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Autonomes Auto

„Wir wollen alle Menschen reich machen!“

Autonomes Auto, MadeInGermany

Es klingt wie eine Szene aus einem Science Fiction-Film: Autos fahren führerlos durch die Stadt, hinten sitzen zwei, drei Leute – vertieft in ihrer Lektüre oder im Gespräch, jedoch achten sie nicht eine Sekunde auf den Straßenverkehr. Science Fiction? Nein. In sechs Jahren soll diese Zukunft Gegenwart werden. Ein Gespräch über intelligente Autos, bequeme Menschen und den Reichtum an Zeit

Herr Rojas, wie viel Doc Brown und Marty McFly aus dem Film Zurück in die Zukunft  steckt in Ihnen?

Auf jeden Fall mehr Doc Brown – Marty war ein genialer Chaot, Brown war mehr der Wissenschaftler, in dem ich mich wiederfinde. In der Wissenschaft müssen wir doch alle ein bisschen verrückt sein, wie es der Doc war.

Sie interessieren sich seit jeher für Künstliche Intelligenz, haben fußballspielende Roboter entwickelt und vor drei Jahren „MadeInGermany“ auf die Straße gebracht – ein Auto, das komplett ohne menschliche Steuerung auskommt und sich durch den Berliner Straßenverkehr kämpft. Ein beängstigender Gedanke. Wozu brauchen wir selbstfahrende Autos – können sie tatsächlich den Fahrer ersetzen?


Die Motivation ist ganz einfach: Es geht um Carsharing, bei dem sich viele Menschen ein Auto teilen, das der reinen Fortbewegung dient. Heute fahren in einem Auto durchschnittlich 1,3 Personen. Das heißt, in jedem Auto sitzt quasi nur eine Person, was total unnütz ist. Es sollten vier oder mehr sein. Nur weil wir nicht in der Lage sind das Automobil in ein öffentliches Verkehrsmittel zu verwandeln, stecken wir in nervigen Staus und kilometerlangen Blechlawinen. Autonome Fahrzeuge sind Taxis, die von einem Computer gesteuert werden, der nicht müde wird und rund um die Uhr fahren kann. Die Autos sind so voll ausgelastet und können Massen an Menschen bequem transportieren. Autonome Fahrzeuge werden zudem besser und umsichtiger fahren – diesen Level werden wir Menschen nie erreichen. Der Computer kann den Verkehr 360 Grad rundherum überblicken. Es fehlt nur noch an Fahrintelligenz – und die wird kommen.

Brauchen wir denn wirklich ein autonomes Fahrzeug – bewegen wir uns nicht schon bequem genug durchs Leben?

Autofahren ist für die wenigsten ein Vergnügen. Denken Sie nur an Mexico City oder ähnlich große Städte. Selbst in Berlin macht das Autofahren keinen Spaß. Vielmehr geht es darum, die Zeit besser zu nutzen, so wie es reiche Leute tun, die einen eigenen Fahrer haben. Wir wollen alle Menschen reich machen.

Stellen Sie sich folgende Szene vor: Das Auto fährt allein, auf der Rückbank die in ihrer Arbeit vertiefte Geschäftsfrau, vorne ein vollbremsender LKW, rechts ein Rad fahrendes Kind mit Helm, links ein Radler ohne Helm, von hinten ein schnell heranrauschender PKW. Wie entscheidet das Auto – lieber das Kind retten und womöglich in den LKW fahren, oder doch lieber ausweichen und im schlimmsten Fall das Kind gefährden?

Robotik und Ethik in Einklang zu bringen ist sehr schwer. Solche Szenarien können ja nicht einmal Menschen beherrschen. Neulich musste ein Kleinflugzeug auf einem Strand notlanden. Die beiden Flugzeuginsassen überlebten, zwei Spaziergänger kamen dabei ums Leben. Um bei Ihrem Beispiel zu bleiben: Das Wichtigste ist, dass das Auto nicht vom Weg abweicht. Das ist zwar eine sehr konservative Strategie, aber wahrscheinlich das einzige Szenario, das der Gesetzgeber akzeptieren wird. Und wie gesagt, an der Fahrintelligenz arbeiten wir unter Hochdruck.

Und wer ist schuld an einem Unfall, der ja nicht von einem menschlichen Fahrer, sondern vom steuernden Computer verursacht und im schlimmsten Fall nicht verhindert werden konnte?

