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Teilchenbeschleuniger

Sieh mal an, was die Maschine alles kann

Bild: CERN

Wer Teilchenbeschleuniger hört, denkt meist an absolute Grundlagenforschung. Dabei dienen die Anlagen auch ganz praktischen Zwecken. Manchmal töten sie sogar Krebszellen

Weltweit sind rund 30.000 Teilchenbeschleuniger in Betrieb, kalkuliert Rolf-Dieter Heuer. Würde man die alten Röhrenfernseher und -Computermonitore hinzurechnen, die im Prinzip ebenfalls nichts anderes als Miniatur-Elektronenbeschleuniger sind, ginge die Zahl wohl in die Milliarden. Heuer weiß wovon er redet; er ist Chef des weltgrößten Beschleunigerzentrums CERN bei Genf. Physiker fanden dort kürzlich das sogenannte Higgs-Boson. Für dessen Vorhersage bekamen der Brite Peter Higgs und sein belgischer Kollege François Englert im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Physik. Doch die wenigsten Beschleuniger dienen der Grundlagenforschung. Überwiegend nutzen Mediziner oder die Industrie diese Geräte.

Zum Beispiel zum Abtöten von Keimen: Das Unternehmen Beta-Gamma-Service GmbH in Wiehl bei Gummersbach betreibt acht Elektronenbeschleuniger. "Wir bestrahlen vor allem Materialien, die keimfrei sein müssen oder bestimmte Materialeigenschaften besitzen sollen", erklärt Joachim Gehring, Leiter der Anwendungsentwicklung des Unternehmens. Die Firma sterilisiert medizinische Produkte wie Kanülen, Verbandsstoffe, Dialyseschläuche oder Implantate. Die Techniker nutzen dazu die keimtötende Eigenschaft des Elektronenstahls direkt und die der elektromagnetischen Strahlung (Gammastrahlung), die entsteht, wenn die Elektronen beschleunigt werden. Mit energiereichen Strahlen können sie aber auch Materialeigenschaften verändern. Die Teilchen lösen beispielsweise chemische Reaktionen in Kunststoffen aus - vergleichbar der Vulkanisation bei Kautschuk. Dadurch vernetzen sich die langen Molekülketten aus denen der Kunststoff aufgebaut ist. Er wird so temperaturbeständiger, abriebfester und beständiger gegenüber Chemikalien. "Pro Jahr behandeln wir rund 80 Millionen Meter Installationsrohre für Heizung oder Wasser", sagt Gehring. Das reicht, um sie zweimal um die Erde zu wickeln.

Lebensmittel bestrahlt das Unternehmen hingegen nicht. Anders als in vielen anderen Ländern ist das in Deutschland mit Ausnahme von Kräutern oder Gewürzen verboten. Die Briten bestrahlen dagegen auch Fische, Geflügel, Getreide und Obst, die Holländer Hülsenfrüchte, Hühnerfleisch, Garnelen und tief gefrorene Froschschenkel. Wegen des freien Warenverkehrs innerhalb der EU sind diese Produkte dann auch in Deutschland zugelassen. Voraussetzung ist allerdings, dass sie gekennzeichnet sind.

Mit Teilchenstrahlen lassen sich jedoch nicht nur Keime töten, sondern auch Krebszellen. Daher stehen weltweit rund ein Drittel aller Teilchenbeschleuniger in Kliniken. Dort produzieren sie harte Röntgenstrahlung, Elektronen oder gar Protonen. Hochbeschleunigte Protonen zerstören Tumorzellen zielgenau. Verglichen mit Röntgenstrahlen schonen sie zudem gesundes Gewebe vor und hinter der Geschwulst besser. Für gewisse Krebsarten ist die Protonentherapie ein Hoffnungsträger; vor allem für Patienten mit inoperablen, lokal begrenzten Tumoren an der Schädelbasis oder nahe am Rückenmark.

Wissenschaftler arbeiten nun daran, diese Lebensretter noch kompakter und erschwinglicher zu machen. Auf der Weltbeschleunigerkonferenz IPAC 2014, die kürzlich in Dresden stattfand, stellten sie beispielsweise Konzepte vor, bei denen sich die Protonen mit Hilfe leistungsstarker Laser auf kürzeste Strecken beschleunigen lassen. Dadurch könnten die Beschleuniger künftig deutlich kleiner werden. "Erste Studien sind Erfolg versprechend", sagt Ulrich Schramm, Leiter der Abteilung Laser-Teilchenbeschleunigung am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR): "Die laserbeschleunigten Protonenstrahlen wirken zumindest in Zellproben genau so wie die von großen Beschleunigern." Doch reichen die Energien für die Krebsbehandlung bislang nicht aus. Deswegen plant das HZDR nun einen leistungsstarken Petawatt-Laser zu bauen. Bis solche Anlagen aber in Krankenhäusern stehen, ist wohl noch einiges an Forschung nötig.

Das Beispiel der Teilchenbeschleuniger zeigt, wie Entwicklungen, die einst ausschließlich der Grundlagenforschung dienten, neue Anwendungen finden können. Neben den Medizinern und der Industrie nutzen nunmehr viele weitere Forschungsdisziplinen diese Geräte. Biowissenschaftler nutzen das intensive Röntgenlicht aus Teilchenbeschleunigern, um die Struktur von Biomolekülen aufzuklären. Für sie ist ein Teilchenbeschleuniger eine Art Supermikroskop. Auch für die Erforschung neuartiger Materialien oder d Wirkung von Katalysatoren nutzen Wissenschaftler Beschleuniger. Aus diesem Grund entstehen weltweit immer mehr Anlagen, die wie der in Hamburg geplante Europäische Freie-Elektronen-Laser XFEL, gar nichts mehr mit der Teilchenphysik zu tun haben. Der Beschleuniger soll ultrakurze Röntgenblitze erzeugen, mit denen die Forscher Details von Viren und Zellen beobachten und sogar chemische Reaktionen filmen wollen.

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