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Wissenschaftskarrieren

Darum Deutschland!

Bild: UFZ/A. Künzelmann

Unter Forschern gilt es noch immer als sehr reizvoll – und teilweise als unbedingte Voraussetzung –, seine Karriere in den USA zu starten und sich dort einen exzellenten Ruf zu erarbeiten. Doch es gibt Konkurrenz für die Talentschmiede USA: Deutschland

Immer mehr junge Menschen aus aller Welt entscheiden sich dafür, in Deutschland zu studieren, zu arbeiten und zu leben. Warum? Was ist so attraktiv an einem Land, dessen Sprache nicht leicht zu lernen ist? Das als bürokratisch, kompliziert und überreglementiert gilt? Drei Nachwuchswissenschaftler von drei Kontinenten werden auf dem diesjährigen Treffen der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Chicago auf einer Presseveranstaltung der Helmholtz-Gemeinschaft darüber sprechen, warum sie ausgerechnet Deutschland als Arbeits- und Lebensmittelpunkt gewählt haben. Wir haben Xiaoxiang Zhu aus China, Daniela Panáková aus der Slowakei und Emad Aziz aus Ägypten vorab zum Interview getroffen.

Interview Xiaoxiang Zhu

Interview Daniela Panáková

Interview Emad Aziz

 Zu den Helmholtz Nachwuchsgruppen

Helmholtz-Pressefrühstück am 15. Februar in Chicago

Die Helmholtz-Gemeinschaft ist einer der Hauptpartner des jährlichen Treffens der AAAS, bei dem sich Wissenschaftler, Journalisten und Vertreter der Kommunikationsbranche aus aller Welt zum Erfahrungsaustausch treffen. Das umfangreiche Programm lädt neben dem Besuch von Vorträgen, Workshops und Diskussionsrunden zum Netzwerken ein.

Auf dem diesjährigen Treffen, das vom 13. bis 17. Februar in Chicago stattfindet, diskutieren Vertreter der Helmholtz-Gemeinschaft mit zwei Wissenschaftlerinnen aus China und der Slowakei sowie einem ägyptischen Wissenschaftler vor mehr als 100 internationalen Journalisten über die Frage, warum sich immer mehr junge Menschen dafür entscheiden, ihre wissenschaftlichen Karrieren in Deutschland zu starten.

Die American Association for the Advancement of Science (AAAS) ist eine internationale, gemeinnützige Organisation zur Förderung der Wissenschaften weltweit. Neben ihrem Engagement in den Bereichen Bildungswesen und gesellschaftliche Entwicklung versteht sich die AAAS auch als Interessen- und Berufsverband. Die AAAS organisiert Veranstaltungen für ihre Mitglieder, gibt die Zeitschrift "Science" sowie zahlreiche wissenschaftliche Newsletter, Bücher und Berichte heraus und führt Programme durch, die das Verständnis für die Wissenschaften weltweit fördern.

AAAS 

Xiaoxiang Zhu, Jahrgang 1984, arbeitet am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Sie stammen aus China und haben sich für eine wissenschaftliche Karriere in Deutschland entschieden - Warum ausgerechnet Deutschland?

Dass ich ausgerechnet hier gelandet und dann auch geblieben bin, war eine Verkettung glücklicher Zufälle. Nach meinem Bachelor-Abschluss in China bin ich meinem Freund nach München gefolgt, habe an der Technischen Universität München einen internationalen Masterstudiengang absolviert, den ich mit meiner Masterarbeit am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) beendet habe. Die TU München hat mir sehr frühzeitig ein Doktorandenstipendium für eine Promotion in Kooperation mit dem DLR angeboten. Seitdem arbeite, forsche und lebe ich in München.

Was macht Deutschland für Sie als Wissenschaftlerin so attraktiv?

Vor allem die Kombination von Helmholtz-Zentrum und einer Universität - in meinem Fall das Zusammenwirken des DLR und der TU München. Als Wissenschaftlerin im Bereich der Erdbeobachtung habe ich so neben einer hervorragenden informationstechnischen Ausstattung auch Zugang zu aktuellen Daten modernster Satelliten, bin in große Satellitenprojekte involviert und kann gleichzeitig Studenten ausbilden, sie für meine Forschungsthemen gewinnen und begeistern.

