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Israel

Flagge zeigen im Silicon Wadi

"Bei den großen Zukunftsthemen wie Umwelt- und Energieforschung, Cybersecurity, künstliche Intelligenz oder personalisierte Medizin zählt Israel heute einfach zur Weltspitze." Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Präsident) Bild: aviyabc/Freepik

Vom Agrarland zur Hightech-Nation: Israel entwickelt sich in rasantem Tempo, getrieben von Forschern und Start-up-Unternehmern. Als Pionier der wissenschaftlichen Zusammenarbeit baut Helmholtz seine Kooperationen nun noch weiter aus – und hat mit einer neuen Dependance in Tel Aviv zahlreiche neue Partner im Blick.

Vom Kibbuz zum Start-up – auf diese Formel ließe sich der Aufstieg des israelischen Staates in die Spitzenliga der Hightech-Nationen bringen. Die Liste von Innovationen "made in Israel" scheint schier endlos: Der USB-Stick wurde hier erfunden oder die Internettelefonie, das Navigationssystem Waze oder die Minikamera in Pillenform zum Schlucken.

Heute ist Israel das Gelobte Land für Softwareentwickler und Unternehmensgründer. Pro Jahr entstehen viele Hunderte neue Firmen und wenn es um die Zahl der Patentanmeldungen geht, liegt das kleine Land am östlichen Mittelmeer mit seinen 8,8 Millionen Einwohnern im Verhältnis zur Bevölkerung auf dem fünften Platz weltweit. An der US-Technologiebörse Nasdaq tummeln sich derzeit 98 israelische Unternehmen; aus Deutschland stammen gerade einmal zehn. All das trug mit dazu bei, dass die israelische Hightech-Landschaft in Anlehnung an das große Vorbild in Kalifornien den Namen "Silicon Wadi" erhielt. Das dortige Ökosystem aus Forschern und Gründern gilt als besonders kreativ – und ist der Grund dafür, dass Helmholtz jetzt seine jahrzehntelangen Kooperationen mit der Eröffnung eines neuen internationalen Büros in Tel Aviv noch weiter ausbaut.

Billy Shapira (Leiterin des Helmholtz-Büros in Tel Aviv) Bild: Igor Farberov

"Wir haben uns mit der Eröffnung unseres insgesamt vierten Auslandsbüros für den Standort Israel entschieden, weil wir einerseits eine lange Tradition der intensiven Zusammenarbeit mit israelischen Institutionen haben und dabei hervorragende Erfahrungen gesammelt haben", bringt es Präsident Otmar D. Wiestler auf den Punkt. Den Grundstein für zahlreiche Kooperationsprojekte legte schon 1976 das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) aus Heidelberg. Seither hat sich eine Tradition von engen Wissenschaftsbeziehungen zwischen zahlreichen Partnern etabliert, die viele Früchte trägt – jüngstes Beispiel: das Weizmann-Helmholtz Laboratory for Laser Matter Interaction (WHELMI) in Rehovot. "Zum anderen ist es für uns von strategischer Bedeutung, genau dort Flagge zu zeigen und Partner zu suchen, wo die Besten zu finden sind", sagt Wiestler weiter: "Und bei den großen Zukunftsthemen wie Umwelt- und Energieforschung, Cybersecurity, künstliche Intelligenz oder personalisierte Medizin zählt Israel heute einfach zur Weltspitze." Das neue Auslandsbüro soll aber mehr sein als nur eine bloße Repräsentanz. "Wir wollen den direkten Draht zu der weltweit wohl einmaligen Start-up-Szene des Landes", betont Wiestler. Man möchte eine Schnittstelle aufbauen, an der die Fäden aus Israel und Deutschland zusammenlaufen. "Ich bin überzeugt, dass wir von der Kreativität und dem Unternehmergeist hier eine Menge lernen können."

Zur Eröffnung der neuen Helmholtz-Dependance in Tel Aviv reisten mehrere Hundert Gäste aus Israel und Deutschland an. Zum Programm gehörten auch ein wissenschaftliches Symposium und eine Innovationskonferenz. Bild: Igor Farberov

Wie so etwas ganz konkret funktionieren kann, ließ sich bei der Eröffnung der Helmholtz-Dependance in Tel Aviv exemplarisch erfahren. Auf einem hochkarätig besetzten wissenschaftlichen Symposium und einer Innovationskonferenz präsentierten israelische und deutsche Wissenschaftler ihre Forschungsprojekte und Start-up-Ideen. Prominente Akteure der Hightech-Szene Israels vermittelten Einblicke aus erster Hand über die besondere Gründermentalität der Landesbewohner. Die habe viel mit der Armee zu tun, sagt Yoram Tietz von der Unternehmensberatung Ernst & Young: "Es gibt zahlreiche Ehemaligen-Netzwerke aus der Zeit beim Militär, die so manches erfolgreiche Unternehmen an den Start brachten." So wie etwa Check Point Software Technologies, heute ein Platzhirsch unter den Anbietern von Sicherheitssoftware. "Die Tatsache, dass jeder Israeli Wehrdienst leisten muss, führt dazu, dass selbst 20-Jährige bereits sehr viel Verantwortung übernehmen müssen", sagt Tietz. "Genau das ist prägend. Damit ist die Armee quasi unsere Business School." Das Prinzip von Befehl und Gehorsam alleine funktioniere in Israel nicht. Um im Nahen Osten überleben zu können, benötige man Kreativität und unkonventionelles Denken.

