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SARS-CoV-2

Blaupause für einen Wirkstoff gegen das neue Coronavirus

Schematische Darstellung der Coronavirus-Protease. Bild: HZB / H. Tabermann

An der Röntgenlichtquelle BESSY II haben Forscher die dreidimensionale Struktur eines Hauptproteins des neuartigen Coronavirus entschlüsselt. Wie die Suche nach einem Medikament dadurch beschleunigt werden kann, erklärt Manfred Weiss vom Helmholtz-Zentrum Berlin.

Herr Weiss, auf der ganzen Welt breitet sich Sars-CoV-2 immer schneller aus. Forscher arbeiten mit Hochdruck daran, einen Wirkstoff gegen das neuartige Coronavirus zu entwickeln. Wie kann BESSY II dabei helfen?

BESSY II ist eine Synchrotronquelle am Helmholtz-Zentrum Berlin, die hochintensives Röntgenlicht für die Forschung erzeugt. Unsere modernen Instrumente helfen, den 3D-Aufbau von Proteinen zu entschlüsseln. Schon seit mehr als 15 Jahren betreiben wir Strahlrohre, mit denen hunderte von Wirkstoff-Fragmenten in Proteinkristallen getestet werden können. Diese bilden das Fundament, um im Anschluss einen Wirkstoff schneller entwickeln zu können. Aufgrund unserer speziellen Expertise sind die Experimentierplätze bei BESSY II sehr nachgefragt. Rund 100 Forscherteams führen regelmäßig Experimente bei uns durch – so auch die Gruppe um Professor Rolf Hilgenfeld von der Universität Lübeck, für den wir innerhalb von wenigen Tagen in einem Eilverfahren einen Platz gefunden haben. Zwischen dem Anruf der Lübecker Forscher und der Messzeit bei uns lagen nur drei Tage.

Professor Hilgenfeld und seinem Team ist es gelungen, die 3D-Struktur eines wichtigen Proteins von Sars-CoV-2 an BESSY zu entschlüsseln. Wie sind die Forscher dabei vorgegangen?

Bereits Anfang Januar, nachdem das Genom des neuartigen Coronavirus sequenziert wurde, haben Rolf Hilgenfeld und sein Team es geschafft, ein bestimmtes Virusprotein – die virale Hauptprotease – aus dem Coronavirus herzustellen und zu kristallisieren. Dieses Protein ist elementar im Lebenszyklus des Coronavirus‘, weil es an der Vermehrung der Viren beteiligt ist. Mit unseren Instrumenten konnten die Lübecker Forscher anschließend die dreidimensionale Struktur der Hauptprotease entschlüsseln.

Welche Aufgabe hat die virale Hauptprotease?

Wenn ein Virus eine Zelle befällt, programmiert es die ganze Zelle um, sodass sie Virusproteine produziert. Diese Proteine entstehen zunächst als ein sehr langes Polyprotein mit vielen Ketten. Die Protease schneidet dieses Polyprotein in einzelne Proteine. Nur so kann sich das Virus vermehren und weitere Zellen infizieren. Nun kennen wir die dreidimensionale Struktur der Protease. Das heißt, wir haben quasi eine Blaupause an der Hand, um Stoffe zu entwickeln, die die Funktion der Protease hemmen. Das ist ein großer Durchbruch: Hier können Forscher bei der Entwicklung einer wirkungsvollen Therapie ansetzen. Mit dieser Entdeckung kann die Suche nach einem Medikament gegen das neuartige Coronavirus also erheblich beschleunigt werden.

Wie werden diese Ergebnisse im nächsten Schritt genutzt, um einen Wirkstoff zu entwickeln? 

Zunächst geht es darum, bekannte, bereits etablierte Medikamente zu finden, die zu dem aktiven Zentrum der Protease passen und das Protein blockieren können. Der Vorteil liegt auf der Hand: Diese Medikamente sind bereits zugelassen und müssten nur um eine neue Indikation erweitert werden. Dieser Prozess ist in der Forschung etabliert. Auf diese Weise ist es zum Beispiel gelungen, Wirkstoffe gegen HIV zu finden. Auch hier war die HIV-Protease der Angelpunkt der Forschung. Die damals entdeckten Medikamente werden heute noch genutzt. 

Und neue Medikamente?

Neue Substanzen zu entwickeln, dauert natürlich erheblich länger. Hier gehen mehrere Jahre ins Land. Denn hat man ein Molekül gefunden, muss man zunächst prüfen, ob es giftig ist oder im Körper zu Giftstoffen abgebaut wird. Anschließend folgen zahlreiche klinische Studien: Tierversuche, Versuche mit gesunden Menschen und schließlich Experimente mit freiwilligen Infizierten. All diese Prozesse sind erforderlich, damit Forscher ein sicheres Medikament entwickeln können.

Bild: HZB/Michael Setzpfandt

Dr. Manfred Weiss leitet die Gruppe makromolekulare Kristallographie an der Synchrotronquelle BESSY II des Helmholtz-Zentrums Berlin. Mithilfe des hochintensiven Röntgenlichts von BESSY II haben Forscher der Universität Lübeck die dreidimensionale Struktur eines Schlüsselproteins von SARS-CoV-2 entschlüsselt.

Wie gehen die Forscher konkret vor, um das Protein zu knacken?

Eine Methode, die wir am Helmholtz-Zentrum Berlin etabliert haben, ist das sogenannte Fragment-Screening. Dabei untersuchen wir hunderte kleiner Molekülsubstanzen und prüfen, welche von ihnen an eine Protease andocken. Denn die Oberflächenstruktur der Proteine ist kompliziert. Passgenaue Moleküle zu finden, die deren Funktion unterbinden, ist sehr schwer. Mit unserem Ansatz testen wir quasi tausende möglicher Schlüssel, bis wir den „Dietrich“ gefunden haben und in die Protease eindringen können. Das ist ein wegweisender Ansatz für die Entwicklung eines neuen Medikaments, und genau darüber tauschen wir uns gerade mit dem Forscherteam aus Lübeck aus.

Die Arbeit von Professor Hilgenfeld wurde soeben im Fachmagazin Science publiziert und stand vorher schon allen Forschenden weltweit zur Verfügung. Ist dieser transparente Open Access-Zugang üblich?

In der Forschung zur Strukturbiologie ist es Standard, der wissenschaftlichen Community neue Ergebnisse sehr schnell bereitzustellen. Alle akademischen Forscher, die bei uns Messungen durchführen, verpflichten sich außerdem dazu, ihre Resultate offen zu publizieren und anderen Forschern bereitzustellen. An BESSY II leben wir davon, dass Wissenschaftler unsere Infrastruktur nutzen und ihre Proben bei uns untersuchen. Bei hochaktuellen und relevanten Forschungsfragen wie der Suche nach einem Wirkstoff gegen Sars-CoV-2 ermöglichen wir außerdem einen Fast-Track-Zugang zu unseren Strahlrohren – so auch bei Professor Hilgenfeld und seinem Team.

Pressemeldung HZB

Veröffentlichung im Magazin Science

Proteinkristallographie an BESSY II

Pressemeldung der Universität Lübeck

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