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ISS

Muschelblut im All

Von Sylt ins All: Miesmuscheln für Expierment Triplelux-B. Foto: DLR (CC BY 3.0)

Eigentlich sind die gemeinen Miesmuscheln vor Sylt nicht bekannt dafür, viel herum zu kommen. Aber ein Teil von ihnen hat es in den ersten drei Monaten 2015 auf rund 40 Millionen Reisekilometer gebracht – an Bord der Internationalen Raumstation ISS.

Um der stürmischen See zu trotzen, haben Miesmuscheln ein Rezept: Sie bilden Muschelbänke. Ziemlich unbeweglich trotzen sie so den Naturgewalten. So wussten Peter-Diedrich Hansen und Eckehardt Unruh vom Fachgebiet Ökologische Wirkungsforschung und Ökotoxikologie der TU Berlin genau, wo sie die Blutspender für eine Untersuchung im Weltraum finden. Die gute Auffindbarkeit der Muscheln ist aber nicht der entscheidende Grund, warum ausgerechnet die Weichtiere für eine Reise ins All ausgewählt wurden. Es liegt an Eigenschaften spezieller Immunzellen in ihrem Blut. Für die Untersuchungen an Bord der ISS wurden den Muscheln sogenannte Hämozyten entnommen. Sie könnten helfen zu verstehen, wie das Immunsystem auf Schwerelosigkeit und Weltraumstrahlung reagiert. Und das wiederum könnte mehr Klarheit bringen, warum die körpereigene Abwehr von Astronauten im All schwächelt. Auf der Erde genommene Blutproben für die Untersuchung im Weltraum zu verwenden, kommt nicht in Frage, erklärt Peter-Diedrich Hansen: „Menschliches Blut unterliegt in der Weltraumforschung einer hohen biologischen Gefahrenstufe, weil es möglicherweise mit krankheitserregenden Keimen kontaminiert sein könnte.“

Das menschliche Immunsystem ist sehr viel komplexer als das der Muschel, es passt sich beispielsweise veränderten Umweltbedingungen – etwa Schwerelosigkeit – an. Das Immunsystem der Muscheln hingegen verändert sich nicht. Das macht die Muschel-Hämozyten zu einem einfacheren wissenschaftlichen Modell. „Es geht in den Experimenten nicht darum, hundertprozentige Rückschlüsse auf den Menschen ziehen zu können. Vielmehr wollen wir grundlegende Mechanismen der Immunabwehr verstehen“, stellt Peter-Diedrich Hansen von der TU klar.

Das Innere einer Miesmuschel. Bild: ESA

„Die Muscheln mussten eine Art Blutspende über sich ergehen lassen und durften dann wieder ins Wasser zurück“, erzählt Biologin Sonja Brungs, die für das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) arbeitet, das die TU Berlin bei dem Weltraum-Experiment unterstützte. Fünf Röhrchen mit  Muschelblutzellen von etwa 300 Muscheln sammelten die Wissenschaftler. Diese Zellen haben im Muschel-Organismus die Aufgabe, eingedrungene Mikroorganismen zu fressen, man spricht von Phagozytose. Das ist Teil der Immunabwehr. Peter-Diedrich Hansen: „Die Muscheln haben nur diese phagozytierenden Zellen, damit ist eine Untersuchung ohne andere Einflüsse möglich.“ Geeignete Kandidaten müssen jedoch noch ein weiteres Kriterium erfüllen, um tauglich für Experimente an Bord der ISS zu sein: „Die Zellen der Muschel sind sehr robust – die Muschel selbst muss auch im Meer extreme Temperaturunterschiede meistern.“

