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Interview zur Raumfahrt

„Das Schwierigste? Russisch lernen!"

Alexander Gerst beim Training für seine Expedition ins All. Foto: NASA

Ein halbes Jahr lang lebt und arbeitet Alexander Gerst auf der Internationale Raumstation ISS. Im Interview berichtet Astronaut Gerst über Parallelen zwischen der Antarktis und dem Weltall, die Intuition von Forschern – und die Mühen des Sprachenlernens

Vor Ihrem Astronautentraining haben Sie als Geophysiker in der Antarktis geforscht. Warum wollen Sie jetzt ins All?

Ich bin Wissenschaftler geworden, weil mich das Unbekannte fasziniert. Deshalb habe ich mich auch für ein Geophysik­studium am heutigen Karlsruher Institut für Technologie entschieden. Den Welt­raum finde ich so spannend, weil die Menschheit ihn erst seit 50 Jahren vor Ort erforschen kann. Verglichen mit den Jahrtausenden, die wir Menschen die Erdoberfläche erkunden, ist die Raumfahrt eine junge Disziplin, und genau dieses Neue reizt mich.

Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Ihrer Arbeit in der Antarktis und dem Aufenthalt im All?

Antarktis und Weltall sind beides lebensfeindliche Umgebungen und schwierig zu erreichen. Und beide bieten einzigartige?Chancen für die Forschung. Ich sehe die Raumfahrt in einer ähnlichen Rolle wie die Polarforschung vor 100 Jahren. Heute gibt es viele Forschungsstationen in der Antarktis. Die dort gewonnenen Forschungsergebnisse etwa zum Klimawandel nutzen der Gesellschaft direkt. Die bemannte Raumfahrt kann sich ebenfalls in diese Richtung entwickeln und irgendwann wissenschaftliche Erkenntnisse liefern, die wir noch gar nicht absehen können. Die Polarforschung zeigt, dass wir manchmal weite Wege gehen müssen, an unwirkliche Orte, um Zusammenhänge zu erforschen, die sich direkt vor unserer Haustür abspielen.

Viele Astronauten sind ausgebildete Testpiloten – Sie kommen aus der Forschung. Was unterscheidet Sie von ihren Kolleginnen und Kollegen?

Astronaut ist für uns alle ein komplett neuer Beruf, egal ob Wissenschaftler oder Pilot. Aber die meisten Experimente auf der ISS sind auch für Nicht-Wissenschaftler bedienbar. Man ist dort als Astronaut der verlängerte Arm der Forscher am Boden. Bei 162 Experimenten, die während meiner Mission geplant sind, 40 davon allein aus Deutschland, kann man gar nicht für jedes Thema Experte sein. Viele Versuche laufen auto­matisch ab, andere müssen wir selbst durchführen. Bei denen könnte mir meine wissenschaftliche Intuition etwas nützen. Man kennt das ja aus irdischen Laboren: Manchmal fällt einem während eines Versuchs zufällig etwas auf, das die Untersuchung verbessern kann. Für solche Dinge habe ich vielleicht eher ein Auge.

Sie haben mehr als zwei Jahre für die Mission trainiert. Was war das Schwierigste?

Das Russischlernen. Verglichen damit fielen mir das Training von Außenbordeinsätzen oder die Bedienung des Sojus-Raumschiffs bei simulierten Starts und Landungen leicht. Auch auf die wissenschaftlichen Inhalte der Mission bin ich durch mein Studium am Karlsruher Institut für Technologie gut vorbereitet. Das Russische habe ich mittlerweile so gut gelernt, dass ich selbst mit meinem US-Kollegen Reid Wiseman während des Raketenstarts in Baikonur russisch sprechen werde, damit uns alle im Moskauer Kontrollzentrum verstehen. Wir beide sind auch oft zu Gast bei unserem dritten Teammitglied, Maxim Surajew. Ihn und seine Familie haben wir häufig besucht, wenn wir zum Training mal wieder im Sternenstädtchen bei Moskau waren. Dort hat sich vor mehr als 50 Jahren schon der erste Mensch im All, Juri Gagarin, auf seinen Raumflug vorbereitet.

Die Raumstation ISS hat etwa 100 Milliarden Euro gekostet. Raumfahrt­organisationen rechtfertigen die Kosten oft mit ihrer Nützlichkeit in Form von wissenschaftlichen Ergebnissen. Sind sie das Steuergeld wirklich wert?

