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COPD

Atemnot als Dauerzustand

<b>Unbekannte Volkskrankheit </b> Viele Menschen, die an COPD leiden, sind rund um die Uhr auf Atemgeräte angewiesen. Bild: pathdoc/shutterstock

Chronische Lungenkrankheiten sind kaum behandelbar.

Doch Forscher arbeiten in vielen Disziplinen daran, das zu ändern.

Am Morgen, gleich nach dem Aufstehen, hat er sich auf den Rand seines Bettes gesetzt und in sein Messgerät gepustet. 51 Prozent hat es angezeigt. Damit schafft Karl-Heinz Peters nur die Hälfte des Sollwertes. Ein Gesunder pumpt in der ersten Sekunde des Ausatmens doppelt so viel Luft wieder aus der Lunge heraus, um Platz zu schaffen für den nächsten Atemzug.

Halbe Kraft voraus, damit geht es dem 71-jährigen Berliner trotz seiner kranken Lunge noch ganz gut. Karl-Heinz Peters ist mobil: Er versorgt sich selbst, fährt in seinem kleinen Citroën durch die Stadt, radelt ein paar Runden im Park. Das Notfallspray hat er immer in der rechten Jackentasche. Einmal, manchmal zweimal pro Woche muss er es herausziehen, wenn er keine Luft mehr bekommt und die Panik wieder da ist, die Kontrolle zu verlieren. Irgendwann wird das nicht mehr reichen.

Bei Peters wurde COPD diagnostiziert, eine Abkürzung für „chronisch obstruktive Lungenerkrankung“ (englisch: Chronic Obstructive Pulmonary Disease). Gemeint ist damit eine Verengung (Obstruktion) der Atemwege. Symptome der Krankheit sind starker Husten, vermehrte Schleimbildung in der Lunge und Atemnot, zunächst vor allem bei körperlicher Belastung, dann auch im Ruhezustand. Das Risiko, daran zu erkranken, steigt mit dem Alter. Peters wusste mit der Bezeichnung zunächst wenig anzufangen. COPD, von der Krankheit hatte er nie gehört. Dann hat er sich belesen. Und war geschockt.

COPD ist eine unheilbare Volkskrankheit und stellt Wissenschaftler vor Rätsel. Schon heute leiden 6,8 Mio. Menschen in Deutschland darunter

Karl-Heinz Peters ist keine Ausnahme: Immer mehr Menschen leiden unter chronischen Lungenerkrankungen, an Bronchitis, Emphysem, Fibrose, Lungenentzündung oder Asthma (siehe Kasten am Ende des Beitrags). Laut dem 2014 herausgegebenen „Weißbuch Lunge“ der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin stirbt in Deutschland etwa jeder Achte an Erkrankungen des Atmungssystems. Hauptrisikofaktor ist das Rauchen, an zweiter Stelle stehen Umwelt- und Staubbelastungen.

Verengt: Lungenbläschen sind für den Gasaustausch wichtig. Werden sie geschädigt (im Bild, Mäuselunge), wird die Atmung eingeschränkt. Bild: Dr. Christian Hennig/MHH

Auch wenn der medizinische Name eher unbekannt ist, COPD ist eine Volkskrankheit: Schon heute leiden 6,8 Millionen Menschen in Deutschland darunter, bis zum Jahr 2050 werden es nach einer Hochrechnung schon acht Millionen sein. Die unheilbare Krankheit stellt Wissenschaftler vor Rätsel: Warum bekommt sie nicht jeder Raucher, sondern laut Weißbuch nur etwa jeder Vierzehnte? Warum erkranken auch Nichtraucher? Warum verläuft die Krankheit so unterschiedlich? Von Kiel bis München arbeiten Infektionsforscher, Molekularbiologen, Stammzellenmediziner, Genforscher und Biotechnologen daran, das herauszufinden – und Wege zu entdecken, die Krankheit zu stoppen.

