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EU-Energiepolitik

"Ein zahnloser Tiger"

Bild: Chakka/fotolia.com

Die EU verabschiedet sich von verbindlichen Zielen zum Ausbau erneuerbarer Energien, und die große Koalition will bei der Förderung von Ökostrom sparen. Ein Gespräch mit Paul Lehmann, Umweltökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), über die Folgen

Bislang hatte die EU verpflichtende Ziele für die Verringerung von Treibhausgasen, den Ausbau erneuerbarer Energien und für die Steigerung der Energieeffizienz - allerdings nur bis 2020. Jetzt hat die EU-Kommission Pläne vorgelegt, wie es danach weitergehen soll. Kurz gefasst: ziemlich unverbindlich. Eine Enttäuschung?

Die EU will die Treibhausgase bis zum Jahr 2030 gegenüber 1990 um 40 Prozent senken. Der Anteil der erneuerbaren Energien am Gesamtverbrauch soll gleichzeitig auf 27 Prozent anwachsen, und dieses Ziel soll EU-weit festgelegt werden. Aber: Es soll in Zukunft nicht mehr auf die einzelnen Länder heruntergebrochen werden. Das heißt, dass einzelne Mitgliedstaaten nicht mehr sanktioniert werden können. Es ist völlig unklar, was passiert, wenn Länder das vorgegebene Ziel verfehlen. Damit schrumpft das Ziel zu einem zahnlosen Tiger.

Warum ist ein verbindliches Ziel so wichtig?

Ich glaube, dass es trotz eines starken Reduktionsziels für Treibhausgasemissionen verbindliche Ziele für den Ausbau der Erneuerbaren braucht. Denn selbst wenn wir einen perfekten Emissionshandel hätten, gäbe es noch genug andere Probleme, die durch eine alleinige Fokussierung auf Kohlendioxid gar nicht berührt würden: Das beginnt bei Umweltproblemen, die durch die Gewinnung und den Transport von fossilen Energieträgern entstehen und endet bei den Problemen, die die Entsorgung von Atommüll mit sich bringt. Diese Kosten spiegeln sich im Strompreis nicht wider. Es fehlt also an ausreichenden Anreizen, zu Erneuerbaren zu wechseln. Darüber hinaus ist der Emissionshandel in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung nur bedingt geeignet, die Klimaschutzziele zu erreichen. Eine verbindliche Festlegung auf den Ausbau der Erneuerbaren wäre eine Art Rückversicherung, dass wir die Klimaschutzziele erreichen. Drittens gibt es keine Chancengleichheit auf dem Markt der Energietechnologien, da es in der Vergangenheit und in der Gegenwart direkte und indirekte Subventionen für Nicht-Erneuerbare gegeben hat und gibt. Natürlich würde die Abschaffung der Subventionen mehr Chancengleichheit schaffen. Das erscheint mir aber nicht realistisch. Vor diesem Hintergrund sollte man auch und vor allem die Erneuerbaren fördern.

Wie bewerten Sie das Ziel, den Kohlendioxid-Ausstoß um 40 Prozent zu senken?

Das Ziel ist gut, wenn auch nicht überambitioniert. Die entscheidende Frage ist, ob und in welchem Maße die Obergrenze für den Emissionshandel schon heute, spätestens aber nach 2020 verschärft wird. Diesbezügliche Verhandlungen stehen noch aus.

Was steckt hinter der neuen Zögerlichkeit in der EU-Klimapolitik?

Knallharte Interessen der einzelnen Mitgliedsländer. Teilweise historisch bedingt. Polen etwa, das seine einheimische Kohleindustrie schützen will und kein Interesse daran hat auf EU-Ebene Erneuerbare voranzutreiben. Oder Großbritannien, das gerade neue Subventionen für Kernkraft verabschiedet hat, die übrigens höher liegen als die Subventionen für Erneuerbare. Diese Interessen haben natürlich eine große Rolle bei den Verhandlungen auf EU-Ebene gespielt. Wie auch die Bemühungen der Lobbyisten der großen Stromkonzerne und Arbeitgeber. Unter dem Strich hat man sich auf Klimaschutzziele geeinigt, es ist aber kein weiterer Schritt in Richtung Nachhaltigkeit der Energieversorgung unternommen worden.

Verlassen wir die EU-Ebene und kommen zur Energiewende in Deutschland: Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat Pläne zur Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgelegt. Geht das aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung?

Eine Reform des Gesetzes ist sicher sinnvoll und es ist gut, dass die neue Regierung diese Reform schnell angeht. Auch die Absenkung der Fördersätze ist sinnvoll, denn es gibt Kostensenkungen bei den Technologien der Erneuerbaren, die sich auch in den Fördersätzen widerspiegeln müssen. Die Vorschläge fokussieren sich aber zu stark auf die Kosten der Energiewende. Dabei ist zu bedenken, dass die heute zu tragenden Kosten nur noch bedingt gesenkt werden können. Ein großer Teil ist auf die Fördergelder in der Vergangenheit zurückzuführen, die bereits in der Vergangenheit für Zeiträume von 20 Jahren vergeben wurden. Die werden wir auch in Zukunft zahlen müssen. Die zentrale Frage, ist, wie diese Kosten der Energiewende gerechter verteilt werden können. Das geschieht durch die EEG-Umlage, und hier sind große Teile der Industrie ausgenommen. Über eine Reform oder Überprüfung dieser Ausgleichsregelungen steht in den jetzt vorgelegten Beschlüssen nichts Genaues.

Und jenseits der Kostenfrage?

In der Tat ist Geld nicht alles bei der Energiewende. Die Erneuerbaren nehmen einen immer größeren Anteil im Stromsystem ein. Dieser große Anteil schwankt aber relativ stark, da der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer gleich stark scheint. Eine wichtige Frage ist, wie wir mit diesen Schwankungen im Stromsystem umgehen. Außerdem verursacht der Ausbau der Erneuerbaren und der damit verbundene Netzausbau zunehmend ökologische und soziale Probleme. Für deren Lösung gibt es noch keine konkreten Pläne.

Dr. Paul Lehmann, Department Ökonomie, Bild: Susan Walter, UFZ

Dr. Paul Lehmann ist Umweltökonom am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Er beschäftigt sich besonders mit der Bewertung umweltpolitischer Instrumente in den Bereichen Klima-, Energie-, Wasser-, und Landwirtschaftspolitik. 

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