Direkt zum Seiteninhalt springen

Portrait

Die nach den Sternen greift

Heike Rauer - Leiterin des Instituts für Planetenforschung. Bild: DLR

Heike Rauer sucht nach Planeten außerhalb des Sonnensystems und denkt darüber nach, wie sich außerirdisches Leben nachweisen ließe. Jetzt hat die Physikerin am Berliner Institut für Planetenforschung des DLR das Steuer übernommen.

Als Kind verfolgte sie fasziniert die Apollo-Missionen im Fernsehen, stöberte im Bücherregal ihres älteren Bruders durch Science-Fiction-Romane und las sich als Jugendliche quer durch ein Physiklexikon. "Ich wollte schon früh verstehen, wie die Dinge funktionieren, was die Welt zusammenhält", sagt Heike Rauer heute. Und doch: Fast hätte sie Kunstpädagogik studiert. "Die Schule hat mir die Physik komplett verleidet, es war richtig demotivierend." Gleich nach dem Abitur reichte sie deshalb ihre Mappe mit Zeichnungen und Bildern an einer Kunsthochschule ein. Dass sie abgelehnt wurde, sollte für sie zum Glücksfall werden. 

Sie schrieb sich erst einmal an der Universität Hannover für Physik ein, um die Wartezeit bis zur nächsten Bewerbung zu überbrücken. Tatsächlich kam im Jahr darauf eine Zusage der Kunsthochschule – aber sie sagte ab. Im Physikstudium hatte sie endlich gefunden, was sie sich von dieser Naturwissenschaft versprochen hatte: aus nur wenigen Grundannahmen die Welt zu erklären, Zusammenhänge aufzudecken. Heike Rauer zog das Studium durch, wurde am damaligen Max-Planck-Institut für Aeronomie und der Universität Göttingen zu Plasmaschweifen von Kometen promoviert und arbeitete als Forschungsstipendiatin der Europäischen Weltraumorganisation ESA am Observatorium Paris.

Am Berliner DLR-Institut für Planetenforschung, das sie heute leitet, ist sie seit 1997: Sie habilitierte sich an der TU Berlin und arbeitete als Professorin an internationalen Satellitenmissionen mit, die immer tiefer in die Geheimnisse der Planeten außerhalb unseres Sonnensystems eindringen. Sie trieb die PLATO-Mission zur Suche nach extrasolaren Planeten voran und leitet das Instrumentenkonsortium dieser ESA-Mission seit 2014 – ein wissenschaftliches Großvorhaben, mit Akteuren aus rund 100 Forschungseinrichtungen und der Raumfahrtindustrie. Das Akronym PLATO steht für PLAnetary Transits and Oscillations of stars; es bezeichnet ein Weltraumteleskop, das ab 2026 rund 1,5 Millionen Kilometer weit von der Erde entfernt Sterne in der Milchstraße untersuchen wird: PLATO zeichnet die kurzen Verdunkelungen auf, die entstehen, wenn Planeten auf ihrer Bahn zwischen das Teleskop und den Stern geraten, den sie umrunden. PLATO misst aber auch die seismischen Schwingungen der Sterne selbst. Wenn die Wissenschaftler diese Daten gesammelt betrachten, können sie daraus nicht nur auf Masse und Radius der Planeten schließen, sondern auch ihr Alter bestimmen – und zwar wesentlich genauer, als es bisher möglich ist.

Zusammen mit anderen Wissenschaftlern wies Heike Rauer zum ersten Mal Titanoxid auf dem 2000 Grad Celsius heißen Exoplaneten WASP-19b nach. Bild: M. Kornmesser/ESO

Seit Heike Rauer 2017 dem vorherigen Institutsdirektor Tilman Spohn nachfolgte, sitzt sie viel öfter als früher in Meetings, muss zuhören, diskutieren, Entscheidungen treffen und überzeugen. Aber genau das reizt sie auch an dieser Aufgabe: „Damit kann ich in gewisser Weise viel mehr für die Wissenschaft tun, als ich es mit reiner Forschungsarbeit könnte“, sagt sie. Um die 100 feste Mitarbeiter arbeiten am DLR-Institut für Planetenforschung an unterschiedlichen Projekten und Missionen, die alle mit der Erkundung von Planeten zu tun haben, innerhalb und außerhalb des Sonnensystems. 