Wie die Abwehr der Muscheln auf Schwerelosigkeit reagiert, machen die Wissenschaftler der TU Berlin im wahrsten Sinne des Wortes sichtbar. Um Eindringlinge zu vernichten, produzieren die Immunzellen reaktiven Sauerstoff. Den wiederum kann man durch den Farbstoff Luminol als Lichtteilchen sichtbar mit einem sogenannten Photomultiplier (PMT) machen. Die Wissenschaftler der TU Berlin haben daraus ein Messsystem entwickelt. „Wir messen die Lichtintensität. Die gibt Aufschluss darüber, wie stark oder schwach die Immunabwehr abläuft. Daraus wiederum können wir Rückschlüsse ziehen, wie stark das Immunsystem durch die Eindringlinge beeinträchtigt wird“, erläutert Peter Diedrich Hansen, Professor für Ökotoxikologie an der TU Berlin. An Bord der ISS stimulierten die Forscher die Miesmuschelzellen mit Zymosan, einem Naturprodukt aus Hefe, stimuliert. Darauf reagiert das Immunsystem wie auf eine Pilzinfektion.

Um die Experimente im All durchführen zu können, wurden die Muschelzellen bei -80 Grad eingefroren. So konnten sie zunächst den Weg von Deutschland in die USA – von wo die Versorgungsflüge für die ISS starten – antreten. Im Januar 2015 gingen dann drei der fünf Röhrchen auf die rund 400 Kilometer lange Reise zur ISS – die anderen beiden Röhrchen blieben für Vergleichsuntersuchungen auf der Erde. Die Röhrchen auf Weltraummission umrundeten unseren Planeten bei einer Geschwindigkeit von etwa 28.000 Stundenkilometer 16 Mal pro Tag. Innerhalb von rund drei Monaten kamen so rund 40 Millionen Reisekilometer zusammen.

Während der zwei Wochen, in denen das Experiment an Bord der ISS lief, war auch auf der Erde viel zu tun. „Der Kontrollraum war 24 Stunden besetzt, damit wir zum Beispiel reagieren hätten können, falls sich die Temperatur der Muschelzellen stark verändert hätte", erinnert sich Stefanie Franke, deren Team vom Kontrollraum der DLR in Köln aus das Biolab an Bord der ISS steuerte. Hätte es etwa während der Zellrekonstitution eine Temperaturveränderung aufgrund technischer Probleme gegeben, so hätten Franke und ihre Kollegen eine andere Kühleinheit aktivieren können und den Transfer der Zellen durch die Astronauten in diese organisiert. Über Köln lief auch die Kommunikation mit der Astronautin, die die Experimente im All durchführte. „Bei TripleLux B hatten wir im Kontrollraum Wissenschaftler von der TU Berlin vor Ort. Sie haben die Daten, die bei uns ankamen, ausgewertet", sagt Stefanie Franke. So erhielten Peter-Diedrich Hansen und Eckehardt Unruh von der TU Berlin, die für dieses Experiment verantwortlichen Wissenschaftler, Informationen direkt aus dem All.

Im März waren die Experimente für TripleLux-B beendet. Seither werten die Wissenschaftler an der TU Berlin die Ergebnisse aus. Sie haben gute Gründe anzunehmen, dass die Schwerelosigkeit tatsächlich die Phagozytose hemmt. Auch aufgrund von anderen Ergebnissen zur Gravitationsbiologie, die noch vor dem Flug zur ISS am DLR von Ruth Hemmersbach durchgeführt wurden. Das würde bedeuten, dass die fehlende Gravitation wirklich ein Grund dafür ist, dass das Immunsystem von Astronauten im Weltraum träger wird.

Ein Röhrchen mit Miesmuschelzellen war als Vergleichsprobe zwar auf dem Hinweg zur ISS Weltraumstrahlung ausgesetzt, und wurde auf der ISS unter Schwerelosigkeit gelagert – wie die anderen Röhrchen auch. Es wurde aber nicht für die Experimente im All verwendet. . In Köln bekam Sonja Brungs die Röhrchen auf Trockeneis gelagert zu sehen. „Es war spannend zu wissen, wo die Zellen schon gewesen sind“, erzählt sie. Es waren Muschelzellen mit ganz schön vielen Flugkilometern.

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