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Geothermie

Energie aus dem Erdinneren

Die Geothermie-Anlage in Sauerlach nutzt 140 Grad Celsius warmes Wasser in 4.200 Metern Tiefe um Heizwärme und Strom zu erzeugen. Bild: Stadtwerke München

99 Prozent der Erdmasse sind heißer als 1000 Grad Celsius. Täglich strahlt 2,5 mal so viel Energie aus dem Erdinneren ungenutzt in den Weltraum, wie weltweit an Energie benötigt wird. Können wir dieses Potential mittels Geothermie nutzen? In Island werden 90 Prozent der Haushalte mit Wärme aus der Tiefe versorgt und Wasserdampf treibt Kraftwerksturbinen an. In Deutschland ist die Lage komplexer

Wir leben auf einem Feuerball. Und doch bekommen wir auf der vergleichsweise dünnen Erdkruste nur selten einen Eindruck von den gewaltigen Energien unter uns – von der Restwärme aus der Entstehungszeit unseres Planeten, von den radioaktiven Zerfallsprozessen. Etwa wenn ein Vulkan ausbricht. Oder wenn die Fontäne eines Geysirs emporschießt.

Geothermie zur Stromerzeugung wurde erstmals 1904 in der Toskana eingesetzt. Später kamen einige Projekte in Ländern mit vulkanischen Aktivitäten hinzu. Mit der ersten Ölkrise wurden Geothermieprojekte auch in anderen Gegenden interessant, etwa im Pariser Becken. Die großen Vorteile der Erdwärme: Sie ist CO2-neutral und unabhängig von Tageszeiten oder Wetterverhältnissen nutzbar.

Bei der oberflächennahen Geothermie bohren Spezialisten maximal 400 Meter tief und fördern bis zu 25 Grad warmes Wasser. Um daraus „heißes“ Wasser zu machen, müssen Wärmepumpen weitere Wärme erzeugen. Es braucht also immer noch zusätzliche Energie, nur eben weniger als bei kaltem Leitungswasser. Wie ökologisch vorteilhaft die Gesamtbilanz einer solchen Anlage ausfällt, hängt wesentlich davon ab, ob der eingesetzte Strom aus erneuerbarer Energie stammt.
Rund 300.000 dieser oberflächennahen Geothermieanlagen sind in Deutschland in Betrieb und leisten mehr als 3.100 Megawatt. „Derzeit wird jeder fünfte Neubau mit oberflächennaher Geothermie beheizt. Bei Altbausanierungen ist der Aufwand höher, hier setzt sich die Technik langsamer durch“, sagt der Geowissenschaftler Ernst Huenges, Sprecher des Forschungsprogramms "Geothermische Energiesysteme" in der Helmholtz-Gemeinschaft. Am Helmholtz-Zentrum Potsdam - Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ leitet er das Internationale Geothermiezentrum. Bundesweit werden laut des Bundesverbandes Geothermie gegenwärtig rund 240 Megawatt Wärmeleistung und 25 Megawatt elektrische Leistung durch geothermische Anlagen bereitgestellt. Etwa 60 weitere Anlagen werden gerade geplant oder gebaut.
Doch der Wasserverbandstag mahnt zur Vorsicht: „In der Vergangenheit hat die Gefährdung des Grundwassers durch Anlagen der oberflächennahen Geothermie insbesondere aufgrund von unsachgemäßer Ausführung und fehlender Planung und Kontrolle zugenommen“, warnt der Verein in seinem Positionspapier Geothermie. Und: „Die genauen Risiken sind derzeit und auch zukünftig nicht kalkulierbar.“ Geschäftsführer Godehard Hennies sagt: „Die Anlagen durchstoßen die Grundwasserhorizonte, damit besteht auch immer die Gefahr, dass sie das Grundwasser verschmutzen – sei es durch Unachtsamkeit oder Unfälle. Das kann schon bei flacher Geothermie gegeben sein.“ Geothermieanlagen sollten darum nur abseits von Trinkwasserschutzgebieten betrieben werden: „Wir haben keine Alternativen zu unseren Grundwasserschätzen.“
Das nach seinem Einsatz zum Heizen wieder abgekühlte Wasser wird zurück in die Tiefe geleitet, wo es wieder erwärmt wird. Probleme können entstehen, wenn sich benachbarte Geothermieanlagen gegenseitig beeinflussen und das abgekühlte Wasser gleich wieder von der nächsten Anlage aufgenommen wird und dann von der Wärmepumpe stärker aufgeheizt werden muss.

