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Schwarze Löcher

Den Vielfraßen auf der Spur

Mit ihrem andauernden Hunger bringen schwarze Löcher die Wissenschaft schon lange in Erklärungsnot. Dresdner Forschern lässt das keine Ruhe

Wie die gefräßigsten Ungetüme im Universum sich ihr Futter einverleiben, war lange Zeit ein Rätsel: Sie verschlingen wahllos alles, was ihnen zu nahe kommt. Und je mehr sie vertilgen, desto größer wird ihr Hunger. Ihre gewaltige Masse zieht alles an - Sterne, Planeten, sogar Licht -, und wenn sie zunehmen, wächst auch ihre Anziehungskraft weiter.

Physiker nennen diese Vielfraße, die die milliardenfache Masse unserer Sonne in sich vereinen können, Schwarze Löcher. Frank Stefani ist ihnen von seinem Büro im Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) auf der Spur. Mit seinem Forschungsthema, der Magnetohydrodynamik, beschäftigt sich der promovierte Physiker seit 17 Jahren. Und ist immer noch begeistert: Mit ausladenden Gesten erklärt er seinen Besuchern physikalische Zusammenhänge - so lange, bis alle Fragenzeichen in den Gesichtern verschwunden sind. Mit seinem Team ist ihm gerade ein Durchbruch gelungen. "Wie die Materie überhaupt ins Schwarze Loch kommt, war eines der großen Rätsel der Astrophysik", sagt Stefani. Die angezogene Materie nämlich falle nicht einfach so ins Schwarze Loch; stattdessen wirbele sie in einer flachen Struktur, der Akkretionsscheibe, um das Schwarze Loch herum.

Magnetfeld-Experte: Frank Stefani erforscht an flüssigem Metall, wie Magnetfelder entstehen. Bild: Andreas Fischer

Auf den ersten Blick erinnert das beschriebene Szenario Laien an einen riesigen Abfluss, aber ganz so einfach sei es dann doch nicht: "Dabei mischen Magnetfelder entscheidend mit. Sie können die eigentlich stabilen Rotationsströmungen destabilisieren und so Turbulenzen verursachen", sagt der 51-jährige Stefani. Soweit kommen seine Zuhörer noch mit. Dann aber wird es komplizierter: "Diese so genannte Magneto-Rotationsinstabilität ist für elektrisch gut leitfähige Bereiche in Akkretionsscheiben gut verstanden. Völlig unklar ist hingegen, ob und wie sie in schlecht leitfähigen Gebieten funktioniert." Für Nicht-Physiker formuliert bedeutet das: Die Magnetfelder in den Schwarzen Löchern wirken auch dort, wo sie es nach bisher bekannten physikalischen Gesetzen gar nicht dürften. Warum, das wollten die HZDR-Forscher mit ihren Experimenten erklären. Dass er viel erklären muss, wenn er über seine Forschung spricht, daran hat sich Stefani längst gewöhnt: Für Besucher hat er eine 30-minütige Präsentation vorbereitet, damit sie zumindest eine Ahnung von dem bekommen, was er macht. Wenn Stefani zum Vortrag anhebt, beschreibt er zunächst, wie Magnetfelder entstehen: Zum Beispiel erzeugen schraubenförmige Strömungen im flüssigen Eisenkern der Erde ein Magnetfeld. Diese Selbsterregung nennen die Forscher Dynamoeffekt; er ließ sich nach drei Jahrzehnten der Vorbereitung erstmals 1999 mit Hilfe von flüssigem, über 120 Grad heißem Natrium in Laborexperimenten in Riga und Karlsruhe nachweisen. Auch Stefani und sein Team waren daran beteiligt. Das Rigaer Dynamoexperiment beschreibt, wie Magnetfelder im Kosmos entstehen. "Kosmische Magnetfelder werden durch den Dynamoeffekt erzeugt und spielen eine erstaunlich aktive Rolle in der kosmischen Strukturbildung", sagt Stefani.

