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Interview

„Wir können der Natur bei der Arbeit zuschauen“

Foto: André Künzelmann/UFZ

Der Mikrobiologe Hauke Harms im Gespräch über die neuen Möglichkeiten der Bakterienforschung – und über die Frage, wie Bakterien sogar verseuchte Landstriche reinigen können.

Herr Professor Harms, seit mehr als zwei Jahrzehnten erforschen Sie Bakterien. Was hat Ihr Fach in dieser Zeit am meisten vorangebracht?

Ganz klar: Dass man heute mit Sequenzierrobotern ganze Konsortien von Bakterien und ihre Funktionsnetzwerke untersuchen kann. Das hat unserer Forschung den entscheidenden Schub gegeben. Wann war das? Es begann gegen Ende der 1990er-Jahre. Vorher konnten wir nur einzelne Organismen isoliert anschauen. Dabei entgingen uns wesentliche Informationen darüber, wie Bakterien zusammenwirken: wie beispielsweise ihre Nahrungsketten aussehen, wie ihre Kooperation im Detail funktioniert und wer wem aus dem Weg geht. All das lässt sich heute genau erkennen – wir können der Natur sozusagen bei der Arbeit zuschauen.

Das klingt faszinierend. Aber ist es auch nützlich?

Ja, zum Beispiel beim mikrobiellen Abbau von Schadstoffen. Wie schaffen Bakterien das? Ein gutes Beispiel ist der Umweltschadstoff Methyltertiärbutylether (MTBE). Das ist ein Kohlenwasserstoff, der als Antiklopfmittel im Benzin eingesetzt wird und bei Havarien ins Grundwasser gelangen kann. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten haben bestimmte Bakterien die Fähigkeit erworben, den Stoff zu knacken. Sie werden derzeit zum Beispiel mit Erfolg bei einer Sanierung am Chemiestandort Leuna in Sachsen-Anhalt eingesetzt.

Woran erkennen Sie nach einer solchen Sanierung, dass die Schadstoffe auch wirklich beseitigt sind?

Das geschieht klassischerweise durch chemische Analysen. Aber auch hier lassen sich spezialisierte Bakterien nutzen. Die Umweltmikrobiologie kann die Diagnostik sogar erheblich vereinfachen. Wir müssen heute zum Beispiel kein schweres Gerät mehr nach Bangladesch schaffen, um den Arsengehalt des Grundwassers zu ermitteln – ein Laborkoffer genügt.

<b>Hauke Harms</b> leitet den Bereich Umweltmikrobiologie am Helmholtz- Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Auf dem Gebiet der Bakterienforschung ist er seit mehr als 25 Jahren aktiv. 1990 gelang ihm der Nachweis, dass Bakterien Dioxin abbauen können. Für die Entwicklung eines Biosensors für Arsen im Trinkwasser erhielt er im Jahr 2010 den Erwin-Schrödinger-Preis. Foto: André Künzelmann/UFZ

Trotz dieser beeindruckenden Fortschritte: Es gab eine Zeit, in der die Umweltmikrobiologie mehr Schlagzeilen machte als heute.

Das stimmt, in den 1970er-Jahren herrschte eine regelrechte Euphorie. Damals wurden erstmals Bakterien entdeckt, die Schadstoffe abbauen können. Mit der Zeit musste man jedoch erkennen, dass sich die guten Ergebnisse aus dem Labor praktisch nie in die reale Umwelt übertragen ließen. Das hat mit einem Faktor zu tun, den wir Bioverfügbarkeit nennen: Im Labor bekommt das einzelne Bakterium seinen passenden Schadstoff mundgerecht serviert; draußen in der Natur finden Gift und Mikrobe aber nur schwer zueinander. Also begann man zunächst damit, den Boden tonnenweise auszuheben und zu mischen, um ein paar Gramm Schadstoffe zu ein paar Gramm Bakterien zu bringen. Das ist natürlich ein hochgradig uneffektives Vorgehen.

Was ist die bessere Strategie?

Die Natur macht es uns vor, wir müssen es nur erkennen und nachmachen. Das ist die Grundidee, und so versucht man heute, ein passendes ökologisches System im verseuchten Boden zu schaffen – zum Beispiel mit Hilfe von Pilzen, an deren netzartigen Fortsätzen die Bakterien entlangwandern können. Fachleute sprechen vom Fungal Highway: Wie auf einer Autobahn erreichen die Mikroben ihren Schadstoff.

Und wie kommen die Pilze in den Boden?


Pilze mögen Stroh. Also mischt man eine Ladung davon in die Erde.

Und alles Weitere geht von selbst?


Ja, im Boden funktioniert das ähnlich wie im Abwasser der Kläranlagen, auch wenn die Prozesse im Boden komplexer sind. Aber in beiden Situationen passen wir uns inzwischen an die Bedingungen der natürlichen Umwelt an – das ist der wesentliche Unterschied zu früher. Dieser Paradigmenwechsel hat übrigens auch juristische Konsequenzen.

Inwiefern?

Früher hielt man es für erforderlich, den verunreinigten Boden wegzuschaffen. Heute genügt oft der Nachweis, dass eine mikrobielle Selbstreinigung stattfindet

Der wissenschaftliche Name der nur ein bis zwei tausendstel Millimeter großen Bakterien ist Aquincola tertiaricarbonis. Der UFZ-Mikrobiologe Thore Rohwerder hat die Winzlinge vor mehr als zehn Jahren in Grundwasserproben auf der Fläche der ehemaligen Leuna-Werke gefunden. Das Bakterium hat einen perfekten Stoffwechsel geschaffen, um MTBE mithilfe von Sauerstoff zu Kohlendioxid abzubauen. Es hat sich genetisch hervorragend an die schwierigen Umweltbedingungen angepasst.

Millionen dieser Bakterien verwerten in den Filter- und Grabensystemen die Schadstoffe (Titelbild). Das scheinbar einfache naturnahe Verfahren ist ein Ergebnis langwieriger Forschung, denn das Bakterium ließ sich nur schwer isolieren. Anschließend haben die Biotechnologen Manfred van Afferden und Roland Müller die insgesamt 20 Schritte zum Abbau der Schadstoffe entschlüsselt und die idealen Lebensbedingungen der Bakterien nachgestellt. Anhand dieser Erkenntnisse konnten die Forscher dann das Konzept für die großtechnische Anlage entwickeln.

Dieser Text ist ein Artikel aus unserem Forschungsmagazin Helmholtz Perspektiven, Ausgabe März/April 2015. Lesen Sie zu diesem Thema auch unsere Perpektiven TitelgeschichteSchön, dass ihr da seid!

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