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„Ich mache Krebsforschung, damit Patienten eines Tages davon profitieren“

Besonders viele Ausgründungen kommen aus dem Bereich der Lebenswissenschaften. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind besonders gefragt, das Interesse an besseren und spezifischeren Therapiemethoden besonders groß. Trotz der großen Nachfrage nach neuartigen Medikamenten, einfacheren Diagnostik- und spezifischeren Therapiemethoden haben es Ausgründungsprojekte und junge Biotechnologie-Unternehmen nicht einfach sich im Markt zu behaupten. Um ein neues Produkt auf den Markt zu bringen, begeben sich die Gründerinnen und Gründer im Bereich Biotechnologie auf einen langen Weg. Vom Forschungsergebnis bis zur Produkteinführung vergehen nicht selten mehr als 10 Jahre.

Reinhard Zeidler (RZ) und Kathrin Gärtner (KG) vom Ausgründungsprojekt „Eximmium“ am HMGU haben eine neue Technologie zur Entwicklung von Antikörpern für die Krebstherapie entwickelt. Im Interview mit ihnen erhalten wir einen Einblick in ihr Projekt, ihren Antrieb und was es braucht, um von der Forschung auf den Markt zu kommen.

Prof. Reinhard Zeidler und Dr. Kathrin Gärtner

Herr Professor Zeidler, wie würden Sie einem Laien erklären, was Sie machen bzw. woran Sie forschen?

RZ: Ich würde sagen: Wir versuchen besser zu verstehen, wie Krebs entsteht und wie man ihn besser und intelligenter behandeln kann. Dafür entwickeln wir Antikörper, die sich als sehr erfolgsversprechend erwiesen haben.

Woher wissen Sie, welcher Antikörper dafür gut geeignet ist?

RZ: Das ist alles andere als einfach. Wahrscheinlich sucht man wirklich die berühmte Nadel im Heuhaufen, bis man DEN passenden Antikörper gefunden hat, wenn man ihn überhaupt findet. Und es dauert sehr lange, bis man das Potential eines Antikörpers untersucht hat. Ich bin daher überzeugt davon, dass man fest an das glauben muss, was man tut. Man braucht eine Menge Ausdauer, Rückschläge sind häufig, und alles dauert viel länger als man möchte. Aber wenn man 'sein' Thema gefunden hat und sich dafür begeistert, dann hat man eine reelle Chance auf Erfolg. Und das ist das Schöne an dem Job. Wissenschaftler sind sehr zufriedene Menschen.

Warum?

RZ: Weil man als Forscher das Glück hat, seine Ideen verwirklichen zu können. Man muss ständig dazu lernen, um am Ball zu bleiben. Das ist einerseits eine Herausforderung, andererseits wird es nie langweilig, weil es immer wieder Neues gibt: Neue Erkenntnisse, neue Ideen, neue Pläne, neue Projekte, neue Mitarbeiter. Aber niemals Routine. Wir haben Freiheiten, die man anderswo nicht so ohne weiteres findet.

Warum forschen sie an Krebs?

RZ: Krebs ist eine häufige und oftmals schreckliche, aus Sicht des Wissenschaftlers aber auch faszinierende und rätselhafte Krankheit. Warum gibt es Krebs überhaupt? Was treibt Krebszellen an, sich zu vermehren und ohne Rücksicht immer weiter zu wachsen, auch unter dem Risiko, den Menschen und damit sich selbst zu töten? Da fehlt uns das Verständnis fast völlig. Antworten auf diese Fragen werden wir zwar auch mit Eximmium nicht finden, aber wir können vielleicht ein wenig dazu beitragen, Krebs besser zu behandeln.

Wie unterscheidet sich eine Krebszelle von einer normalen Zelle?

