Direkt zum Seiteninhalt springen

Verkehrsforschung

Die Verkehrswende steckt im Stau

Die Zahl der Pwk in Deutschland wächst jedes Jahr um 500.000 bis 700.000 Fahrzeuge – dabei wird das Auto durchschnittlich nur 46 Minuten pro Tag genutzt. (Bild: Unsplash/Markus Spiske).

Verstopfte Straßen, Staus, unbeliebter ÖPNV: Deutschland ist noch immer weit von einer echten Verkehrswende entfernt. Die Corona-Pandemie verschärft die Dominanz des Autos zusätzlich. Forscher fordern, die Privilegien für Pkw abzuschaffen.

Anne Klein-Hitpaß ist Projektleiterin Städtische Mobilität bei dem Thinktank Agora Verkehrswende. (Bild: Agora Verkehrswende).

„Eines ist schon lange klar: Ohne eine Wende in der Mobilität wird die Energiewende nicht funktionieren“, sagt Anne Klein-Hitpaß. Die Wissenschaftlerin ist Projektleiterin für Städtische Mobilität bei dem Thinktank Agora Verkehrswende. Sie hat eine Studie in Auftrag gegeben, die den aktuellen Stand der Verkehrswende genauer unter die Lupe nehmen und mögliche Baustellen aufzuzeigen aufzeigen soll.

Das Auto – des Deutschen liebstes Kind

Davon haben Claudia Nobis und ihre Arbeitsgruppe „Verkehrsverhalten“ am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) gleich mehrere gefunden. „Es scheint fast schon so etwas wie ein Naturgesetz zu sein, dass die Pkw-Flotte in Deutschland jährlich um 500.000 bis 700.000 Fahrzeuge wächst", bringt die Forscherin eine der wichtigsten Erkenntnisse aus ihrer Studie auf den Punkt. „Diese stete Zunahme an Autos ist wirklich eine große Herausforderung“, greift Anne Klein-Hitpaß den Faden auf. „Wenn ganz Deutschland heute in seine Autos steigen würde, müsste niemand auf die Rückbank. Jeder fände auf einem der Vordersitze Platz. Das ist sehr ernüchternd.“

Auch wenn man die Klima-, und Umweltfolgen durch den Autoverkehr außer Acht lässt, ist die schiere Anzahl der Pkw ein Problem. „Denn Autos nehmen sehr viel öffentlichen Raum ein und werden dabei nur wenig bewegt.“ Im Durchschnitt, sagt die Studie, wird ein Pkw nur etwa 46 Minuten am Tag genutzt. Den Rest wartet er auf privaten Grundstücken oder öffentlichen Parkplätzen auf seinen nächsten Einsatz. „Das zeigt uns, welch hohen Stellenwert die Freiheit einnimmt, die ein eigenes Auto zweifelsohne bietet“, sagt Claudia Nobis.

„Wenn ganz Deutschland heute in seine Autos steigen würde, müsste niemand auf die Rückbank.“

Es sei aber nicht nur die reine Menge an Pkw, die steigt. Wir Deutschen seien auch immer mehr unterwegs – und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten. Für Anne Klein-Hitpaß ist das nicht nur wegen der Emissionen bedenklich. Denn die ließen sich beispielweise mit Elektroautos minimieren. „Es kann jedoch nicht das Ziel sein, die heutige Pkw-Flotte eins zu eins durch Elektroautos zu ersetzen“, sagt sie. „Natürlich geht es auch nicht darum, die Freiheit der Menschen einzuschränken, sondern die Privilegien, die das Auto gegenüber anderen Verkehrsmitteln genießt, abzuschaffen“, verdeutlicht sie ihren Standpunkt. „Das ist eine Wettbewerbsverzerrung.“ Autos, vor allem parkende Autos, blockieren Platz, an dem zum Beispiel Radwege gebaut oder Busspuren errichtet werden könnten. Bei den Preisen von Anwohnerparkausweisen oder den Bußgeldern für Falschparker sind den Kommunen allerdings bisher rechtliche Grenzen gesetzt.

Claudia Nobis leitet die Arbeitsgruppe „Verkehrsverhalten“ am Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). (Bild: DLR).

Damit mehr Menschen vom Auto auf klimafreundliche Verkehrsmittel umsteigen, sollten alle Verkehrsträger gleichrangig behandelt werden. „Um diese Privilegierung zu ändern, muss das aktuelle Straßenrecht, insbesondere die Straßenverkehrsordnung angepasst werden“, sagt sie. „Kommunen brauchen mehr Handlungsspielräume, um Maßnahmen für klimafreundliche Mobilität und lebenswerte Städte umsetzen zu können.“ Dazu gehöre auch ein attraktives ÖPNV-Angebot, das in vielen Orten deutlich ausgebaut werden müsse.