Über Berlin hängt kein grauer Nebel aus verschmutzter Luft. Der letzte Smogalarm wurde Anfang der 1990er Jahre ausgelöst. Karl-Heinz Peters hat in keiner Fabrik gearbeitet, auch nicht auf einer Baustelle, und er hat in keinem Tagebau giftige Stäube eingeatmet. Er war Informationstechniker, hat bis zur Rente mit Computern gearbeitet. Seine Krankheit hat der immer lebensfreudige Mann wohl selbst verursacht: Mit 25 Jahren begann er zu rauchen, zuletzt zwei Päckchen am Tag. Seine Geschichte erzählt er in den Selbsthilfegruppen der Patientenorganisation „Lungenemphysem COPD Deutschland“, die er seit Jahren betreut.

In einem sanierten Backsteinbau des Berliner Universitätsklinikums Charité arbeitet Oberärztin Simone Rosseau. Sie ist Spezialistin für Intensiv- und Beatmungsmedizin in der Klinik für Pneumologie. Die Therapie der COPD richtet sich nach dem individuellen Krankheitsbild und der Schwere der Erkrankung, sagt sie: „Immer aber ist der erste Schritt für den Patienten, mit dem Rauchen aufzuhören.“

Eine Heilung von COPD ist nicht möglich, durch Medikamente lassen sich allerdings die Symptome lindern. Manche Mittel weiten die Bronchien, andere lassen die Schleimhäute abschwellen und mindern die Schleimbildung oder hemmen die fortschreitende Entzündung. Leiden Patienten hauptsächlich an einem Lungenemphysem, bei dem zerstörte Lungenbläschen das vollständige Ausatmen der verbrauchten Luft verhindern, kann ein operativer Eingriff das Atmen erleichtern, erklärt Simone Rosseau: „Per Endoskopie setzen Ärzte kleine Ventile oder Metall-spiralen in die Bronchien ein, durch die überschüssige Luft langsam entweichen kann. Dadurch sinkt das Volumen der überblähten Lunge und es gibt wieder mehr Platz, um neue Luft einzuatmen.“ Fällt einem Erkrankten bei fortgeschrittener COPD das Luftholen zu schwer, kann eine häusliche Beatmung über eine Maske das Atmen erleichtern und die Lebensqualität verbessern. „Mittlerweile wissen wir, dass sie auch das Leben verlängern kann“, sagt Rosseau.

Symptome  COPD betrifft die Bronchien und Lungenbläschen. Im Vergleich zu einer gesunden Lunge (oben) verengt sich der Innenraum der Bronchien dauerhaft und in den Lungenbläschen findet kaum mehr Gasaustausch statt. Bild: joshya/shutterstock

In München arbeitet Oliver Eickelberg an Therapien für Lungenkrankheiten. Er ist einer der führenden deutschen Forscher auf dem Gebiet: Eickelberg ist Direktor des Instituts für Lungenbiologie am Helmholtz Zentrum München, führt das Institut für Experimentelle Pneumologie an der Ludwig-Maximilians-Universität und baut gerade im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lungenforschung als wissenschaftlicher Leiter des Comprehensive Pneumology Center ein regionales Forschungsnetzwerk auf. „Ist die Lunge erst einmal unwiderruflich erkrankt, ist eine Transplantation heute oftmals die letzte Chance für den Patienten“, sagt er. Etwa 250 solcher Operationen würden in Deutschland jährlich durchgeführt, aber das Risiko sei hoch und eine passende Spenderlunge häufig nicht leicht zu finden.

In Zukunft, ist sich Eickelberg sicher, wird es möglich sein, dass sich das kranke Lungengewebe selbst wieder aufbaut. Die Lunge könnte durch Botenstoffe dazu gebracht werden, krankmachende Vorgänge zu blockieren. Bei Mäusen sei das schon möglich: Für sie habe man Substanzen gefunden, die dazu führen, dass sich ihr Lungengewebe neu entwickelt. Auch in der Stammzellforschung sei man vorangekommen. „Wir arbeiten an einer exogenen Regeneration“, sagt der Forscher: Dabei werden Bindegewebsgerüste, das sind Netze aus Bindegewebszellen, die das Organ stützen, aus der Lunge entnommen und mit gesunden Stammzellen besiedelt. Auch dieses Verfahren wird bereits an Mäusen durchgeführt. Setzt man den Tieren diese künstlichen, im Labor erzeugten Lungen ein, werden sie von ihnen angenommen.