Ich finde schon. Die Kosten verteilen sich auf viele Jahre und viele Länder weltweit. Jeder EU-Bürger zahlt pro Jahr etwa zehn Euro für die Raumfahrt, davon etwa einen Euro für die bemannte Raumfahrt. Dafür erhalten wir Erkenntnisse, die wir anders nicht erzielen könnten, zum Beispiel in der Osteoporose-Forschung oder für die Entwicklung neuer Materialien. Wir sind eine neugierige Spezies und haben schon immer unsere Umgebung erforscht. Das liegt in unserer Natur. Außerdem bietet die Raumfahrt eine einzigartige Perspektive: Die Atmosphäre ist eine unglaublich dünne Schutzschicht, deren Verletzlichkeit man von oben auf den ersten Blick erkennen kann. Die Erde ist unser aller Raumschiff, und wir haben nur eins davon. Wir sollten also gut mit ihr umgehen!

Was bedeutet das für Ihre eigene Rolle als Astronaut?

Ich möchte diese besondere Sichtweise sowohl aus dem All als auch nach meiner Rückkehr weiterverbreiten. Die Raumfahrt dient übrigens auch der Völkerverständigung, denn sie ist nur international realisierbar. Selbst in politisch unsicheren Zeiten halten die Raumfahrtnationen zusammen.

Würden Sie auch zum Mond oder zum Mars fliegen, letzteres vielleicht sogar mit einem Einweg-Ticket?

Natürlich wäre ich bei einer Mission zum Mond oder Mars sofort dabei. Ein Flug zum Mars wäre das größte Abenteuer der Menschheit, und technisch sind wir fast soweit. Es liegt nun an unserer Gesellschaft, die Entscheidung zu treffen. Von einem One-way-Ticket halte ich aber allein schon deswegen nichts, weil man der Botschafterrolle, die ich eben beschrieben habe, nur nach der Rückkehr auf die Erde gerecht werden kann.

Alexander Gerst im Web und den Sozialen Medien

Der Start der Rakete von Baikonur kann als Livestream am 28. Mai ab 20:45 Uhr verfolgt werden. Und auch den sechsmonatigen Aufenthalt von Alexander Gerst auf der Raumstation ISS kann jeder Interessierte im Web und in den Sozialen Netzwerken mitverfolgen. Gerst bloggt und berichtet auf Facebook und Twitter. Fotos und Videos gibt es auf Flickr und YouTube. Wir haben alle Links für Sie zusammen gestellt.

<b>Labor mit Aussicht</b> Die Internationale Raumstation ISS schwebt vor der dünnen Erdatmosphäre, aufgenommen vom Space Shuttle Discovery im März 2009. Foto: NASA (S119-E-010500)

Die ISS

Die Internationale Raumstation ISS fliegt in etwa 400 Kilometern Höhe mit fast 28.000 Kilometern pro Stunde über die Erde. Nicht die Höhe, sondern die große Geschwindigkeit ist der Grund für die Schwere­losigkeit an Bord. Eine Erdumrundung dauert etwa 90 Minuten, die Sonne geht an Bord daher 16 Mal pro Tag auf. Inklusive der großen Solarpanele nimmt die ISS ungefähr die Fläche eines Fußballfeldes ein. Meist arbeiten sechs Personen auf der Station. Sie wird von den USA, Russland, Europa, Kanada und Japan finanziert. Bei der Europäischen Weltraumorganisation ESA vertritt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), ein Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, die Interessen der Bundesregierung. China plant derzeit eine eigene Raumstation.

Forschung auf der ISS

Die Forschung auf der ISS konzentriert sich hauptsächlich auf Astronomie, Physik, Materialforschung, Biologie, Humanmedizin und Erdbeobachtung. Viele Versuche laufen in Experimentierschränken automatisch ab. Seit 2008 steht dafür auch Europas Forschungslabor „Columbus“ zur Verfügung, das größtenteils in Bremen gebaut wurde. Da auf der ISS fast vollständige Schwerelosigkeit herrscht, sind Experimente möglich, bei denen die Schwerkraft in einem irdischen Labor stören würde. Die Versuchs­ergebnisse werden ins Columbus-Kontrollzentrum beim DLR in Oberpfaffenhofen übertragen.

Zu bestimmten Zeiten ist die ISS mit dem bloßen Auge als kleiner weißer Punkt am Himmer finden. Anleitung zur Beobachtung der ISS

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