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Wissenschaft und Politik

Cyber-Oase mit magnetischer Wirkung

Luftaufnahme von Beer Sheva. Bild: Alexey Goral / CC-BY-SA 4.0

Immer mehr Israelis zieht es in die Negev-Wüste im Süden des Landes – und mit ihnen kommen die Hightech-Unternehmen. Vor allem die Stadt Beer Scheva entwickelt sich zu einem zentralen Hub der weltweiten Cyberindustrie. Teil 6 unserer Serie zur deutsch-israelischen Zusammenarbeit in der Wissenschaft.

Die digitale Zukunft Israels hat viel mit Hitze, Staub und Sand zu tun. In der 200.000 Einwohner zählenden Stadt Beer Scheva, rund eineinhalb Autostunden südlich von Tel Aviv, entsteht gerade inmitten der Negev-Wüste eine Cyber-Oase. Wo noch vor wenigen Jahren Kamele das Bild bestimmten, wird heute fieberhaft an Lösungen zu den großen Themen Big Data, Autonomes Fahren oder Datensicherheit gearbeitet.

Ein Beispiel ist der erst 2013 eröffnete Technologiepark Gav Yam mit einer Gesamtfläche von 200.000 Quadratmetern. Die Deutsche Telekom war einer der ersten Global Player, der dort mit einem Innovationslabor einzog. Es folgten über 70 kleinere und größere Unternehmen, darunter IT-Giganten wie Oracle, EMC, IBM sowie der Rüstungs- und Technologiekonzern Lockheed Martin. Aber auch so manches Startup findet sich in Gav Yam, wo mittlerweile mehr als 2500 Menschen arbeiten. Ihre Zahl soll sich in den kommenden Jahren verzehnfachen. Es scheint, sie alle wären mit etwas Verspätung dem Aufruf des israelischen Staatsgründers David Ben Gurion aus den 1950er Jahren gefolgt, die "Wüste zum Blühen zu bringen". Dabei dürfte es ihnen aber weniger um die Erfüllung des alten zionistischen Traums von der Besiedlung des Negevs gegangen sein. Vielmehr zeigen sie vor Ort Flagge, um die Potenziale eines äußerst kreativen Biotops anzuzapfen, der rund um das einstmals verschlafene Städtchen Beer Scheva heranwächst: Zivile und militärische Forschungseinrichtungen in unmittelbarer Nachbarschaft zu einer dynamischen Gründerszene sowie etablierten Unternehmen.

Im Bachelor zur Hälfte Frauen

Da ist zum einen die Ben-Gurion-Universität, 1969 gegründet und traditionell stark auf den Gebieten Agrartechnik und Wasserwirtschaft. Sie hat in den vergangen Jahren ihre Angebotspalette massiv ausgebaut und kräftig in die IT-bezogenen Studiengänge, Medizin oder Nanotechnologie investiert. Heute macht mehr als ein Drittel aller israelischen Ingenieure in Beer Scheva seinen Abschluss. 2009 kam beispielsweise das interdisziplinäre National Institute for Biotechnology in the Negev hinzu, das mit seinen ultramodernen Labors nicht nur Grundlagenforschung betreibt, sondern aus Ideen auch marktfähige Produkte macht. Ganz neu seit fünf Jahren: ein Masterstudiengang mit dem Schwerpunkt Cybersicherheit. "Wir fokussieren uns mit unserer Forschung auf die Bereiche Cybertechnik und Robotik, wobei die Schwerpunkte auf den Segmenten Künstliche Intelligenz und Elektrooptik liegen", fasst Professor Rivka Carmi, seit 2006 Präsidentin der Ben-Gurion-Universität, die Zielsetzung zusammen. "Genau dieser Ansatz wurde dann auch zum Impulsgeber für die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre." Eine weitere Besonderheit: Rund die Hälfte aller BA-Studierenden in den MINT-Fächern sind heute Frauen.