Sie sind gerade erst 29 Jahre alt und können schon jetzt auf einen beeindruckenden Lebenslauf zurückblicken: Sie sind Weltraum-Ingenieurin, Privatdozentin, leiten eine Nachwuchsgruppe und verschiedene Projektgruppen im Bereich der Erdbeobachtung. Welche Ziele wollen Sie noch erreichen?

Im Moment füllen mich meine Aufgaben sehr aus. Oberste Priorität hat der Aufbau der Nachwuchsgruppe - da habe ich Verantwortung für zehn Studenten, Doktoranden und Wissenschaftler. Unser Ziel ist die Entwicklung neuer Algorithmen, um mehr Informationen aus den Daten zukünftiger deutscher und europäischer Erdbeobachtungssatelliten zu gewinnen. Mein nächstes persönliches Ziel ist eine Professur, aber vor allem will ich die mir anvertrauten Studenten und Doktoranden zu erfolgreichen Wissenschaftlern ausbilden.

Woran genau forschen Sie?

Ich entwickle Algorithmen zur Signalverarbeitung für die Erdbeobachtung. Deutschland betreibt zwei Radar-Missionen - TerraSAR-X und TanDEM-X - und wird 2017 einen so genannten Hyperspektralsatelliten (EnMAP) starten. Am 28. März wird zudem der erste "Sentinel"-Satellit der ESA-Flotte gestartet, dessen Daten wir für die Entwicklung der Algorithmen verwenden werden. Auf Grundlage derartiger Radardaten wollen wir beispielsweise dreidimensionale Stadtmodelle berechnen und Deformationen von Gebäuden und Bodensenkungen erfassen. Aus Hyperspektralbildern - das sind Bilder von sehr vielen, eng beieinanderliegenden Wellenlängen - wollen wir Informationen zu Materialien erfassen, aber auch Bilder über die ursprüngliche Auflösung hinaus schärfen, um neue Anwendungen zu erschließen.

Sie arbeiten in einem Bereich, in dem vermutlich nicht sehr viele Frauen arbeiten. Woher kommt Ihr Interesse an dem, was Sie tun?

Der Weltraum hat mich schon als Kind fasziniert. Zudem interessierten mich schon sehr früh mathematisch anspruchsvolle Aufgaben: Ich habe an zahlreichen Mathematikwettbewerben teilgenommen und mich immer mit schwierigen Fragestellungen auseinandergesetzt. Auf der anderen Seite möchte ich mit meiner Forschung etwas bewirken, und das am liebsten in einem interdisziplinären Team. Daher ist das, was ich beruflich mache, kein Zufall: Die Anwendung von Satellitentechnik, wie sie in der Erdbeobachtung vorkommt, vereint meine Leidenschaft fürs Weltall mit meinen mathematischen Fähigkeiten und Interessen perfekt. Hinzu kommt, dass die Arbeitsbedingungen am DLR und an der TU München traumhaft sind. Und was die Frauen angeht: Immer mehr Wissenschaftlerinnen fassen Fuß in einem sehr technischen Bereich wie dem, in dem ich tätig bin. Das liegt vor allem an der Internationalisierung unserer Lehre und der groß angelegten Forschungsprojekte. Aber es müssten noch viel mehr Forscherinnen sein, da hat meine Generation auch eine Vorbildfunktion.

Wollen Sie in Deutschland bleiben?

Erst einmal bleibe ich in Deutschland. Vor allem Bayern habe ich ins Herz geschlossen. Ich bin allerdings immer offen für Neues und möchte nicht ausschließen, irgendwann doch noch für ein paar Jahre in einem anderen Land, zum Beispiel in den USA, zu verbringen. Vieles im Leben ergibt sich von selbst und fügt sich.

Bild: Helmholtz

Xiaoxiang Zhu wurde 1984 in China geboren. Nach ihrem Bachelor-Abschluss als Weltraum-Ingenieurin in China wechselte sie zur TU München und absolvierte dort einen Masterstudiengang im Bereich der Nutzung von Satelliteninformationen. Dabei werden die technischen Aspekte der Beobachtungssysteme mit Anwendungen in den Erdwissenschaften, der Satellitenfernerkundung und der Navigation verknüpft. 2011 erhielt Xiaoxiang Zhu den Doktor der Ingenieurwissenschaften und habilitierte sich anschließend an der TU-München. Zhu leitet mehrere Projektgruppen. Seit September 2013 ist sie Leiterin einer Helmholtz-Nachwuchsgruppe, mit der sie gemeinsam auf dem Gebiet der Erdbeobachtung forscht. Sie lehrt an der TU München und wird häufig eingeladen, Seminare an Universitäten in China und in den USA zu geben. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen.

