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Langzeitfolgen von COVID-19

Was wir über Long-COVID wissen

Aktuell ist noch nicht abzuschätzen, wie lange längerfristige Auswirkungen andauern können, wie gut sie therapierbar sind und wie groß der Anteil der Betroffenen ist, der bleibende Auswirkungen mit sich tragen wird. Besonders über die gesundheitlichen Langzeitfolgen bei Kindern und Jugendlichen ist noch wenig bekannt. (Bild: Engin Akyurt/pixabay)

Viele Menschen klagen auch nach einer Corona-Infektion über bleibende Symptome. Zu den Ursachen gibt es erst wenige belastbare Erkenntnisse. Forscher finden nun allmählich mehr heraus.

Die Zahlen sind bemerkenswert: „Haben Sie nach Ihrer Covid-Erkrankung eines der folgenden zwölf Symptome gespürt“, fragten britische Forscher ihre fast 27.000 Probanden aller Altersgruppen und legten ihnen eine Liste vor, die von Kopfschmerzen und Fieber bis zu Atemnot und Verlust des Geruchssinns reichte. Vier bis acht Wochen nach der Erkrankung berichteten demnach 9,4 Prozent der Teilnehmer von Spätfolgen. 12 bis 16 Wochen nach der Erkrankung hat sich diese Zahl auf fünf Prozent fast halbiert.

Aktuelle Studien bringen nun allmählich valide Daten ans Licht.

Die Studie, herausgegeben vom Office for National Statistics in England, gehört zu den jüngsten Untersuchungen, mit denen die Wissenschaft einem schwer greifbaren Phänomen nachspürt: „Long Covid“ ist die Sammelbezeichnung für Beschwerden, unter denen Patienten noch lange nach ihrer Corona-Erkrankung leiden. Welche physiologischen Mechanismen hinter diesen Spätfolgen stehen und wie viele Covid-Patienten überhaupt betroffen sind – darüber gibt es bislang nur Vermutungen und eher vage Schätzungen. Aktuelle Studien bringen nun allmählich valide Daten ans Licht.

Prof. Dr. Ulrike Protzer ist Institutsdirektorin des Instituts für Virologie am Helmholtz-Zentrum München und Leiterin des Instituts für Virologie an der TU München. (Bild: HMGU)

„Die Beschwerden halten bei manchen Patienten ein halbes Jahr oder auch ein ganzes Jahr an“, sagt Ulrike Protzer, Virologin am Helmholtz-Zentrum München: „Aber man weiß, dass die Beschwerden kontinuierlich abnehmen.“ Interessant seien Berichte von Betroffenen, die sich dauerhaft beeinträchtigt gefühlt hätten – bis zu dem Moment, als sie sich impfen ließen. „Es gibt dazu noch keine Studiendaten, aber anhand dieser Berichte könnte man spekulieren, dass bei den Patienten ein Rest vom Virus im Körper übriggeblieben war, der die Beschwerden verursacht hatte. Mit diesen Resten kam das Immunsystem dann klar, nachdem es durch die Impfung gestärkt worden ist“, vermutet Ulrike Protzer.

Erlanger Forscher vom Max-Planck-Institut für Physik und Medizin sowie vom Deutschen Zentrum für Immuntherapie fanden unlängst heraus, dass die roten Blutkörperchen bei Covid-Patienten verformt sind. „Klar ist, dass im Zuge einer Erkrankung oft die Blutzirkulation beeinträchtigt ist, es zu gefährlichen Gefäßverschlüssen kommen kann und der Sauerstofftransport im Blut nur eingeschränkt funktioniert“, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie zu der Corona-spezifischen Ausgangslage. Die weißen Blutkörperchen – verantwortlich vor allem für die Immunabwehr – waren nach ihren Ergebnissen bis zu sieben Monate nach der Infektion mit Covid-19 verändert. Das könne die Long-Covid-Symptome wie Atemnot, Müdigkeit, Konzentrationsstörungen sowie der Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns erklären, heißt es in der Mitteilung des Max–Planck-Instituts.