RZ: Jede normale Zelle hat im Körper eine bestimmte Funktion. Sie ist nur ein winziges Rädchen in einem fast perfekten Organismus und gehorcht strikt auf Befehle innerhalb dieses Systems. Das heißt, eine Hautzelle bleibt immer eine Hautzelle und tut das, was sie soll. Sie ist Teil der Haut, wird irgendwann sterben und durch eine neue Hautzelle ersetzt werden. Dieses Prinzip gilt bei Tumorzellen nicht mehr. Sie verändern sich und hören nicht mehr auf Befehle. Sie machen sich sozusagen selbständig und fangen an, sich unkontrolliert zu teilen. Das ist der große Unterschied zwischen einer Krebs- und einer normalen Zelle.

Antikörper gegen Krebs sind hoch im Kurs. Was ist ihr großer Vorteil gegenüber konventionellen Krebstherapien?

RZ: Antikörper sind wesentlich spezifischer als Chemotherapien, die meist alle sich teilenden Zellen schädigen. Diese Art der Therapie funktioniert bei manchen Tumorarten gut, wie Leukämien, bei anderen Tumorarten deutlich weniger gut, wie Lungenkrebs oder Magenkrebs. Aber fast immer verursachen Chemotherapeutika schwere Nebenwirkungen. Antikörper sind wesentlich spezifischer und können idealerweise zwischen normalen Zellen und bösartigen Zellen unterscheiden. Dadurch sind sie in der Regel viel besser verträglich.

KG: Bei manchen Krebsarten sind Antikörpertherapien schon etabliert, oft in Kombination mit konventionellen Ansätzen. Aber für viele Tumorarten gibt es noch keine guten Antikörper. Für solide Tumoren gibt es derzeit 22 zugelassene Antikörper, die aber nur neun verschiedene Proteine auf der Oberfläche von Tumorzellen erkennen. Das heißt, es gibt mit Sicherheit noch viele weitere Proteine, die man noch nicht identifiziert hat oder gegen die es keine geeigneten Antikörper gibt. Das versuchen wir zu ändern. Wir wollen neue Proteine finden und passgenaue Antikörper dagegen herstellen.

Einer Ihrer Antikörper wird demnächst erstmalig in Krebspatienten getestet.

RZ: Ja, das ist ein großer Erfolg für uns. Dieser Antikörper ist das Resultat aus vielen Jahren Forschung. 2020 werden wir Patienten, die an einem aggressiven Gehirntumor leiden, im Rahmen einer klinischen Studie damit behandeln. Möglich wurde dies nur durch die Kooperation mit anderen Wissenschaftlern und Ärzten, und gemeinsam haben wir diese sehr attraktive Anwendungsform gefunden. Überhaupt ist die ständige Interaktion mit Anderen Voraussetzung für neue Ideen, neue Pläne, neue Ziele und letztendlich den Erfolg eines Projektes. Alleine schafft man das nicht. Und man benötigt natürlich eine Menge Geld. In diesem Fall haben der Helmholtz-Validierungsfonds und das BMBF das Projekt großzügig finanziert. Hierfür sind wir sehr dankbar.

Generell muss man aber sagen, dass die Bedingungen für nicht-kommerzielle klinische Studien in Deutschland ausgesprochen schwierig sind. Selbst die Testung von neuen Medikamenten und Therapien an schwerstkranken Patienten ist so teuer, langwierig und komplex, dass eigentlich nur die Pharmaindustrie sich das leisten kann. Das wiederum behindert Innovationen und ist ein klarer Standortnachteil für Deutschland. Andere Länder sind da deutlich weiter. Das gehört dringend reformiert.

Wie ist aus einer neuartigen Therapiemethode Ihr Ausgründungsprojekt Eximmium entstanden?

KG: Einer der entscheidenden AHA-Momente war mit Sicherheit der Erfolg des eben erwähnten Antikörpers. Er hat uns verdeutlicht, wie spannend Antikörper generell sind und welches Potential in ihnen steckt. Dieser eine Antikörper ist, wie viele weitere in unserer Pipeline, durch eine neue Technologie entstanden, die wir in unserem Labor im Verlauf der letzten Jahre entwickelt haben. Ich denke, so ist nach und nach die Idee entstanden, mit dieser Technologie und den damit hergestellten Antikörpern Eximmium zu gründen. Denn für eine zielgerichtete Antikörperentwicklung benötigen wir sehr viel Geld, das in der akademischen Forschung in der Regel nicht in ausreichender Menge vorhanden ist.

