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Portrait

Revolution in der Petrischale

Christopher Barner-Kowollik, Martin Bastmeyer, Martin Wegener (v.l.n.r.) Fotos: Behrendt/KIT, Breig/KIT, Martin Wegener

Der Biologe Martin Bastmeyer hat zusammen mit dem Chemiker Christopher Barner-Kowollik und dem Physiker Martin Wegener den Erwin-Schrödinger-Preis 2016 gewonnen, der besonders interdisziplinäre Forschung honoriert.

Martin Bastmeyer zeigt auf den Bildschirm. „Da ist so eine unserer 3D-Strukturen.“ Der Biologe sitzt im abgedunkelten Mikroskopie- Raum in seinem Labor im Karlsruher Institut für Technologie (KIT), der Monitor wirft einen blauen Schein auf sein Gesicht. Die Struktur, die er mit ein wenig Stolz in der Stimme vorführt, sieht aus wie ein Hocker: vier dicke Beine, die miteinander über ein Gitter verbunden sind. Zwischen den Hockerbeinen ist ein grünes Etwas aufgespannt, es könnte als Kissen durchgehen. „Das Grüne ist eine Zelle, die in der 3D-Struktur wächst“, sagt Bastmeyer. Denn das Hocker-ähnliche Gebilde auf dem Monitor ist in Wirklichkeit nur wenige Mikrometer groß, es wurde mit einem speziell für solche winzigen Strukturen entwickelten 3D-Drucker hergestellt. Für seine Methode hat Martin Bastmeyer einen Begriff geprägt: Designer-Petrischalen. Dafür hat er nun zusammen mit seinen Forscherkollegen Martin Wegener und Christopher Barner- Kowollik den Erwin-Schrödinger-Preis erhalten.

Mit den Designer-Petrischalen will Bastmeyer die Zellkultur revolutionieren: Seit mehr als 130 Jahren kultivieren Forscher Zellen von allen möglichen Organismen. Klassischerweise nutzten sie dafür flache Glas- oder Plastikgefäße, Petrischalen genannt. Die bieten eine flache Umgebung. „Aber wir wissen alle, dass in unserem Körper Zellen in einer dreidimensionalen und weichen Umgebung vorkommen“, sagt Bastmeyer. „Die Idee unserer Forschung ist es, Bedingungen herzustellen, wie sie bei uns im Körper herrschen.“

Aufgewachsen ist Bastmeyer in Trier, für sein Studium und die anschließende Promotion geht er ins nahe gelegene Kaiserslautern. Danach forscht er in Tübingen, Konstanz und San Diego, um schließlich in Jena eine Professur zu bekommen. 2004 wechselt er an die Universität Karlsruhe, die später im KIT aufgeht.

Den Traum einer Zellkultur unter mechanisch und chemisch kontrollierten Bedingungen in 3D trägt er schon länger mit sich herum. Er will damit ein Problem lösen, das er auch aus seinem Forscheralltag kennt: In der klassischen Kultur in Petrischalen verhalten sich Zellen deutlich anders als Zellen im Körper. Deshalb lassen sich Ergebnisse aus der Zellkultur nicht ohne weiteres auf den Organismus übertragen. Bastmeyer hofft, dass mit der 3D-Zellkulur dieses Problem geringer wird. Ein Jahr nach seinem Wechsel nach Karlsruhe, im Jahr 2005, spricht er deshalb Martin Wegener an. Der Physiker forscht am Nachbarinstitut schon länger am 3D-Druck von mikroskopischen Kristallen. Wegener erinnert sich noch gut an die erste Begegnung mit dem Biologen: „Mein erster Gedanke war: Was ist das denn für ein Quatsch? Wir geben Revolution in der Petrischale uns große Mühe, perfekte dreidimensionale Strukturen herzustellen, und er will darauf Zellen züchten?“ Ihn störte zunächst die Vorstellung, dass auf seinen exakten physikalischen Strukturen etwas schwer beeinflussbares Biologisches wachsen soll. Doch Martin Bastmeyer überzeugt seinen Namensvetter Wegener, gemeinsam eine Diplomarbeit zu dem Thema zu betreuen. Und bei der einen Diplomarbeit bleibt es nicht. Die beiden Professoren setzen zahlreiche Studierende und Doktoranden auf das Thema an.

Richtig Fahrt nimmt das Projekt auf, als ein Chemiker dazustößt. „Ich bin 2008 ans KIT gekommen“, erinnert sich Christopher Barner-Kowollik. „Und als erstes kam Martin Bastmeyer mit der Bitte auf mich zu, ob ich mir seine Problematik mit den Zellen mal anschauen kann.“ Das Ziel ist, für jeden Zelltyp in Kultur eine ideale Umgebung zu finden. Dazu braucht es viele Experimente, denn der eine Zelltyp fühlt sich eher in harten Strukturen wohl, der andere in elastischen weichen. Um diese Eigenschaften gezielter beeinflussen zu können, entwickelt Barner-Kowollik fortan neue Tinten für den 3D-Drucker. In ihrer natürlichen Umgebung erhalten Zellen zudem Informationen von anderen Zellen. Das soll auch in den Designer-Petrischalen simuliert werden. Dafür entwickeln sie die Möglichkeit, biologische Signalmoleküle an bestimmten Stellen der 3D-Strukturen anzubringen.

Mit dem Biologen Bastmeyer, dem Physiker Wegener und dem Polymerchemiker Barner-Kowollik sind jetzt Forscher aus drei Disziplinen an dem Projekt beteiligt. Martin Bastmeyer schätzt das: „Solche Kooperationen machen wirklich Spaß und ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Summe der Zusammenarbeit immer mehr ist als der Input.“ Die drei mussten allerdings erst lernen, sich miteinander auszutauschen. „Persönlich haben wir uns sofort verstanden“, sagt Barner-Kowollik. „Aber das fachliche Verständnis war ein Herantasten.“ Mit der Zeit wächst das Vertrauen, und die Zusammenarbeit wird immer besser. „Das funktioniert nur, weil wir drei etwas gemeinsam haben: Die persönliche Begeisterung, das Brennen für das Forschungsfeld“, sagt Barner-Kowollik.

Inzwischen haben die Forscher um Bastmeyer neben dem Hocker-ähnlichen Gebilde noch zahlreiche andere Strukturen entwickelt. In manchen gedeihen Herzzellen, in anderen Bindegewebszellen. Und tatsächlich hat sich die Theorie von Bastmeyer bestätigt: Die Zellen verhalten sich dort anders als in der klassischen Zellkultur. So konnte er etwa mit einem speziellen 3DGerüst die Zucht von Stammzellen deutlich vereinfachen.

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