Bild: Ben Gurion-University of the Negev

Geradezu symbolisch wird die Verbindung zwischen akademischer Theorie und wirtschaftlicher Praxis durch die 210 Meter lange Fußgängerbrücke, die die Universität mit dem benachbarten Technologiepark verbindet. Sie erinnert nicht nur rein zufällig optisch an eine Doppel-Helix-Struktur, weshalb sie auch für ihr Design 2017 in Berlin mit dem renommierten Footbridge Award ausgezeichnet wurde. Des Weiteren befindet sich hier auch der Sitz von Israels 2011 ins Leben gerufenem National Cyber Bureau. Aber nicht nur das. Die Armee hat gerade mit dem Bau eines 150.000 Quadratmeter großen Campus für ihre eigenen Hightech-Einheiten begonnen. 5.000 Militärangehörige, vor allem Nachrichtendienst- und Cybersicherheitsexperten, werden dort bald stationiert sein. Das Investitionsvolumen: zwei Milliarden Euro.

Ein Camp mit den Ausmaßen einer Kleinstadt

All das geschieht im Rahmen eines ebenfalls 2011 beschlossenen Masterplans, der die Verlagerung eines Großteils der militärischen Infrastruktur aus anderen Regionen des Landes in den Süden vorsieht. Kernstück des Ganzen ist die Errichtung von Ir HaBahadim, auch Camp Ariel Sharon genannt, einem unweit von Beer Scheva gelegenen Militärkomplex mit den Ausmaßen einer Kleinstadt. Nach Fertigstellung dieses knapp zehn Milliarden Euro teuren Vorhabens soll diese rund 15.000 Soldaten beherbergen – darunter die Angehörigen der legendären Unit 8200, der für die elektronische Aufklärung zuständigen Einheit, aus deren Umfeld in der Vergangenheit so manche erfolgreiche Unternehmensgründung hervorging.

Die Nähe von Universität, Wirtschaft und Militär ist von staatlicher Seite durchaus erwünscht. Schließlich repräsentieren die Experten aus den Hightech-Einheiten der Armee einen Brain Pool, um den sich Unternehmen in aller Welt reißen. Genau deshalb hatte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu bereits 2014 die Ziele für dieses Projekt abgesteckt. "Beer Scheva wird nicht nur die Cyber-Hauptstadt Israels, sondern einer der wichtigsten Orte in der Welt, wenn es um Cybersicherheit geht." Auf diese Weise soll die Abwanderung der Spezialisten auf diesem Gebiet verhindert werden. Das Konzept dahinter: Nach Beendigung ihres Wehrdienstes finden die Ex-Soldaten in unmittelbarer Nachbarschaft optimale Studienbedingungen und interessante Arbeitgeber. "Wir wollen genau diese Talente ansprechen", bringt es denn auch Maya Hofman-Levy vom EMC/RSA Center of Excellence in Gav Yam auf den Punkt. Zudem ist auf diese Weise ein Ökosystem entstanden, das ebenfalls für Startups ein hervorragender Nährboden ist. Die Rahmenbedingungen in Beer Scheva und dem Umland sind kaum vergleichbar mit der Küstenebene rund um Tel Aviv. Die Infrastruktur ist hochmodern, es gibt steuerliche Anreize und die Lebenshaltungskosten fallen deutlich geringer aus.

All das hat seine Magnetwirkung mittlerweile voll entfacht. Kein Wunder, dass die Wüstenmetropole heute zu den sieben Top-Adressen weltweit zählt, wenn es um aufstrebende Hubs für Hightech geht – so jedenfalls steht es in der Global Technology Emerging Markets-Studie, die 2015 von der amerikanischen Brandeis International Business School und der Consultingfirma T3 Advisors erstellt wurde. Sie beweist: In der Wüste Israels tut sich gerade eine Menge.

Unsere Serie zur israelisch-deutschen Zusammenarbeit in der Wissenschaft:

Zu Teil 1: Pioniere der Annährung

Zu Teil 2: Vom Kontakt zur Kooperation

Zu Teil 3: Fruchtbare Jahre nach der Wende

Zu Teil 4: Exzellenz am Sandkasten (über Technion in Haifa & Weizmann-Institut bei Tel Aviv)

Zu Teil 5: Uni für alle

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