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HELMHOLTZ Extrem

Der kälteste Punkt des Universums

Der Fallturm in Bremen - im Inneren ein Ort extremer Kälte. Bild: Stefan Schmidbauer / ZARM

Nicht etwa in den unendlichen Weiten des Weltalls, sondern in den irdischen Laboren der Forscher ist es so kalt wie sonst nirgendwo im Universum.

Auch Wissenschaftler lieben Rekorde. Tieftemperaturphysiker und Weltraumforscher lächeln über den kältesten Ort Deutschlands: den Fuentensee mit -45,8 Grad. Die kälteste bewohnte Siedlung, nämlich Oimjakon liegt in Sibirien und hält den Rekord mit -67.8 Grad. Aus Sicht der Physiker respektabel. Der kälteste Punkt, der auf der Erde je gemessen wurde, befindet sich bei einem Bergrücken nahe des Dome Argus in der Arktis. Dort wurden im Jahr 2010 rund -93,2 Grad gemessen. Beachtenswert. Im All selber herrschen in der Regel Temperaturen um die -270 Grad. Doch wo liegt der kälteste Punkt des Universums? Dieser liegt in den Laboren der Forscher auf der Erde wie auch in den Händen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) der Helmholtz-Gemeinschaft.

Wie ist das möglich?

Die uns derzeit bekannten physikalischen Gesetze ermöglichen es, die Entwicklung unseres Universums ab einem winzigen Sekundenbruchteil nach dem Urknall zu beschreiben. Dort herrschten anfangs fast unvorstellbar hohe Temperaturen. Mit der Expansion des Universums sank allerdings die Temperatur - bis heute auf etwa minus 270 Grad Celsius. Die Ausdehnung des Raumes dehnte nämlich auch die Wellenlänge der elektromagnetischen Strahlung bis in den Mikrowellenbereich zwischen 1 Meter und 1 Millimeter. Im Weltraum kann die Wärme nicht - wie wir es von einer Herdplatte oder der Wolkenbildung her kennen - durch Leitung bzw. Konvektion übertragen werden, da im Vakuum des Weltalls kaum "Teilchen" zum Transport der Wärme zur Verfügung stehen. Im Weltraum ist die Wärmeübertragung ausschließlich durch Strahlung mit Emission und Absorption möglich. Natürlich geht dies auch auf der Erde; ein bekanntes Beispiel ist die Mikrowelle. Die beständige Ausdehnung des Weltalls "verdünnt" nun die Wärmewirkung der elektromagnetischen Strahlung immer weiter, ähnlich einem Gummiband, welches bei einer Dehnung immer dünner wird.

Die elektromagnetische Strahlung wird heute gleichmäßig aus allen Richtungen des Weltalls gemessen - daher die Bezeichnung "Hintergrundstrahlung". Im gesamten All gibt es gibt nur geringfügige Abweichung. Die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung sorgt somit für ein gleichmäßiges "Weltraumklima". Sie würde jedes kältere Objekt auf die Weltraumtemperatur von minus 270 Grad Celsius "aufheizen". Dies ist ein Problem für Raumsonden, die die Hintergrundstrahlung mittels Infrarotsensoren messen wollen, denn sie müssen ja kälter sein als das durchschnittliche Weltraumklima, um eben auch Abweichungen unterhalb des Durchschnitts erfassen zu können.

Kann es auch im Universum Orte mit weniger als -270 Grad Celsius geben? Ja, wenn sie abgeschirmt und aktiv gekühlt werden. Und dieses haben die Wissenschaftler mit dem europäischen Infrarot-Observatorium Herschel geschafft.

Kälte ins Weltall bringen

Es ist schon verrückt. Die Weltraumforscher müssen den Weltraum punktuell noch kälter machen, um die Restwärme nach dem Urknall präzise messen zu können. Dazu haben die Wissenschaftler die irdische Technologie der Tieftemperaturphysik in den Weltraum gebracht. Weltraumsonden, wie das Hubble Space Telescope und die Rosetta Mission, arbeiten grob gesagt am besten zwischen -20 bis + 50 Grad. Dafür haben sie spezielle Thermalkontrollsysteme an Bord. Diese Systeme der Sonden operieren im sichtbaren Licht.

Anders ist dies punktuell bei Weltraumteleskopen im Infrarot-Bereich. Ihnen kann es im für den Menschen unsichtbarem Lichtspektrum gar nicht kalt genug sein. Jegliche Eigenwärmestrahlung verfälscht die Messergebnisse der Sensoren. Schließlich will man eine möglichst störungsfreie "Wärmelandkarte" des Universums zeichnen, die möglichst alle Kältebereiche abdeckt.

Deswegen bekam das Weltraumteleskop Herschel für seinen Hauptspiegel, der einen Durchmesser von dreieinhalb Meter aufwies, eine große, isolierte Wärmeabschirmung in Richtung Sonne und Erde. Zusätzlich wurde das Teleskop aktiv gekühlt. Die langsame Verdampfung von mehr als 2000 Litern flüssigen Heliums kühlte das Teleskop bis auf beinahe minus 271 Grad Celsius ab. Das Prinzip war irdisch und technisch erprobt. Es funktionierte ähnlich wie der Verdunstungskälte-Mechanismus eines Kühlschranks. Die überschüssige Wärme wurde mit Hilfe von Radiatoren in den Weltraum abgestrahlt. Diese Technologie ermöglichte es Herschel interstellare Staubwolken zu durchdringen, den Blick in fernste kosmische Regionen zu richten und den Forschern neue Erkenntnisse über die Entstehung von Galaxien und Sternen zu ermöglichen. Das DLR-Raumfahrtmanagement finanzierte die Mission bzw. die Wissenschaft der Mission.