Der öffentliche Verkehr – das Sorgenkind

Das sei vor allem deshalb wichtig, weil der öffentliche Verkehr nach wie vor ein Sorgenkind der Verkehrswende ist. Claudia Nobis‘ Untersuchungen bestätigen das. „Wir haben festgestellt, dass der öffentliche Verkehr von allen Fortbewegungsmitteln am unbeliebtesten in der Nutzung und die Zufriedenheit damit am geringsten ist.“ Allerdings, fügt sie hinzu, hänge dies stark von den Vorlieben der Befragten ab. Wer häufig Bus und Bahn fährt, urteilt milder über den ÖPNV als die Anhänger des Individualverkehrs.

„Wir müssen die Privilegien, die das Auto gegenüber anderen Verkehrsmitteln genießt, abschaffen.“

Zwar fahren die Deutschen quer durch alle Altersgruppen mehr mit dem Fahrrad – jedoch haben die Radkilometer nur einen geringen Anteil am Gesamtverkehr. (Bild: pixabay/S.Hermann, F. Richter)

Doch es gibt auch Lichtblicke. „Die Menschen fahren mehr mit dem Fahrrad“, freut sich die DLR-Wissenschaftlerin. „Das Rad ist in allen Lebensphasen populär und das nicht nur zum Sport.“ Im Großen und Ganzen, fügt sie einschränkend hinzu, würde sich der Zuwachs bei den Wegen in der Gesamtanzahl der Kilometer jedoch nur nach dem Komma bemerkbar machen. Denn die Radkilometer haben einen sehr geringen Anteil am Gesamtverkehr. Und auch aus einem weiteren Grund kann dieser Trend nur wenig am Gesamtbild der Verkehrswende ändern. „Wir beobachten eine starke Motorisierung der Senioren“, sagt Claudia Nobis. Was auf den ersten Blick nach selbstbestimmten Lebensabenden klingt, birgt für Anne Klein-Hitpaß mögliche Probleme. Sie erklärt: „Es ist die Babyboomer-Generation, die heute mit eigenem Pkw in den Ruhestand geht. Und das sind absolut gesehen sehr viele Menschen. Das macht die positiven Entwicklungen zum Beispiel beim Fahrrad fast komplett zunichte.“

Die Corona-Pandemie prägt neue Routinen

Und noch ein Umstand wirft heftig Sand ins Getriebe der Verkehrswende: COVID-19. „Die Corona-Pandemie ist eine sehr scharfe und harte Zäsur“, fasst Anne Klein-Hitpaß zusammen. „Das Auto und das Fahrrad profitieren, der öffentliche Verkehr gerät unter Druck.“ Wie sich das Verkehrsverhalten in während der Pandemie gewandelt hat, hat Claudia Nobis in drei Studien untersucht.

Eine wichtige Erkenntnis: „Wer unterwegs ist, steigt ins Auto und aufs Rad – zumindest, solange das Wetter mitspielt. In den öffentlichen Verkehrsmitteln hingegen fühlen sich die Menschen unwohl.“ Unterschiede gibt es natürlich auch hier. Wer schon vor der Pandemie multimodal unterwegs war, also je nach Situation flexibel zwischen verschiedenen Verkehrsmitteln gewählt hat, dem fällt dies auch jetzt leichter. Trotzdem liegt eine große Gefahr für Claudia Nobis auf der Hand: Was als durchaus verständliche Reaktion auf eine ungewöhnliche Situation begonnen hat, kann sich mit steigender Dauer verfestigen. „Wäre die Pandemie nach der ersten Welle vorüber gewesen, hätte sich sicher alles wieder eingependelt“, glaubt die Forscherin. „Aber nun ist Zeit, über Monate hinweg neue Routinen zu lernen. Und damit wächst die Gefahr, dass diese auch über die Pandemie hinaus bestehen bleiben.“ Eine neue Routine sei, dass immer mehr Menschen den privaten Pkw nutzen – und zwar unabhängig von der Jahreszeit, im Sommer wie im Winter. Verfestigt sich dieser Trend, wäre das ein weiterer Dämpfer für die Verkehrswende in Deutschland.

Studie „Baustellen der Mobilitätswende“

DLR-Studie zur Mobilität in der Corona-Pandemie

Leser:innenkommentare