Rauers eigenes wissenschaftliches Großprojekt bleibt die PLATO-Mission: Als Koordinatorin wird sie von einem Manager unterstützt, der das Tagesgeschäft übernimmt, die einzelnen Arbeitspakete sind an Expertenteams delegiert. Gerade am PLATO-Projekt zeigt sich auch, was für einen langen Atem Heike Rauer hat und welche hohe Frustrationstoleranz – zwei Kernkompetenzen in der Forschung. Sie war bereits bei der ersten Antragsstellung an die ESA im Jahr 2010 als Leiterin des wissenschaftlichen Programms beteiligt, basierend auf Jahren intensiver Vorbereitung. Dann kam die Absage. Aber Rauer gab nicht auf, sie setzte sich mit allen Kritikpunkten der Gutachter auseinander und schaffte es, ihre Leute neu zu motivieren. "Es gab mehrere Missionen, die ähnliche Zielsetzungen wie PLATO hatten, und ich habe wirklich gefragt: Lohnt sich das noch? Und wenn herausgekommen wäre: Ja, diese Missionen bringen schon genau die Informationen, die wir brauchen – dann hätten wir PLATO aufgegeben. Aber das Ergebnis war, dass unsere Mission einen großen Mehrwert bringt, vor allem, weil wir sehr viel präzisere Beobachtungen erwarten können." Bei der nächsten Auswahlrunde im Jahr 2014 bekam ihr Forschungsvorhaben grünes Licht. 

"Forschung ist für mich ein Lebensstil, nicht nur ein Job", sagt Heike Rauer. Die sportliche Frau ist jetzt Mitte 50, sie wirkt gelassen und sachlich. An ihren eng getakteten Terminkalender hat sie sich längst gewöhnt. Das Wochenende versucht sie freizuhalten, möglichst keine Mail zu lesen. Sie frühstückt ausgiebig mit ihrem Mann, schaltet im Garten ab oder segelt eine Runde auf dem Wannsee. Dann sitzt sie schon wieder am Schreibtisch und bereitet ihre Vorlesungen vor. Die viele Arbeit stört sie nicht, im Gegenteil: "Ich habe einen echten Traumberuf", sagt sie.

Um mit dieser Begeisterung auch andere anzustecken, will sie in ihrer Funktion als neue Leiterin das Institut noch stärker als bisher für Interessenten öffnen. Vor allem die Schülerlabore liegen ihr am Herzen: Den Jugendlichen zu zeigen, was Forschung wirklich ausmacht, und sie zu motivieren weiterzudenken – das findet sie wichtig. "Meine Erfahrung ist: Gerade die Astronomie kann Jugendliche begeistern, die sich mit der Frage nach dem Woher und Wohin auseinandersetzen. Es motiviert sie, schwierige Studiengänge anzugehen und eine gute Ausbildung in den Natur- und Ingenieurwissenschaften zu erhalten", sagt sie. 

Sie habe eigentlich immer nur das gemacht, was sie interessiert habe, sagt Heike Rauer im Rückblick, die Karriere habe sich dabei irgendwie von selbst ergeben. „In der Wissenschaft zu arbeiten, das ist ein harter Weg. Man weiß lange nicht, ob es klappt oder nicht. Auch ich habe manchmal gedacht: Das ist jetzt die letzte Konferenz – aber dann kam doch wieder ein gutes Angebot. Es ist wichtig, eigenen Forschungsinteressen zu folgen, nur dann ist man wirklich motiviert, auf dem langen Weg dabeizubleiben.“ Mit ihrer Leidenschaft für die Astronomie, das erfährt sie immer wieder, ist sie nicht allein: "Ich merke bei öffentlichen Vorträgen, wie sehr es die Menschen interessiert, was wir tun. Insbesondere auch die Frage, wie Planeten entstehen, wie sich Leben bildet und ob es auch um andere Sterne Planeten mit Leben gibt – das beschäftigt die Menschheit seit Tausenden von Jahren, aber heute können wir erstmals mit wissenschaftlichen Methoden Antworten auf diese Fragen finden", sagt sie. 

Und: Gibt es Planeten, auf denen Leben zu finden ist? Primitive Lebensformen, Einzeller, vielleicht deutlich andere als hier auf der Erde, hält Rauer genauso wie viele ihrer Kollegen für ziemlich wahrscheinlich, aber sie weiß auch: Die Meinungen sind nach wie vor geteilt. "Auch diejenigen, die Leben für extrem unwahrscheinlich halten, haben dafür gute Gründe", sagt Heike Rauer diplomatisch. Inzwischen haben die Forscher eine genauere Vorstellung davon, wie Organismen durch ihren Stoffwechsel die Atmosphäre um einen Planeten verändern könnten. Damit hinterlassen sie Spuren, an denen man sie erkennen kann. Möglicherweise, hofft Rauer, liefern die nächsten Missionen schon einige Antworten.

Weitere Forscherportraits

Leser:innenkommentare