Schuld wäre in diesem Fall der Computer. Die gegenwärtige Rechtslage würde zu einer großen Entschädigung führen. Diese Tatsache hat die Autoindustrie sehr lange davon abgehalten, über autonome Fahrzeuge nachzudenken. Da aber dieser Trend nicht mehr aufzuhalten ist, denkt die Autoindustrie mittlerweile über neue Versicherungsformen und Schadensregulierungen nach.
Wird sich das selbstfahrende Auto durchsetzen? Wenn ja, wann wird es soweit sein?

In etwa sechs Jahren, 2020, soll der Autopilot für die Autobahn serienreif sein. Es wird sich zeigen, wie die Verkehrsteilnehmer darauf reagieren. Die Akzeptanz können wir erst nach einer gewissen Zeit und viel Erfahrung messen. In der Stadt wird es jedoch weitaus schwieriger werden, selbstfahrende Autos einzusetzen. Dort gibt es einfach zu viele Parameter, die zu beachten sind. Eh die Technik hier ausgereift ist, vergehen sicher noch 30 bis 40 Jahre.

Was bedeutet diese Entwicklung für die Gesellschaft?

Wenn sich das Konzept durchsetzt und nicht mehr so viele Fahrzeuge unterwegs sein werden, sehe ich zu allererst Chancen in der Umweltentlastung. Große Probleme sehe ich dagegen im Beschäftigungssektor, vor allem in der Automobilbranche. Wenn wir nur noch mit einem Viertel der Autos auskommen – was ein ehrgeiziges Ziel ist – werden natürlich auch viel weniger Autos produziert. Die Umstellung sollte daher langsam und wohl überlegt passieren, auch im Hinblick auf die Frage, wo alternative Arbeitsplätze entstehen können.

Warum fährt „MadeInGermany“ ausgerechnet in Berlin und nicht anderswo?

Wir haben eine Genehmigung, über die wir sehr glücklich sind. Zudem arbeiten wir als Forschungsinstitution nicht an der Serienfertigung. Während die großen Automobilhersteller sich auf all die Tücken der Serie einlassen müssen, können wir weiter forschen und ferner in die Zukunft schauen. Wir sind freier als die Kollegen, die Autos verkaufen müssen.

Der Internetriese Google arbeitet schon lange an der Entwicklung selbstfahrender Autos, gemeinsam mit Universitäten und Autoherstellern. Auch die Universität Braunschweig ist mit ihrem Fahrzeug „Leonie“ sehr aktiv auf diesem Gebiet. Wie sehen Sie Ihr Projekt im Vergleich zu den anderen Herstellern – wer ist weiter in der Entwicklung, wer in Führung und wer hinkt hinterher?

Ich vergleiche unser Auto ungern direkt mit der Konkurrenz, weil wir alle an ähnlichen Fragestellungen arbeiten. Nur so viel: Wir spielen ganz vorne mit und müssen uns nicht verstecken.

Sehen Sie Google oder andere Forscher und Entwickler dieses Fahrzeugtyps überhaupt als Konkurrenten?


Nein, nicht wirklich – obwohl es den Wettbewerb natürlich gibt. Wir kennen uns alle, treffen uns auf Konferenzen und tauschen uns immer wieder aus. Wir kochen alle nur mit Wasser, aber das muss man auch erst einmal können!

Was passiert als nächstes mit MadeInGermany?


Wir arbeiten gerade an drei Sachen, die für den Fortschritt von MadeInGermany und für die Forschung auf diesem Gebiet entscheidend sind: erstens an der Intentionserkennung von anderen Autos und Passanten, also zu erkennen, was Autos und Verkehrsteilnehmer beabsichtigen zu tun; zweitens an der Telekommunikation zwischen autonomen Fahrzeugen und drittens am Schwarmverhalten, das heißt, das Verhalten der Fahrzeuge, wenn beispielsweise alle Straßenmarkierungen fehlen, der Verkehr aber weiter fließen muss. Ich bin überzeugt davon, dass unsere Ansätze ihren Weg finden und in Serie gehen werden. Doch bis autonome Fahrzeuge alle Verkehrssituationen bewältigen können, werden noch einige Jahrzehnte ins Land gehen.

Raúl Rojas, Professor für Mathematik, Informatik und Künstliche Intelligenz an der Freien Universität Berlin, gehört mit seinem Berliner Forscherteam zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich maßgeblich an der Entwicklung des fahrerlosen, autonomen Autos beteiligen. Seit 2011 ist „MadeInGermany“ – so der Name des autonomen Fahrzeugs – im Berliner Straßenverkehr unterwegs. Es erkennt rote Ampeln, Stoppschilder und Straßenverkehrsteilnehmer, setzt Vorfahrtsregeln problemlos um und findet sich in alltäglichen Verkehrssituationen allein zurecht.

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