Die Suche nach der Nadel im Heuhaufen, die klappt doch dann schon relativ gut, oder?

RZ: Ja, die Suche klappt ganz gut, aber auch daranmuss man glauben. Das fällt mir zunehmend leicht – denn ich arbeite mit dieser Technologie seit zehn Jahren und bin von ihr felsenfest überzeugt. Andere Leute müssen sich vielleicht auch erst einmal dafür begeistern. Aber gerade in letzter Zeit sehen wir, dass sie Früchte trägt. Es gibt mittlerweile Interesse an unseren Antikörpern von Pharma- und Biotechunternehmen, und das zeigt uns letztendlich, dass wir richtig liegen.

Wer sind Ihre potentiellen Kunden, und wie überzeugen Sie sie?

KG: Das Interesse und die Forschungsschwerpunkte von Pharmafirmen sind durchaus unterschiedlich. Wir haben auch sondiert, woran man dort überhaupt arbeitet. Das hat uns auch gezeigt, dass wir mit Antikörpern auf jeden Fall gut im Rennen sind. Antikörper für die Krebstherapie sind ohne Zweifel gefragt, schwierig ist nur das Finden neuer Antikörper. Und genau da kommen wir ins Spiel, denn mit unserer Technologie können wir Antikörper gegen völlig neue Zielstrukturen auf der Oberfläche von Krebszellen herstellen, was wir ja bereits erfolgreich unter Beweis stellen konnten.

Sie überzeugen also mit Daten. Trotzdem klingt das wie ein Rennen, in dem der beste Antikörper gewinnt. Wie sucht Ihre Konkurrenz nach neuen Antikörpern?

KG: Ja, das stimmt. Was für die Krebstherapie gesucht wird sind Antikörper, die an die Oberfläche von Tumorzellen binden und das Wachstum der Tumorzelle stören. Antikörper binden hochspezifisch ein ganz bestimmtes Protein, und die Kunst besteht daran, neue Proteine zu finden, die in großer Zahl auf Tumorzellen vorkommen, aber nur in geringem Maße auf gesundem Gewebe. Nach solchen neuen molekularen Zielstrukturen – auch "Targets“ genannt – suchen alle. Die Schwierigkeit liegt darin, dass Tumorzellen aus dem eigenen Körper kommen und sich in der Regel nur wenig von normalen Zellen unterscheiden.

Warum glauben Sie, dass Sie das Rennen gewinnen können?

KG: Wir arbeiten mit kleinen Membranpartikeln, sogenannten extrazellulären Vesikel, die von Tumorzellen gebildet werden und die der Zell-Zell-Kommunikation dienen. Auf Basis dieser Vesikel stellen wir unsere Antikörper her. Wir nutzen also Informationen, die uns der Tumor selbst zur Verfügung stellt. Im Vergleich zur Konkurrenz ist das eine Art umgekehrter Prozess, weil wir erst Antikörper herstellen und dann die Proteine identifizieren, welche diese Antikörper binden. So können wir neue Tumormarker, und damit neue Angriffspunkte für die Krebstherapie finden- ein klarer Vorteil gegenüber konventioneller Antikörperherstellung.

Eine große Chance für die Technologie von Eximmium. Jetzt gehen Sie damit auf den Markt, in die Anwendung und gewinnen Kunden. Was zeichnet ein gutes Biotechnologie-Unternehmen aus?

RZ: Das Team, die Idee, sowie die richtigen Investoren und Wegbegleiter.

Da sind Sie ja schon ganz gut aufgestellt. Oder?

RZ: Das sind wir hoffentlich.

Was sind die großen Hürden auf dem Weg zu einem erfolgreichen Biotechnologie-Unternehmen?