"Ich bin überzeugt, dass wir von der Kreativität und dem Unternehmergeist hier eine Menge lernen können." Otmar D. Wiestler (Helmholtz-Präsident) Bild: Igor Farberov

"Es gibt eine flächendeckende Can-do-Mentalität", glaubt Maxine Fassberg, die früher den israelischen Ableger des Chipherstellers Intel leitete. Diese Mentalität sei auch einer der Gründe dafür, dass das Bruttoinlandsprodukt Israels so rasant von 60 Milliarden Dollar zu Beginn der 1990er-Jahre auf aktuell über 373 Milliarden Dollar anwachsen konnte. Heute kümmert sich Maxine Fassberg darum, dass die Integration von Mobileye – einem Pionier auf dem Gebiet des autonomen Fahrens, den Intel 2017 für 15,3 Milliarden Dollar kaufte – in den Konzern reibungslos über die Bühne geht. "Die Israelis sind absolute Meister darin, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken und aus einer Idee ein Produkt zu entwickeln." Außerdem gebe es eine völlig andere Fehlerkultur, die Scheitern nicht einfach abstrafe, sondern stets dazu ermutige, erneut Risiken einzugehen. "Immer wieder stellen wir uns die Frage, wie man etwas anders oder besser machen kann."

Mut zum Risiko hat auch Ada Yonath schon immer gezeigt, eine Pionierin in Sachen deutsch-israelische Wissenschaftsbeziehungen: Die Biologin und Strukturchemikerin ging Ende der 1970er-Jahre nach Berlin und erwarb erste Meriten in der Erforschung der Ribosomen – der Proteinfabriken von Zellen. Als erste Frau aus dem Nahen Osten überhaupt bekam Yonath den Nobelpreis für Chemie – einen von insgesamt sechs, die seit 2004 an Israelis gingen. Die 1939 Geborene arbeitet auch heute noch daran, die Schlagkraft von Antibiotika gegen neue multiresistente Bakterienstämme zu erhalten. "Ich wollte einfach allen zeigen, was eine Frau zu leisten vermag", sagte sie im Rahmen des Symposiums. 

"Die Tatsache, dass jeder Israeli Wehrdienst leisten muss ... ist prägend. Damit ist die Armee quasi unsere Business School." Yoram Tietz Ernst & Young). Bild: Igor Farberov

Israels hohe Investitionen in die Forschung und Entwicklung zahlen sich offensichtlich aus: 4,25 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gibt Israel dafür aus – das ist weltweit der Spitzenwert. Der EU-Durchschnitt liegt bei knapp zwei Prozent, Deutschland schneidet mit 2,9 Prozent etwas besser ab. Auch im Bereich Venture Capital (VC) – also Wagniskapital für junge Unternehmen – ist der Unterschied zwischen Deutschland und Israel offenkundig: Laut eines VC-Reports der Datenplattform dealroom.co aus dem Jahr 2016 entfallen auf jeden Israeli statistisch 313 Euro Risikokapital. In den USA liegt dieser Pro-Kopf-Wert bei 231 Euro, in Deutschland bei lediglich 24 Euro. "Ein Viertel des Wagniskapitals fließt aktuell in den Bereich Cybersecurity", sagt Unternehmensberate Yoram Tietz. Denn wenn es um den Schutz vor Angriffen aus dem Netz geht, fänden sich die besten Experten nun mal in Israel. Einer von ihnen ist Tamir Pardo – von 2011 bis 2016 Direktor des legendären Geheimdiensts Mossad. Beim Helmholtz Innovationsforum erzählte er, wie er Unternehmen zum Thema Cyberattacken berät und über Gefahrenpotenziale aufklärt. „Auch Forschung und Wissenschaft können betroffen sein, wenn Datenbanken vernichtet werden. Selbst ganze Staaten lassen sich durch Cyberattacken außer Gefecht setzen.“ Pardos Einschätzung: "Wir haben es mit einer Art stillen Atombombe zu tun."

"Ich wollte einfach allen zeigen, was eine Frau zu leisten vermag." Ada Yonath (Nobelpreisträgerin)Bild: Igor Farberov

In Israel lässt sich also viel geballte Expertise finden. Und weil das Land so klein ist, sind israelische Unternehmen gezwungen, sich schnellstmöglich zu internationalisieren. Auch in der Forschungslandschaft legte Israel immer schon viel Wert auf Kooperationen mit ausländischen Partnern. An dieser Stelle kommt nun Helmholtz ins Spiel. "Schließlich ergänzen sich Deutschland und Israel in vielerlei Hinsicht", skizziert Präsident Wiestler die Situation. Vor allem die Fähigkeit der Israelis, Forschungsergebnisse rascher als anderswo in konkrete Anwendungen umzuwandeln, fasziniert ihn. Im Hinblick auf die deutschen Kompetenzen, beispielsweise in der klassischen Ingenieurskunst, könne sich daraus eine wunderbare Symbiose ergeben: "Wenn wir die besten Köpfe aus beiden Ländern zusammenbringen, ist das eine klare Win-win-Situation."

Büro Israel der Helmholtz-Gemeinschaft

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