nun noch nicht so viele, die dieses Interview online geführt haben. Das hat schonmal sehr geholfen. Dann habe ich meinen Pitch ein paar Mal umgeschrieben. Zuerst war er zu negativ konnotiert. Zu problembetonend. Aber er muss zu fliegen beginnen. Denn das ist ja die Werbung für mein Thema. Ich habe auch sehr lange an meinen drei Folien gefeilt. Natürlich habe ich meine Fragenliste immer mehr erweitert. Am Ende hatte ich 150 Karteikärtchen mit Fragen plus deren Antworten. Die bin ich immer wieder durchgegangen. Und ich glaube, so ungefähr sechs Wochen lang habe ich jeden Tag etliche Stunden damit verbracht, das Interview vorzubereiten. Auch das war eine sehr intensive Zeit.

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