Direkt zum Seiteninhalt springen

Hammer und Zirkel im All

Zur Geschichte der Raumfahrt in der DDR

Die beiden Kosmonauten Walery Bykowski (l.) und Sigmund Jähn. Hier vor der Rückkehrkapsel des Raumschiffs Sojus 29, mit der sie am 3.9.78 gelandet waren. Bild: Bundesarchiv, CC-BY-SA 3.0

Vor 40 Jahren flog Sigmund Jähn als erster Deutscher ins All. Doch die Beiträge des östlichen Deutschlands zwischen 1945 und 1990 zur Raumfahrt sind vielfältiger als der Raumflug des heute 81-jährigen Vogtländers.

Es war der 26. August 1978: Drei verschlossene Umschläge erhielten an diesem Tag die Chefredakteure aller DDR-Zeitungen und Radiosender. Erst auf telefonische Weisung des Zentralkomitees der SED hin durfte einer davon geöffnet werden. Er enthielt Fotos, vorgeschriebene Texte und die zu verwendende Überschrift: "Der erste Deutsche im All – ein Bürger der DDR" stand da. Ost-Berlin hatte im Spätsommer 1978 nichts dem Zufall überlassen, erst recht nicht die mediale Verkündung des Erfolgs gegenüber dem Westen: Sigmund Jähn war als erster Deutscher ins Weltall geflogen. Die anderen beiden Umschläge wurden später abgeholt und ungeöffnet vernichtet. Sie enthielten die Handlungsanweisungen für die Fälle: Der Kosmonaut ist tödlich verunglückt beziehungsweise das Raumschiff musste auf feindlichem Gebiet landen.

Jähn landete bei seiner Rückkehr wie geplant – fast. Da die Kapsel am Fallschirm ein Stück durch die Steppe geschleift wurde und sich mehrfach überschlug, verletzte Jähn sich am Rücken. Die öffentliche Wirkung von Jähns Flug hatte die SED-Führung richtig eingeschätzt. Doch der Jubel der Massen bei den Rückkehr-Feierlichkeiten galt nicht ihnen, sondern dem sympathischen und zurückhaltenden Vogtländer. Sigmund Jähns knapp achttägiger Weltraumaufenthalt stellt einen Höhepunkt nicht nur in der Geschichte der Raumfahrt in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) dar.

High-Tech made in GDR

Nachdem Juri Gagarin am 12. April 1961 als erster Mensch ins Weltall geflogen war, begann im April 1967 das so genannte Interkosmos-Programm. Da die Bundesrepublik 1975 zu den Gründungsmitgliedern der European Space Agency (ESA) zählte, setzte die UdSSR auf eine enge Anbindung der DDR an ihr Interkosmos-Programm. Das Know-how der DDR lag in der Feinmechanik und Optik, in der Infrarottechnik und bei der Bildverarbeitung. Damit hatte ostdeutsche Technik auch auf militärisch relevanten Gebieten einen Vorsprung vor der sowjetischen. Die Premiere der Kooperation folgte am 14. Oktober 1969 mit dem Gemeinschaftssatelliten Interkosmos 1.

Die DDR gab in den folgenden Jahren mit zwei Mark pro Einwohner nur ein Achtel dessen aus, was die Bundesrepublik in D-Mark pro Kopf in die Raumfahrt steckte. Gleichwohl waren die Leistungen der DDR in der Raumfahrt erstaunlich. 167 Geräte "Made in GDR" flogen mit sowjetischen Raketen ins All.

Ein Highlight der DDR-Raumfahrtentwicklungen war die Multispektralkamera MKF 6. Das hochpräzise optische Instrument wurde vom VEB Carl Zeiss Jena 1975 entwickelt. 600 Wissenschaftler, Techniker und Facharbeiter wirkten bei Zeiss an der MKF 6-Entwicklung mit. Eingebunden waren aber auch etwa 20 weitere Institutionen. Zunächst war ein Einsatz für wenige Tage geplant. Kurzfristig mussten die Planungen aber auf einen zweijährigen Einsatz an Bord der Raumstation Salut 6 umgestellt werden. Die Modifikation MKF 6M mit 150 mikroelektronischen Schaltungen entstand. Ihr Auflösungsvermögen übertraf die besten Luftbildkameras um den Faktor 2,5. Aus 600 Kilometern Höhe waren noch Objekte von zehn Metern Größe erkennbar. Das seinerzeit einzigartige Gerät arbeitete gleichzeitig mit vier Objektiven im sichtbaren und zwei im infraroten Bereich.

