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Hirnforschung

„Zeig mir Dein Hirn und ich sag Dir, wer Du bist“

Bild: Forschungszentrum Jülich

Ein einfacher Hirnscan statt eines Bewerbungsgespräches? Das könnte mit den Methoden, die Neurowissenschaftler am Forschungszentrum Jülich entwickeln eines Tages möglich sein. Naheliegendere Anwendungen sind aber die frühe Diagnose von Depressionen oder Demenz.

Das menschliche Gehirn ist ein Faszinosum: Rund 100 Milliarden Nervenzellen stehen im ständigen Austausch miteinander, etwa 5,8 Millionen Kilometer lang sind die Nervenbahnen bei einem Erwachsenen. Die neuronalen Netzwerke sind Basis dafür, wie der Mensch fühlt, denkt und seine Umwelt wahrnimmt. Jedes Gehirn ist anders und jedes Gehirn verändert sich ständig. Einige der Unterschiede sind mit einfachen Gehirnscans mit Hilfe von Magnetresonanztomografen (MRT), wie sie in jedem modernen Krankenhaus stehen, sichtbar. Der Neurowissenschaftler Simon B. Eickhoff vom  Forschungszentrum Jülich will herausfinden, wie diese strukturellen Veränderungen mit Verhaltensweisen oder kognitiven Eigenschaften eines Menschen zusammenhängen.

Prof. Dr. Simon Eickhoff. Direktor des Institutes Brain and Behaviour am Forschungszentrum Jülich. Bild FZJ

Dazu nutzen er und seine Kollegen zwei Dinge: Sehr viele Daten gekoppelt mit einer selbstlernenden Software aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz. Die Software wird mit den MRT-Bildern von Hirnscans und Daten zu den Personen - wie Alter, Geschlecht, Erkrankungen - gefüttert. Dadurch lernt sie und ist in der Lage Voraussagen über andere Personen zu treffen, von denen sie nichts weiter als die Hirnscans vorgesetzt bekommt. „Mit Gehirnscans können wir Veränderungen der funktionellen Netzwerke im Gehirn feststellen. Damit lassen sich objektiv Aussagen über die individuellen Eigenschaften eines Menschen treffen“, sagt Eickhoff, der seine Forschungsarbeiten auf dem Helmholtz Horizons-Symposium „The Digital (R)evolution in Science“ präsentierte. Oder, um es plakativ zu formulieren: Zeig mir Dein Gehirn und ich sag Dir, wer Du bist. Klassische Tests und Fragebögen wie sie zum Beispiel in der Diagnose von Demenzen und Depressionen, aber auch beim Assessment-Center in Bewerbungsverfahren eingesetzt werden, könnten damit künftig durch die Auswertung von Bildverarbeitungsdateien ergänzt oder ersetzt werden.

Das Prinzip funktioniert. Eickhoffs Forschergruppe gelang es beispielsweise, nur anhand von MRT-Scans und der selbstlernenden Software das Alter von Probanden zu bestimmen, wenn auch noch mit einer Abweichung von vier bis fünf Jahren. In einem anderen Forschungsprojekt verglichen die Jülicher Forscher mit Hilfe der Scans das Gehirn von an Parkinson erkrankten Personen mit Probanden, die nicht unter dieser Krankheit leiden. Ergebnis: Das Gehirn der Parkinsonerkrankten ist im Schnitt fünf bis sechs Jahre „älter“ als die Probanden wirklich sind. „Das ist ein interessanter Weg, um objektiv den Stand neurodegenerativer Krankheiten wie Alzheimer oder Parkinson zu quantifizieren“, sagt Eickhoff. Darüber hinaus zeigten die Forscher aus Jülich und von der Universität Düsseldorf, dass sich auch Eigenschaften wie die Gedächtnisleistung und individuelle Persönlichkeitsmerkmale zumindest in der Tendenz aus MRT-Bildern vorhersagen lassen.

Interessant ist die Auswertung der Gehirnscans aber auch in der klinischen Anwendung  – auf den Gebieten der Frühdiagnose und der Prognose. So versuchen die Neurowissenschaftler anhand der Hirnscans eine postnatale Depression bei jungen Müttern vorherzusagen. Diese mit fünf bis zehn Prozent Wahrscheinlichkeit verhältnismäßig häufige Erkrankung erkennt man heute erst dann, wenn sie sich manifestiert.  „Die Phase kurz nach der Geburt gilt als sehr sensible Phase für das Gehirn, viele Hormone verändern sich und die Gefahr der postnatalen Depression ist groß“, sagt er. Ziel sei zu untersuchen, ob sich über klinische Daten und Gehirnscans vorhersagen lässt, inwieweit sich später eine Depression entwickelt.

Noch aber, auch das betont Eickhoff deutlich, reicht der aktuelle Stand der Forschung nicht zur klinischen Anwendung aus. Aber sehr lange dürfte es wohl nicht dauern, sollte die Entwicklung auf diesem Gebiet weiterhin in so einem rasanten Tempo voranschreiten. Eickhoff: „Das ist keine Frage mehr von Jahrzehnten, sondern eher weniger.“ Zuvor müsse aber noch eine andere Diskussion geführt werden: Was tun mit den Datensätzen der Hirnscans der Probanden, aus denen man in Zukunft dank moderner Technologie Informationen herauslesen kann, von denen man sich heute noch keine Vorstellungen macht? „Das ist ein ethisches und rechtliches Problemfeld“, sagt Eickhoff. Dafür müssten noch Lösungen gefunden werden.

Simon Eickhoffs Horizons-Vortrag (Länge ~ 15 Minuten):

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