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Zeitverträge

Zu oft, zu kurz, zu unsicher?

Illustration: Jindrich Novotny

Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert seit Jahren mehr unbefristete Stellen für Nachwuchswissenschaftler. Nun hat Bundesforschungsministerin Wanka angekündigt, das Wissenschaftszeitvertragsgesetz zu überarbeiten. Wie groß ist der Handlungsdruck wirklich? Zwei Blickwinkel


„Eine unbefristete Anstellung aller Beschäftigten würde die Wissenschaftseinrichtungen daran hindern, rasch auf neue wissenschaftliche Entwicklungen zu reagieren“, sagt Hans Müller-Steinhagen, Rektor der Technischen Universität Dresden.
Um es vorweg zu nehmen: Es ist mir ein Anliegen, mich für familienfreundliche Arbeitsbedingungen und persönliche Entfaltungsperspektiven einzusetzen. Gerade in Kernfächern und größeren Forschungseinheiten lässt sich außerdem eine größere Planungssicherheit erreichen, wenn Beschäftigungsverhältnisse längerfristig angelegt sind.

Gleichwohl gehen Forderungen nach einer erheblichen Ausweitung der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse zu weit. Neben einem vergleichenden Blick auf die internationale Wissenschaftslandschaft, in der es Dauerstellen nach deutschem Modell überhaupt nicht gibt, sprechen für mich insgesamt fünf Gründe für die Beibehaltung eines erheblichen Anteils an befristeten Beschäftigungsverhältnissen. Dies sind die Stellenstruktur, die Verpflichtung zur Generationengerechtigkeit, die Unberechenbarkeit wissenschaftlicher Entwicklungen, die Verfügbarkeit von besetzbaren Stellen für Neuberufene und schließlich der Chancenerhalt für die Gewinnung bester Köpfe.

Hans Müller-Steinhagen, Rektor der Technischen Universität Dresden. Illustration: Jindrich Novotny

An meiner Universität gibt es 4661 wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, 56 Prozent davon projektfinanziert. Bei diesen ist eine Entfristung schon wegen der begrenzten Laufzeit der Projekte und damit der Finanzierung nicht möglich. Unter den restlichen 44 Prozent sind viele so genannte Qualifikationsstellen. Würden wir diese heute entfristen, könnten wir sie auf Jahrzehnte hinaus nicht mehr mit neuen Promotionswilligen besetzen. Dadurch würden neue, junge Ideen fehlen; zugleich entstünde eine Ungerechtigkeit gegenüber nachfolgenden Promotionswilligen, die nicht zum Zuge kämen.

Wissenschaftliches Personal ist an bestimmte Themen gebunden. Eine unbefristete Anstellung aller Beschäftigten würde die Wissenschaftseinrichtungen daran hindern, rasch auf Entwicklungen zu reagieren, weil neue Themenfelder zwar erkannt, aber personell nicht besetzt werden könnten.

Es gibt keine einzige Berufungsverhandlung, in der nicht die Frage gestellt wird, wie viele Stellen der Kandidat oder die Kandidatin mit eigenem Personal besetzen kann. Lautet die Antwort „keine“, dann stehen die Chancen für die Gewinnung äußerst schlecht – egal wie gut das vorhandene Personal oder das restliche Angebot auch sind.

Die Lösung liegt meines Erachtens in einer maßvollen Balance zwischen Dauer- und Zeitstellen und einer wissenschaftsgerechten Flexibilisierung des Befristungsrechts.

„Es ist Zeit für die Wissenschaft, über neue Formen der Personalentwicklung nachzudenken“, sagt Andreas Schlossarek von der Arbeitsgemeinschaft der Betriebs- und Personalräte der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AGBR).
Das Thema ist bei den Verantwortlichen angekommen, so scheint es: Viel wurde in den vergangenen Jahren in Hochschulen und Forschungseinrichtungen darüber diskutiert, dass befristete Arbeitsverträge eine Lebens- und Familienplanung erschweren, wenn nicht gar unmöglich machen. Der Forschung selbst geht durch die Fluktuation wertvolles Knowhow verloren. Dass jetzt Bewegung in die Debatte gerät, zeigen beispielsweise die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Karriereförderung für die Universitäten, in dem unter anderem kritisiert wird, dass es zu wenige Dauerstellen für Daueraufgaben gebe. An anderer Stelle wird bemängelt, dass die derzeitige Befristungspraxis Unsicherheit und Abhängigkeit produziere, wenig familienfreundlich sei und die Chancengleichheit behindere.

Wenn die Bildungsministerin Johanna Wanka die Universitäten mahnt, das Geld, das durch die komplette Übernahme der BAföG-Finanzierung durch den Bund auf Länderebene frei wird, auch für unbefristete Stellen zu verwenden, ist dem zuzustimmen. Doch auch in einigen Bereichen der Helmholtz-Gemeinschaft wird mit kurzfristigen Zeitverträgen eine vermeintliche Flexibilität praktiziert, die die dauernde Unsicherheit der Beschäftigten zur Folge hat.

Andreas Schlossarek von der Arbeitsgemeinschaft der Betriebs- und Personalräte der außeruniversitären Forschungseinrichtungen (AGBR). Illustration: Jindrich Novotny

Grundsätzlich gilt: Eine vorausschauende Kapazitäts¬planung beim Personal kann die Probleme mit den befristeten Stellen vermeiden. Zusätzlich sollte das Prinzip „Dauerstellen für Daueraufgaben“ gelten. Dass manche Projekte befristet sind, steht dazu nicht im Widerspruch: Natürlich muss es Postdoc-Stellen geben, und auch in manchen anderen Bereichen sind befristete Verträge nachvollziehbar, damit die Wissenschaft reaktionsfähig bleibt. Meine Erfahrung ist allerdings, dass sich viele Institutionen mit diesem Argument aus ihrer Verantwortung stehlen – sie schützen das Bedürfnis nach Flexibilität vor, um nach Möglichkeit gar keine unbefristeten Arbeitsverhältnisse mehr anzubieten.

Aus meiner Sicht ist es Zeit für die Wissenschaft, über neue Formen der Personalentwicklung nachzudenken. Auch Forscher, die befristet angestellt sind, müssen in solche Überlegungen einge¬bunden werden: Wenn sie frühzeitig Perspektiven sehen, wie es für sie auch nach einer befristeten Anstellung auf einer anderen Position weitergehen könnte, steigert das ihre Motivation. Und Forschungseinrichtungen und Hochschulen können ihren Ruf als attraktive Arbeitgeber stärken.

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