Im Münchner Forschernetzwerk wird auch an den Lungen von Schweinen geforscht, doch die Versuche stünden noch ganz am Anfang, sagt Eickelberg. Ziel sei es zunächst, die Lunge der Tiere zu explantieren und aus deren Bestandteilen, feinen Bindegewebsnetzen, Lungenbläschen, kleinsten Blutgefäßen und Lymphgefäßen, ein Lungengerüst aufzubauen. Dieses Gerüst soll dann mit menschlichen Stammzellen besiedelt werden. In fünf Jahren, sagt Oliver Eickelberg, lasse sich eine solche Lungenstruktur vielleicht schon per 3D-Drucker für jeden Patienten individuell anpassen und mit eigenen Zellen besiedeln. So werde auch eine Abstoßung durch das Immunsystem verhindert. Denkbar sei in fünf bis zehn Jahren auch eine passende Gentherapie: Man entnimmt eine Stammzelle, behebt den Gendefekt, vervielfacht die neue Zelle, besiedelt damit ein Lungengerüst aus biokompatiblem Material – und implantiert es.

Gelangt immer wieder neues Gift in die Lunge, reagieren die Immunzellen bald über und gehen auch gegen gesunde Zellen vor

Ortswechsel. Ein Labor im Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig. An Mäusen untersuchen Wissenschaftler hier unter der Leitung von Dunja Bruder, wie chronische Lungenentzündungen verlaufen, die nicht durch Viren oder Bakterien verursacht werden – so wie bei Rauchern, deren Atmungsorgan sich durch inhalierte Gifte chronisch entzündet. Die Professorin erklärt, was dabei passiert: „Die geschädigten Zellen senden Botenstoffe aus, um das Immunsystem auf sich aufmerksam zu machen, das dann sogenannte Fresszellen schickt, um die entzündeten Zellen zu beseitigen. Damit verhindern sie, dass sich die Entzündung ausbreitet. Aber gelangt immer wieder neues Gift in die Lunge, reagieren die Immunzellen bald über und gehen auch gegen gesunde Zellen vor. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass die Entzündung immer weiter voranschreitet“, sagt Dunja Bruder.

An ihren Versuchstieren haben die Braunschweiger Forscher erst kürzlich zwei spannende Entdeckungen gemacht. Zum einen haben sie festgestellt, dass das Immunsystem der Mäuse in einem frühen Stadium der Entzündung plötzlich auf Protektion schaltet und die Immunzellen keine gesunden Zellen mehr angreifen: „Findet man heraus, welche Stoffe die fehlgeleiteten Immunzellen stoppen, könnte man daraus Medikamente entwickeln, die verhindern, dass sich die Entzündung ausbreitet – und damit den Teufelskreis aufbrechen“, prognostiziert Bruder.

Die zweite Entdeckung: Ihr Team erkannte, dass das Immunsystem der Tiere in einem bestimmten Krankheitsstadium die Lunge besser gegen Pneumokokken schützt als im übrigen Krankheitsverlauf. Pneumokokken verursachen in der kranken Lunge oft schwere Infektionen; findet man heraus, wodurch diese Abwehr ausgelöst wird, könnte man solche bakteriellen Folgekrankheiten eindämmen. Doch das kann dauern. „Bis aus der Forschung am Tier angewandte Medizin für den Menschen wird, vergehen Jahre oder Jahrzehnte“, sagt Dunja Bruder.

Karl-Heinz Peters hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass die Forschung bald neue Ansätze findet – „auch noch für mich“, sagt er. Doch er geht auch pragmatisch an die Sache: Gerade hat er angefangen zu planen, was sich in seinem Leben ändern muss, wenn ihm immer öfter die Luft wegbleiben wird und er irgendwann die kleine Treppe in seiner Maisonettewohnung nicht mehr nach oben steigen kann.