„Das ist keine Depression oder keine psychische Erkrankung, sondern eine messbare körperliche Einschränkung.“

Die Virologin Ulrike Protzer teilt die Long-Covid-Problematik in drei Kategorien ein: Erstens seien da jene Erkrankungen, die auf die psychologische Belastung zurückzuführen seien – „und die unterschätzt man gemeinhin stark: Wir wissen auch von anderen Erkrankungen, wie belastend die Angst davor sein kann, eine Gefahr für seine Umgebung darzustellen. Und bei den schweren Verläufen ist etwa die Angst zu ersticken etwas, das lange nachwirkt.“ Die zweite Kategorie bilden körperliche Beschwerden wie Kreislaufprobleme oder ein verlorener Geschmacks- und Geruchssinn. Und als dritte Kategorie nennt Ulrike Protzer das chronische Erschöpfungssyndrom, das auch als Chronic Fatigue bezeichnet wird. „Das ist keine Depression oder keine psychische Erkrankung, sondern eine messbare körperliche Einschränkung; vermutlich eine überschießende Entzündung, eine Störung in der Nervenleitung.“ Das Chronik Fatigue-Syndrom ist unter Medizinern bereits als Spätfolge nach anderen Viruserkrankungen bekannt: Patienten nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus leiden, können davon betroffen sein. Wer einen schweren COVID-19 Verlauf durchmacht, hat Virologin Ulrike Protzer beobachtet, ist häufiger von Spätfolgen betroffen – und am häufigsten diejenigen, die auf der Intensivstation behandelt werden mussten. Das sei allerdings ein Phänomen, das generell auch bei anderen Intensiv-Patienten zu beobachten sei, die nicht wegen Corona behandelt würden: so kommt es oft nach einer maschinellen Beatmung oder allein schon durch den gestörten Tag-Nacht-Rythmus häufig zu längerfristigen Gesundheitsproblemen.

„Es ist aktuell noch nicht möglich sicher abzuschätzen, wie lange längerfristige Auswirkungen andauern können.“

Beim Robert-Koch-Institut nutzt man zur Definition von Long Covid eine Einteilung in unterschiedliche Phasen, die auf britische Forscher zurückgeht: Phase eins ist die akute Krankheitsphase, gefolgt von der „subakuten“ Phase von Woche vier bis Woche zwölf nach Erkrankung und schließlich das „Post-Covid-Syndrom“, unter dem Symptome zusammengefasst werden, die noch mehr als zwölf Wochen nach der Erkrankung auftreten. „Menschen, die an Long Covid leiden, sind nicht ansteckend“, heißt es beim Robert-Koch-Institut, und weiter: „Es ist aktuell noch nicht möglich sicher abzuschätzen, wie lange längerfristige Auswirkungen andauern können, wie gut sie therapierbar sind und wie groß der Anteil der Betroffenen ist, der bleibende Auswirkungen mit sich tragen wird. Besonders über die gesundheitlichen Langzeitfolgen bei Kindern und Jugendlichen ist noch wenig bekannt.“

Anhaltspunkte dazu liefert jetzt immerhin die aktuelle britische Studie. Frauen sind demnach häufiger betroffen als Männer, Ältere häufiger als Jüngere (3,6 Prozent bei den 17-24 Jährigen gegenüber 5,8 Prozent bei den am stärksten betroffenen 50-69 Jährigen). Bei Patienten mit Vorerkrankungen treten die Symptome häufiger auf.

Neu an der britischen Studie ist auch, dass sie erstmals mit einer Kontrollgruppe arbeitet: Nach den zwölf für Long-Covid typischen Symptomen wurden auch parallele Probanden-Gruppen befragt, die keine Coronavirus-Infektion durchgemacht haben. Bis zu 24 Wochen nach einer Corona-Erkrankung treten diese Symptome unter den Patienten signifikant häufiger auf als in der Vergleichsgruppe; danach allerdings seien sie ähnlich häufig zu beobachten. Das könne an der „relativen Gewöhnlichkeit dieser Symptome in der Bevölkerung zu jedem beliebigen Zeitpunkt“ liegen, folgern die Forscher. „Die gute Nachricht: Bei der Gruppe der zwei- bis elfjährigen Kinder waren Long-COVID Symptome in der Studie nicht häufiger als in der Vergleichsgruppe“, betont Ulrike Protzer. „Das ist deshalb so wichtig, weil wir diese Kinder ja nicht durch eine Impfung schützen können“.

Spezielle Ambulanzen, die sich mit dem Long-Covid-Syndrom beschäftigen, gibt es in Deutschland inzwischen an fast allen größeren Kliniken. Virologen sind dort allerdings in den seltensten Fällen beschäftigt; meistens ist es ein Team, das aus Experten für kardiologische, pulmonologische, neurologische und psychosomatische Erkrankungen besteht. „So ein breit spezialisiertes Team ist auch notwendig“, sagt die Münchner Forscherin Ulrike Protzer, „weil das Krankheitsbild so ungeheuer gemischt ist.“

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