Daniela Panáková, Jahrgang 1976, forscht am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch

Ihre wissenschaftliche Laufbahn hat vor über zehn Jahren in Dresden begonnen. Danach waren Sie einige Jahre in den USA, am Brigham and Women's Hospital der Harvard Medical School in Boston, und sind dann nach Deutschland zurückgekehrt. Warum?

Ich bin durch und durch Europäerin und wollte unbedingt in einem europäischen Land meine Forschung etablieren und eine Nachwuchsgruppe aufbauen. Deutschland ist meiner Meinung nach eines der Länder mit der besten Talentförderung. Neben verschiedenen, gezielt ausgerichteten Förderprogrammen ist die Unterstützung junger Wissenschaftler sehr vielfältig und reicht von finanziellen Zuschüssen über Karriereberatungen bis hin zu ausgezeichneten strukturellen Bedingungen. Deshalb wollte ich nach Deutschland, was ja zum Glück auch geklappt hat. Da ich hier vorher schon gelebt habe, kenne ich das deutsche Wissenschaftssystem und weiß, dass ich hier meine Forschung unter besten Voraussetzungen vorantreiben kann. Angefangen bei den gesellschaftlichen Fragestellungen, die von der Wissenschaft sehr ernst genommen werden und die es zu lösen gilt, über ein gut funktionierendes Team bis hin zur Laborausstattung - das Umfeld und die Motivation stimmen einfach. Sie arbeiten und forschen am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin-Buch.

Warum haben Sie sich für das MDC entschieden?

Mein Interesse an der Funktionsweise des Herzens und der Interaktion mit dem Kreislauf entdeckte ich während meiner Doktorarbeit. Für mich ist es auch besonders wichtig, am medizinischen Fortschritt auf dem Gebiet der Herz-Kreislauf-Erkrankungen - der Volkskrankheit Nummer eins - mitzuwirken. Das MDC ist auf diesem Forschungsfeld international bekannt.

Woran forschen Sie mit Ihrer Nachwuchsgruppe?

Am Zebrafisch, einem Modellorganismus der Entwicklungsbiologen, erforschen wir, wie die Signalübertragung die Entwicklung des Herzens und die Kalziumströme reguliert. Wir untersuchen die embryonalen Stadien, also vor der Geburt, und wollen so herausfinden, welche Bedeutung diese Ströme für die Kommunikation der Herzzellen untereinander haben. Dieselben Prozesse finden sich auch bei bestimmten Herzkrankheiten wieder. Wir haben herausgefunden, dass die Funktionsweise des Herzens beeinträchtigt ist, wenn die Signalübertragung und der elektrochemische Impuls fehlreguliert sind - was unter Umständen auch zu Herzerkrankungen führen kann.

Wo sehen Sie sich in fünf Jahren? Bleiben Sie in Deutschland?

Ich liebe meine Arbeit am MDC und das Leben hier. Wenn es nach mir ginge, würde ich mindestens noch bis 2020 bleiben, bis mein Nachwuchsprogramm zu Ende ist. Allerdings bestimme ich das nicht ganz allein: 2015 wird meine Nachwuchsgruppe evaluiert. Das Ergebnis entscheidet letztlich über die Fortführung unserer Forschungsarbeiten und meine weitere Laufbahn.

Bild: MDC

Daniela Panáková stammt aus der Slowakei und studierte an der Comenius Universität in Bratislava Biologie. Ihre Doktorarbeit schrieb sie am Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik in Dresden. 2007 ging sie an die Harvard Medical School nach Boston, USA. Dort arbeitete sie zunächst am Herz-Kreislauf-Forschungszentrum des Massachusetts General Hospital und ab 2009 am Brigham and Women's Hospital. 2008 erhielt sie aufgrund ihrer Leistungen eine Förderung durch das internationale Human Frontier Science Program. Seit 2011 leitet Daniela Panáková eine Helmholtz-Nachwuchsforschergruppe am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) Berlin-Buch und an eine Forschungsgruppe an der Charité - Universitätsmedizin Berlin.


Emad F. Aziz, Jahrgang 1978, forscht am Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie

Neben Forschungsaufenthalten in der Schweiz und Kalifornien arbeiten Sie seit Beginn Ihrer Karriere als Wissenschaftler in Deutschland am Helmholtz-Zentrum Berlin. Warum Deutschland?

