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Corona-Bürgerforschungsprojekt

Beeinflusst die Pandemie unsere geistige Fitness?

Das Bürgerforschungsprojekt des DZNE basiert auf einer kostenfreien App für Smartphones und Tablets mit verschiedenen Gedächtnistests (Bild: DZNE).

Wie verändert eine COVID-19-Erkrankung die Gedächtnisleistung? Und welche Rolle spielt die psychische Belastung durch die Pandemie? Mit einer App wollen Hirnforscher mögliche Effekte auf das Gehirn untersuchen. Bürger ab 18 Jahren können mitmachen – auch diejenigen, die nicht an COVID-19 erkrankt sind.

Erschöpfung, Kurzatmigkeit, Geruchs- und Geschmacksverlust und in schlimmen Fällen Nieren- oder Leberschäden – das sind mögliche, bisher bekannte Folgen einer Infektion mit SARS-CoV-2. Mittlerweile gibt es immer mehr Anzeichen, dass sich die Krankheit  außerdem negativ auf die Gedächtnisleistung und das Gehirn auswirken kann. Mit einer Langzeitstudie will ein Team des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) an der Universitätsmedizin Magdeburg dieser Frage auf den Grund gehen. Dazu erheben und vergleichen die Forscher Daten von COVID-19-Erkrankten und gesunden Menschen, die alle Teilnehmer über eine Smartphone-App bereitstellen.

Das Projekt setzt auf breite Bürgerbeteiligung: Mitmachen können Erwachsene ab 18 Jahren aus ganz Deutschland – und zwar unabhängig davon, ob sie bereits eine COVID-19-Erkrankung durchgemacht haben oder nicht. Die dazu notwendige App ist kostenlos und ruft ihre Benutzer regelmäßig dazu auf, ihr Gedächtnis zu testen – zunächst wöchentlich, später seltener. Der Testablauf umfasst verschiedene spielerische Aufgaben, die insgesamt etwa eine Viertelstunde dauern. Zum Beispiel müssen sich die Probanden die Lage von Objekten merken oder erkennen, ob es sich bei den in der App dargestellten Fotos um Innen- oder Außenaufnahmen handelt. Die Aufgaben testen gezielt bestimmte Hirnbereiche und kognitive Fähigkeiten.

Emrah Düzel ist Sprecher des DZNE-Standorts Magdeburg und Direktor des IKND an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. (Bild: DZNE / www.schmelz-fotodesign.de)

Erfahrungen konnte das Forscherteam bereits in anderen Projekten sammeln. „In einer älteren Studie hatten wir uns auf ganz ähnliche Art mit den Effekten einer Erkältung auf die Gedächtnisfunktion beschäftigt“, erklärt Studienleiter Emrah Düzel, Sprecher des DZNE-Standorts Magdeburg und Direktor des IKND an der Medizinischen Fakultät der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Dabei habe sich gezeigt, dass die Kombination aus App, für die die Forscher mit dem Magdeburger Startup neotiv zusammenarbeiten, und die Beteiligung der breiten Öffentlichkeit wissenschaftlich fundierte Ergebnisse liefern könne.

Isolation und mangelnde Bewegung können die Gedächtnisleistung mindern

„Diesen Ansatz der Bürgerforschung, bei der möglichst viele Menschen unterschiedlichen Alters sowie mit und ohne Vorerkrankung befragt werden, haben wir nun an die Corona-Pandemie angepasst.“ Ziel ist, einen umfassenden Eindruck der psychosozialen Situation der Menschen und ihrer Gedächtnisleistung in Zeiten der Pandemie zu gewinnen. Denn nicht nur eine COVID-19-Erkrankung, sondern auch die generelle psychische Belastung – so die Theorie der Forscher – kann die geistige Fitness beeinträchtigen. Deshalb untersuchen sie auch Effekte der Pandemiebewältigung wie die soziale Isolation und die Kontaktreduzierung. „Wir nehmen an, dass diese Einschränkungen gerade bei älteren Menschen zu kognitiven Probleme führen können“, führt Düzel aus. Mangelnde Bewegung, wenige soziale Kontakte und Vereinsamung hätten starke Effekte auf die Gedächtnisleistung vor allem bei Älteren.

Möglicher Zusammenhang zwischen Geruchsverlust und Gedächtnisproblemen

Außerdem vermuten die Forscher, dass eine der markantesten Symptome einer COVID-19-Erkrankung – der Verlust der Riechfähigkeit –mit Gedächtnisproblemen in Zusammenhang steht. „Der Riechnerv steht mit den Gedächtnisarealen in Kontakt und es gibt Hinweise darauf, dass dies eine Pforte sein könnte, durch die das Virus zu diesen Arealen im Gehirn gelangt. Deswegen ist dies eine zusätzliche Frage, der wir nachgehen wollen.“

Mitmachen für die Forschung

Über zwei Jahre sollen im Idealfall 5.000 Teilnehmer befragt werden, von denen zwischen fünf und zehn Prozent eine Infektion durchgemacht haben. Erste Ergebnisse erwarten die Experten bereits im Sommer, sofern genügend Personen mitmachen. Düzel ist optimistisch: „Man kann von niemandem verlangen, so oft in ein klinisches Zentrum zu fahren und sich über einen so langen Zeitraum kognitiv untersuchen zu lassen.“ Auf dem Handy aber sei der Test spielerisch und unkompliziert durchführbar und die Schwelle zur Beteiligung entsprechend niedrig.

Wie die Forscher betonen, gibt die App kein Feedback, ob die Teilnehmer beim Gedächtnistest gut oder schlecht abschneiden. Vielmehr erfolgt die anonyme Teilnahme ohne unmittelbare Ergebnisse und Auswertung. „Es sollte immer mit einem Arzt diskutiert werden, was Gedächtniseinbuße bedeuten“, bemerkt Düzel, „denn sie können von klinisch weitreichender Bedeutung sein. Wir möchten nicht, dass die Nutzer der App allein gelassen werden mit eventuell problematischen Ergebnissen und diese nicht einordnen können.“ Deshalb sei die Beteiligung als Dienst an der Wissenschaft zu betrachten. „Mit unserem Projekt wollen wir dazu beitragen, den Einfluss der Erkrankung auf das Gehirn besser zu verstehen. Und die Teilnehmenden können mit ihrem Engagement helfen, dass wir die Folgen von COVID-19 genauer verstehen und lernen, besser damit umzugehen“, fasst der Forscher den Mehrwert zusammen.

Projektbeschreibung und Download der App

Pressemitteilung des DZNE

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