Der erste Deutsche im Weltall

DDR-Briefmarke von 1978. Bild: Wikimedia, CC-BY-SA 3.0

Zwischen 1978 und 1988 nahmen Interkosmonauten aus allen zehn Partnerländern (Bulgarien, DDR, Kuba, Mongolei, Polen, Rumänien, Sowjetunion, Tschechoslowakei, Ungarn, Vietnam) des Interkosmos-Programms an bemannten Raumflügen der UdSSR teil. Moskau verfolgte damit drei Ziele: Erstens sollten die hohen Kosten durch Verteilung auf mehrere Länder gesenkt werden. Zweitens sollten die Partnerländer enger an den Kremel gebunden werden. Drittens wollte die Sowjetunion den Amerikanern bei internationalen Kooperationen zuvorkommen. Die NASA hatte 1972 mit der Entwicklung des Space Shuttle begonnen und sah für Anfang der Achtziger Jahre die ersten Mitflüge westeuropäischer Astronauten vor. 1983 flog der Westdeutsche Ulf Merbold als erster Ausländer mit den Amerikanern ins All. In Osteuropa nahmen die Kandidaten der Tschechoslowakei, der DDR und Polens im Dezember 1976 das Training im Kosmonauten-Ausbildungszentrum "Juri Gagarin" bei Moskau auf.

Sigmund Jähn war der erste Deutsche im All und der 90. Raumfahrer überhaupt. Der Start von Sojus 31 erfolgte am 26. August 1978 um 15.51 Uhr Mitteleuropäischer Zeit (MEZ) in Baikonur. Einen Tag später koppelte die Besatzung an die Raumstation Salut 6 an. In einer knappen Woche wurden 24 Experimente aus den Bereichen Materialwissenschaften, Medizin, Erdfernerkundung, Biologie, Psychologie und Raumflugtechnik durchgeführt. Am 3. September legte Sojus 29 wieder ab und landete, wie beschrieben recht ruppig, um 12.40 Uhr MEZ in Kasachstan. Die SED erhoffte sich von Jähns knapp achttägigem Flug einen erheblichen Prestigegewinn. Dem wirkte die bis zum Start geltende Geheimhaltung entgegen. Weder die Namen der Beteiligten, noch die Termine oder Daten durften genannt werden. Erst nach dem erfolgreichen Start berichteten die DDR-Medien über den "fliegenden Vogtländer".

Wendezeiten

Am 26. Februar 1986 startete das erste Bauteil der Mir-Raumstation. In die weiteren Planungen zum Ausbau und zur Verwendung der Station wirkte die Weltpolitik erheblich mit hinein: Michail Gorbatschow erreichte mit Glasnost und Perestroika große Aufmerksamkeit in Ost und West. Sein Konzept vom "gemeinsamen Haus Europa" und seine Abrüstungsinitiative brachten weltpolitische Umwälzungen in Gang, die auch die Raumfahrt nicht unberührt ließen. Die Sowjetunion öffnete ihr Weltraumforschungsprogramm Ende der 1980er Jahre für internationale Kooperationen. Doch fehlte ein Finanzierungskonzept. Die letzte Interkosmsos-Rakete startete im Dezember 1993. Ironie der Geschichte: Auf der Nutzlastverkleidung war eine Flagge der nicht mehr existierenden DDR angebracht. Danach ging das Interkosmos-Forschungsprogramm sang- und klanglos unter.

1988 hatte die DDR den Zuschlag zur Ausrichtung des 41. Internationalen Astronautischen Kongresses (IAF) für das Jahr 1990 erhalten. Wegen der instabilen politischen Lage – schließlich hatte keine der beiden deutschen Seiten ein vorgefertigtes Konzept für die rasanten politischen Entwicklungen zwischen Herbst 1989 und dem 3. Oktober 1990 in der Schublade – drohte der Kongress zu scheitern. Für die Weltraumforschung in Ostdeutschland war die Wiedervereinigung eine erhebliche Herausforderung, da sie ausschließlich auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Sowjetunion zugeschnitten war. Doch dieser Partner brach nun weg. Die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt (DLR) und die Deutsche Agentur für Raumfahrt-Angelegenheiten (DARA) halfen, die Finanzierung des IAF-Kongresses zu sichern. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs trafen sich auf dem Dresdner IAF-Kongress viele Experten zum ersten Mal. Auf dem Kongress-Logo war – wenige Tage nach der deutschen Wiedervereinigung - zu lesen: "6.-13. Oktober 1990, Dresden DDR".

Raumfahrt in den „neuen Ländern“

Das Institut für Kosmosforschung (IKF) in Berlin-Adlershof wurde nach der Wende in die Deutsche Forschunsganstalt für Luft- Und Raumfahrt - das heutige Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - integriert. Die Kompetenz der ostdeutschen Wissenschaftler und Techniker wurde nicht in Frage gestellt. Dennoch konnten nicht alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen übernommen werden. 277 der ehemals 402 IKF-Angestellten wechselten in den neu gegründete DLR-Standort in Berlin-Adlershof.

Ein großer Teil des ostdeutschen Weltraumforschungspotenzials konnte nach der Wiedervereinigung gesichert werden. Das industrielle Know-how blieb etwa bei Carl Zeiss erhalten. Die wichtigsten wissenschaftlichen und technischen Projekte, die in der DDR als Beiträge zu internationalen Programmen begannen, wurde weitergeführt oder abgeschlossen. Das größte deutsche Wissenschaftspotential, die Akademie der Wissenschaften der DDR, jedoch wurde aufgelöst und abgewickelt.

(Bei diesem Text handelt es sich um eine gekürzte Übernahme eines Artikels aus dem DLR-Webportal.)

Raumzeit-Podcast mit Sigmund Jähn

Leser:innenkommentare