Als ich vor 13 Jahren in Ägypten meinen Bachelor für Chemie absolvierte, hat mir der Deutsche Akademische Austauschdienst ein Stipendium für einen Deutschlandaufenthalt angeboten. Ich war neugierig, habe angenommen und bin 2001 nach Berlin gegangen. Erst habe ich an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung gearbeitet und habe dann 2004 ans Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) gewechselt. Parallel absolvierte ich in einem zweisprachigen Programm an der Freien Universität Berlin meinen Master in physikalischer Chemie. Anschließend erwarb ich am damaligen BESSY (heute Helmholtz-Zentrum Berlin) meinen Doktor in Chemie und Naturwissenschaften. Am HZB bin ich nun schon seit zehn Jahren. Als ich nach Deutschland kam, habe ich schnell gespürt, dass dieses Land genau das Richtige für mich ist. Hier habe ich eine Forschungsgruppe aufgebaut und im vergangenen Jahr geheiratet.

Hätten Sie eine Alternative zu Deutschland gehabt?

Ich hätte für längere Zeit in die USA gehen können, das erschien mir jedoch zu einfach. Ich brauche die Herausforderung, ich suche sie sogar nach dem Motto "no risk, no fun". Deutschland forderte mich von Anfang an heraus: die schwer erlernbare Sprache, die am Anfang sehr verschlossenen Menschen und vor allem all die Regularien - gerade in der Wissenschaft. Anträge schreiben, Fördermittel einwerben, publizieren. Es war nicht einfach, hier Fuß zu fassen, aber ich bin daran gewachsen. Ich habe mittlerweile sogar die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen.

Was treibt sie an?

Das auf den ersten Blick Unerreichbare. Ich bin ein freier Geist, spreche meine Ideen mit Entscheidern durch, motiviere mein Team. Ich lebe und arbeite nach dem Prinzip, alles zu versuchen und für eine Sache zu kämpfen. In Deutschland kann ich meine Ideen, meine Visionen anpacken und genau so leben. Das tut meiner Forschung gut und meinem Leben, mit dem ich sehr zufrieden bin. An die Regeln der Wissenschaft habe ich mich längst gewöhnt; sie sind kein Hindernis mehr. Anträge schreiben geht mittlerweile ganz gut. Auch die Publikationsregeln habe ich verinnerlicht.

Woran forschen Sie?

Mit unserer Forschung bewegen wir uns im Grenzbereich zwischen Physik, Chemie und Biologie. Wir untersuchen die elektronischen Eigenschaften von Ionen, Molekülen und Polymeren in flüssiger Umgebung. Konkret habe ich am HZB eine komplexe Messmethodik entwickelt, um die Struktur chemischer und biologischer Materialien sowie deren Reaktionen in Lösungen oder an Grenzflächen zwischen flüssiger und fester Phase zu untersuchen. Parallel zu meinen Forschungsarbeiten baue ich an der Freien Universität Berlin und am HZB ein Hochleistungslaserlabor für ultrakurze Laserpulse auf.

Werden Sie Deutschland eines Tages verlassen?

Mein ganzes Leben spielt sich hier ab - ich kann mir keinen besseren Ort auf der Welt vorstellen. Aber: "never say never". Sollten mich meine Visionen, meine Ideen irgendwo anders hinführen, werde ich offen dafür sein.

Bild: HZB

Emad F. Aziz wurde in Kairo geboren und hat dort 2001 seinen Bachelor in Chemie absolviert. Währenddessen erhielt er vom DAAD ein Stipendium, durch das er nach Berlin gekommen ist. Hier machte er seinen Master und promovierte. Seit 2004 arbeitet er am Helmholtz-Zentrum Berlin, an dem er eine Helmholtz-Nachwuchsgruppe leitet. Zudem hat er eine Professur an der Freien Universität Berlin[JH1] inne. Seine Methoden ermöglichen einen Einblick in extrem schnelle, komplexe Prozesse, wie sie in Katalysatoren oder in biologisch wichtigen Molekülen wie dem Hämoglobin oder dem Myoglobin ablaufen. 2011 wurde Aziz für seine Forschungen mit einem "ERC Starting Grant" des Europäischen Forschungsrates ausgezeichnet; außerdem hat er eine Vielzahl weiterer Preise und Auszeichnungen erhalten.

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