Um die im Untergrund vorhandene Erdwärme zu nnutzen, sind Bohrungen mit Rollenmeißeln nötig, die harte Gesteinsformationen durchdringen. Foto: GFZ

Bei den oberflächennahen Wärmepumpensystemen erreiche man mit einer Kilowattstunde Strom vier Kilowattstunden Wärme, sagt Ernst Huenges. Bei tieferen Systemen verbessere sich das Verhältnis. Denn pro Tiefenkilometer nimmt die Temperatur um 30 Grad Celsius zu.
Hier kommt die so genannte tiefe Geothermie ins Spiel: Bei ihr wird zwischen hydrothermalen und petrothermalen Systemen unterschieden. Die hydrothermalen nutzen natürliche Heißwasservorkommen direkt – in Deutschland hat dieses Verfahren praktisch keine Bedeutung. Petrothermale Systeme nutzen die Wärme des Tiefengesteins: Mithilfe des Hot-Dry-Rock-Verfahrens wird Oberflächenwasser in vier bis fünf Kilometer Tiefe gepumpt, wo es auf bis zu 300 Grad heißes Gestein trifft und durch ein zweites Bohrloch als Dampf wieder an die Oberfläche steigt und ein Wärmekraftwerk antreibt. Ist das Gestein nicht durchlässig genug, muss es stimuliert werden, damit sich wasserdurchlässige Klüfte und Risse bilden. Je nach Gesteinsart geschieht das mechanisch oder – wie etwa bei Kalkstein – chemisch, etwa durch Salzsäure. Kritiker des Verfahrens vergleichen es mit dem umstrittenen „Fracking“, mit dem vor allem Erdöl und Erdgas aus schwer zugänglichen Gesteinsschichten gefördert wird und das zu Umweltschäden führen kann. Das sei mit der Vorgehensweise bei der petrothermalen Geothermie nicht vergleichbar, meint dagegen Huenges: „Auch bei der Ertüchtigung von Trinkwasserbrunnen wird seit Jahr und Tag mit Säure gearbeitet.“

Bei mechanischen Stimulationen ist die Gefahr von Erdbeben größer. Beim Bundesverband Geothermie heißt es dazu: „Die bei der Injektion von Wasser in den Untergrund verwendete Energie ist im Gegensatz zu spürbaren Erdbeben verschwindend klein. Natürliche Kleinstbeben werden in vielen Regionen täglich registriert. Es ist nicht auszuschließen, dass mit einer lokalen Porendruckänderung eine aufgestaute Gebirgsspannung vorzeitig gelöst wird.“

Geothermal drilling in Hellisheiði in southwest Iceland during a production test in August 2009. Photo: Thomas Reinsch, GFZ

Tatsächlich ist auch die Geothermie nicht ohne Risiken: In Wiesbaden wurde versehentlich ein Grundwasserspeicher angezapft und leerte sich über das Bohrloch. In Basel und im pfälzischen Landau lösten Bohrungen vor ein paar Jahren kleinere Beben aus, in St. Gallen im Juli 2013. In Staufen hebt sich der Untergrund seit 2007 und beschädigt Häuser. Auch im württembergischen Rudersberg sind Schäden an Häusern aufgetreten. „ Unter Berücksichtigung der Regeln der Technik und mit den Erfahrungen der deutlich zunehmenden geothermischen Projekte in den vergangenen Jahren kann man mögliche Risiken immer besser erfassen und diesen vorbeugen“, gibt Huenges zu bedenken. Nicht zuletzt: „Geothermie wird seit mehr als 100 Jahren genutzt; es ereignete sich noch nie ein lebensgefährliches Unglück.“

Zehn Prozent des Primärenergiebedarfs, im wesentlichen Wärme, durch Geothermie zu decken, hält Huenges für ein realistisches Ziel. Vor allem in urbane Wärme zu investieren, sei sinnvoll: Je dichter die Besiedelung, desto geringer die Transportverluste. Berlin, das derzeit zu 99 Prozent fossil geheizt werde, sei ideal. Auch München sei gut geeignet: „Die Stadtwerke planen mit einer Leistung von 400 Megawatt.“
Godehard Hennies vom Wasserverbandstag sieht eine hohe Dichte geothermischer Bohrungen in Städten kritischer: „Je öfter Sie die Grundwasserschichten durchstoßen, desto größer ist die Gefahr, dass es zu Verunreinigungen kommt.“

Vom Sommer an ist die Helmholtz-Gemeinschaft mit einer Professur an der TU München in diesem Bereich vertreten. Huenges hofft, „dass wir helfen können, diese Entwicklung zu beschleunigen. Wir sind als Forschungsgemeinschaft gefordert, wir müssen die Erkundung der Lagerstätten noch zuverlässiger machen sowie ein kostengünstiges und sicheres Bohren ermöglichen, um die Risiken weiter zu senken.“

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