Asthma Bronchiale

In den Atemwegen von Menschen mit Asthma besteht eine dauerhafte Entzündung, die zu einer Verengung der oberen Atemwege führt. Typische Symptome sind pfeifende Atmung, Kurzatmigkeit und Luftnot, ein Enge-Gefühl in der Brust oder auch nur Husten.

Bronchitis

Es gibt drei Arten von Bronchitis. Die akute Bronchitis wird durch Bakterien oder Viren ausgelöst und führt zu starkem Husten und Schleimbildung. Die chronische Bronchitis hat die gleichen Symptome: starker Husten und Schleimbildung. Sie wird durch Rauchen oder das Einatmen von Schadstoffen ausgelöst, die immer wieder das Lungengewebe reizen, bis der Selbstreinigungsmechanismus der Bronchien nicht mehr funktioniert. Sie ist eine Vorstufe der chronisch-obstruktiven Bronchitis. Bei ihr führt die stetige Reizung durch Schadstoffe dazu, dass die Atemwege sich auf Dauer verengen. Zu dem starken Husten und dem Verschleimen der Lunge kommt die Atemnot hinzu.

COPD

Die Abkürzung steht für „Chronic Obstructive Pulmonary Disease“. Gemeint ist damit eine Verengung der Atemwege. Man unterscheidet COPD mit chronischer Bronchitis oder mit Lungenemphysem. Die Übergänge sind fließend und oft treten beide Formen auf. Erstes Anzeichen ist hartnäckiger werdender Husten. Hinzu kommen der Auswurf von Schleim und Atemnot, die zunächst nur bei Belastung auftritt, später auch in Ruhephasen. Die Krankheit hat einen fortschreitenden Verlauf und verschlechtert sich in Schüben. 80 bis 90 Prozent der Betroffenen sind Raucher. Die Krankheit kann aber auch auf Schadstoffe in der Umwelt, auf Ozon und Feinstaub zurückgehen.

Lungenemphysem

Beim Emphysem werden nach und nach die Lungenbläschen zerstört, die dafür zuständig sind, dass Sauerstoff ins Blut und Kohlendioxid an die Luft abgegeben werden. Es bilden sich große luftgefüllte Bläschen, die den Raum für den Gasaustausch verkleinern. Die verbrauchte Luft kann nicht mehr vollständig nach außen befördert und aus der Luft nicht mehr genügend Sauerstoff entnommen werden.

Lungenentzündung

Bei einer Lungenentzündung ist das Lungengewebe entzündet, je nach Art der Entzündung sind die Lungenbläschen oder auch das Gewebe zwischen den Lungenbläschen und den Blutgefäßen betroffen. Ausgelöst wird sie zumeist durch Infektionen mit Bakterien, Viren oder Pilzen. Sie kann aber auch durch äußere Einflüsse wie das Einatmen von Reizgasen verursacht werden.

Lungenfibrose

Man spricht auch von einer Narbenlunge: Zwischen den Lungenbläschen und den sie umgebenden Blutgefäßen bildet sich immer mehr Bindegewebe. Das zarte Lungengerüst wird weniger elastisch. D adurch vernarbt das Lungengewebe, kann sich nicht mehr ausdehnen - und nimmt weniger Sauerstoff auf. Typische Anzeichen sind Luftnot und Reizhusten. Die Fibrose kann die Folge einer chronischen Infektion sein oder aus regelmäßig eingeatmeten Schadstoffen in der Luft resultieren.

Lungenkarzinom

Zum Lungenkrebs, Lungenkarzinom, zählen verschiedene Arten von Tumoren. Sie sind meist bösartig, die veränderten Zellen vermehren sich ungebremst. Sie wachsen in umliegendes Gewebe ein und zerstören es. Der größte Risikofaktor für Lungenkrebs ist Tabakrauch. Auch Schadstoffbelastungen in der Luft oder Feinstäube können Auslöser sein.

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