Tatort Erde: Kälter als das Universum

Der absolute Nullpunkt, also die theoretisch tiefste Temperatur, liegt noch ungefähr drei Grad niedriger als die Weltraumtemperatur, nämlich bei minus 273,15 Grad Celsius. Bis auf wenige millionstel Grad wird diese niedrigste Temperatur in den Labors der Tieftemperaturphysiker erreicht. In Deutschland können mehrere Dutzend Labore mit einem Helium Gemisch von 3 He und 4 He an Temperaturen bis etwa 1 Millikelvin - also bis circa eintausendstel Grad Celsius an den absoluten Nullpunkt - herangelangen. Das Walther-Meißner-Institut für Tieftemperaturforschung in Garching bspw. untersucht bei diesen Extremtemperaturen die Eigenschaften von supraleitenden Quantenschaltkreisen aus Niob und Aluminium.

Es gibt aber nur wenige Orte weltweit an denen Wissenschaftler dem absolutem Nullpunkt so nahe sind wie in Bremen. Der dortige Fallturm wird vom Zentrum für Angewandte Raumfahrttechnologie und Mikrogravitation (ZARM) betrieben. In dem 120 Meter hohen Turm katapultieren die Wissenschaftler "Kühlschränke" hoch und lassen diese 120 Meter tief fallen. Die Forscher schließen in ihrem "Kühlschrank" mit Hilfe spezieller Verfahren Atomwolken ein. Sie benutzen zum "Festhalten" der Atomwolken Magnetfallen und zur Kühlung Laserlicht. Den Forschern gelingt es so im DLR-Verbundprojekt Quantus Temperaturen zu erzeugen, die nur noch ein Milliardstel Grad Celsius (Nanokelvin) vom absoluten Nullpunkt entfernt sind.

Was hat Kälte mit Autofahren zu tun?

Das Ziel des Quantus-Teams ist, mit hochpräzisen Messungen die Einsteinische Relativitätstheorie und sein Äquivalenzprinzip zu überprüfen, welches besagt, dass alle Teilchen im freien Fall sich gleich schnell bewegen. Dazu untersuchen und vergleichen sie Einstein-Bose Atomwolken (extremer Aggregatzustand) während des freien Falls im Vakuum. Die Wissenschaftler strahlen in dieser kurzen Zeit kontrolliert Laserlicht aus allen Raumrichtungen ein, um damit die Eigenbewegungen aller Atome in der Wolke abzubremsen (Dopplereffekt). Die mittlere Geschwindigkeit nimmt ab, das Gas wird kälter. Die große Kälte verlangsamt wiederum die Ausdehnung der Atomwolken und ermöglicht dadurch Messungen mit sehr hoher Präzision. "Unsere Experimente im Fallturm sind mit rund 9,3 Sekunden Schwerelosigkeit schon vielversprechend. Voraussichtlich im Frühjahr 2016 starten wir die erste von drei geplanten Forschungsraketen, um eine größere Zeitspanne in der Schwerelosigkeit zu erhalten", so Dr. Rainer Forke, vom DLR-Raumfahrtmanagement.

Das langfristige Ziel der Forscher ist, die Messungen auf Satelliten durchzuführen, denn umso länger die Schwerelosigkeit anhält, umso genauer werden die Messergebnisse sein. Letztendlich geht es auch hier wieder um ganz irdische Dinge. "Für die Klärung von fundamentalen Fragen der Physik brauchen wir Hochleistungsmessgeräte von größter Präzision. Dies hat praktische Auswirkungen. Umso genauer wir bspw. Länge, Zeit und Frequenz bestimmen können, umso besser wird in der Folge auch die Satellitennavigation werden, die ja bereits heute vielfältige Anwendungen hat. Eine hochpräzise Satellitennavigation ist bspw. eine entscheidende Voraussetzung für die geplanten selbstfahrenden Autos und LKWs," erläutert Dr. Rainer Forke.

Extremkälte im Alltag

Es muss ja nicht gleich ein Urlaub am Fuentensee, in Oimjakon oder in der Gebirgslandschaft des Dome Argus sein. Gerade in der Medizin treffen wir in unserem Alltag ebenfalls auf rekordverdächtige Minus-Temperaturen. Bspw. steht die Kältekammer des Immanuel-Krankenhauses in Berlin allen Patienten mit entzündlichen Gelenkserkrankungen sowie Sportlern zur Regeneration zur Verfügung. Die therapeutische Anwendung findet über maximal zweieinhalb Minuten bei einer Temperatur von -110 Grad statt. Noch kälter wird es bei Untersuchungen mittels eines Kernspintomographen. Arbeitet das Gerät mit einem supraleitenden Magneten, dürften rund 4,2 Kelvin oder -269 Grad Celsius gut abgeschirmt in der direkten Nähe des Patienten herrschen. Viel extremer geht es selbst im Weltall nicht mehr zu.

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