KG: Antikörperentwicklung ist sehr kostspielig, Geld ist mit Siherheit ein wichtiger Faktor. Das Team und das Geschäftsmodell sind letztendlich ebenfalls überlebenswichtig. Und die Frage, wie sich der Markt entwickeln wird. Aber ich denke, da sind wir mit therapeutischen Antikörpern gut dabei, und Krebstherapie ist zweifelsohne ein riesiger und schnell wachsender Markt. Aber auch der Bedarf muss natürlich da sein. Wenn wir am Ende unserer Entwicklungen niemanden finden, der unsere Antikörper in der Therapie einsetzen möchte, wäre das wirklich ein Problem. Deshalb müssen wir frühzeitig mit vielen Leuten sprechen und die Entwicklungen der Konkurrenz genau beobachten. 

Die hohen Entwicklungskosten kann nur ein Investor finanzieren. Nach welchen Kriterien entscheiden Investoren, in welche Unternehmen sie investieren?

KG: Gute Frage, das ist oftmals durchaus schwierig zu durchschauen. Aber Investoren haben immer einen ganz bestimmten Fokus und bestimmte Interessengebiete. Manche interessieren sich für bestimmte Tumorarten oder bestimmte Antikörper, andere sind dagegen eher auf der Suche nach neuen, innovativen Technologien. Wir versuchen uns im Vorfeld darüber zu informieren für was sich ein Investor interessiert, in welche Projekte zum Beispiel bereits investiert wurden. In den Gesprächen waren die Investoren bisher aber auch immer sehr offen, da haben wir eigentlich nur gute Erfahrungen gemacht. Wir haben u.a. gelernt, dass eine klare Fokussierung wichtig ist. Wir sind zwar nicht auf bestimmte Krebsarten limitiert, aber sollten doch eine genaue Vorstellung davon haben, wie die Behandlung eines Krebspatienten mit einem Antikörper konkret aussehen könnte. Wir konzentrieren uns im Moment vor allem auf Ovarialkarzinom. Zum einen, gibt es hier noch wenig gute Behandlungsmethoden, gleichzeitig aber einen Anstieg bei den Neuerkrankungen. Auch unser Netzwerk spielt dabei eine wichtige Rolle: Wir haben Kooperationen zu Kliniken, die sich mit Ovarialkarzinom befassen, und dadurch Zugang zu Know-how und Patientenproben.

Der Markt ist riesig, aber die Konkurrenz ist enorm.

RZ: Es ist knallhartes Business. Unter den zehn umsatzstärksten Medikamenten sind sechs Antikörper. Das heißt, mit Antikörpern lässt sich richtig viel Geld verdienen. Und deshalb geben Pharmafirmen diesen Milliardenmarkt nicht freiwillig ab. Das heißt, die Markteintrittsbarrieren sind sehr hoch. Wir glauben aber an die Qualität unserer Antikörper und sehen eine Chance, den Markteintritt bei eher seltenen Krebsart zu finden, bei der ein hoher Bedarf nach besseren Therapien besteht. Wenn man hierfür ein Medikament entwickelt, erhält man während der klinischen Prüfung und nach erfolgter Zulassung Vergünstigungen und Incentives: Die Zulassung kann schneller erfolgen, sie ist billiger und man bekommt für solche Medikamente für mehrere Jahre eine Art Monopol, sowohl in Amerika als auch hier in Europa.

Warum gehen Sie dieses unternehmerische Risiko in diesem knallharten Pharmamarkt ein?

RZ Ich mache Krebsforschung, damit Patienten eines Tages davon profitieren.

KG: Dazu beitragen, dass bessere Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden können- ich glaube, das ist der Traum eines jeden Wissenschaftlers und jeder Wissenschaftlerin. 

Wie sind Sie auf den Namen „Eximmium“ gekommen?

KG: Den Namen habe ich mir überlegt. Die Wortschöpfung „Eximmium“ setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Das „Ex“ bezieht sich auf die extrazelluläre Vesikel, welche die Basis zur Herstellung unserer Antikörper bilden, und „immium“ leitet sich vom lateinischen eximium ab, das 'hervorragend' oder 'außergewöhnlich' bedeutetWir schreiben es allerdings mit einem Doppel-m, um die Verbindung zur Immunologie zu verdeutlichen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führten Lin Wang und Christopher Kerth aus dem Bereich Innovation und Transfer der Helmholtz-Gemeinschaft.

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