Das ist die Verbindung von Stefanis Magnetfeld-Forschung und den Schwarzen Löchern. Die angepeilte halbe Stunde des Vortrags ist längst verstrichen, als er plötzlich aufspringt und aus dem Zimmer läuft. Er muss seinen Besuchern jetzt unbedingt etwas zeigen. Das Buch, mit dem er zurückkommt, handelt von magnetischen Prozessen in der Astrophysik und ist unter Magnetfeld-Experten ein Bestseller. Ein Foto seiner Versuchsanlage hat es bis auf die Titelseite geschafft. "Das macht einen schon ein bisschen stolz", sagt er mit einem Strahlen im Gesicht.

Die Anlage auf dem Bild sieht aus, als hätte jemand einen Gartenschlauch um einen aufrecht stehenden Metallzylinder gewickelt. Anhand seiner Folien erklärt Stefani, dass sich im Innern des Zylinders noch ein weiterer, kleinerer Zylinder befindet, durch den in der Mitte ein Kupferstab verläuft. Der Raum zwischen den Zylindern ist mit einer Legierung aus Gallium, Indium und Zinn gefüllt - ein Metallgemisch, das bereits bei Raumtemperatur flüssig ist. Dreht sich der kleine Zylinder um den Stab, versetzt er das Gallium in Rotation. Fließt gleichzeitig ein elektrischer Strom, bildet sich im rotierenden Metall ein kreisförmiges Magnetfeld. Ein äußeres, vertikales Magnetfeld kommt hinzu, wenn auch noch der vermeintliche Gartenschlauch, in Wirklichkeit eine elektrische Spule, unter Strom steht. Dieses Experiment stellt die Vorgänge nach, die in einer Akkretionsscheibe ablaufen. Entscheidend ist nun die Strömung im flüssigen Metall, die von Ultraschallsensoren exakt gemessen wird. Stefani und sein Team konnten dabei Instabilitäten in der Strömung beobachten - ganz so, wie sie auch Schwarze Löcher in ihren Akkretionsscheiben brauchen, um die Materie allmählich ins Zentrum ziehen und schließlich schlucken zu können. "Ab einer bestimmten Stromstärke im Stab wandern Wellen durch das flüssige Metall", sagt Stefani. "Diese Wellen sind eine Folge der Magneto-Rotationsinstabilität."

Und genau das war der gesuchte Beweis. Damit war den HZDR-Forschern in Zusammenarbeit mit Kollegen vom Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam der weltweit erste experimentelle Beleg dieses physikalischen Phänomens gelungen. Stefani vermutet, dass der Dynamoeffekt und die Magneto-Rotationsinstabilität - kurz MRI - möglicherweise viel enger miteinander verknüpft sind als bisher angenommen. "Die Akkretionsscheibe rotiert innen schneller als außen und kann das Magnetfeld aufwickeln, das dann die MRI antriggert, die wiederum Magnetfelder erzeugt, die dann aufgewickelt werden und so weiter", sagt Stefani und fügt schmunzelnd hinzu. "MRI und Dynamoeffekt: Das ist im wahrsten Sinne des Wortes eine total verwickelte Geschichte!" Durch die MRI gibt die Materie in den inneren Bereichen der Scheibe einen Teil ihres Drehimpulses nach außen und wird dadurch abgebremst. Als Folge davon wandert sie noch weiter nach innen, bis sie schließlich auf einer schraubenförmigen Bahn das Schwarze Loch erreicht und von diesem einverleibt wird.

Mit seinen experimentellen Nachweisen magnetischer Phänomene ist das HZDR auch international erfolgreich - und das, obwohl die Dresdner Forschungseinrichtung vergleichsweise klein ist. Stefanis nächstes Großprojekt wird den Erddynamo, also die Selbsterregung des Erdmagnetfeldes, genau unter die Lupe nehmen. Unter dem Namen DRESDYN - DREsden Sodium facility for DYNamo and thermohydraulic studies - entsteht in Rossendorf eine Versuchsanlage, die 8.000 Liter flüssiges Natrium fasst. Sie soll in zwei verschiedene Richtungen rotieren können und so die Erdrotation nachahmen: um die Erdachse herum und zusätzlich die Rotation der Erdachse selbst. Letztere wird Präzession genannt. "Präzession ist sicher nicht die einzige Energiequelle des Erddynamos, aber einen Einfluss auf die Erzeugung des Magnetfeldes gibt es mit großer Sicherheit", sagt Frank Stefani. So wird er seinen Besuchern auch künftig viel erklären müssen.

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