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Ausbreitung von SARS-CoV-2

Wie wirksam sind Raumluftfilter?

Bisher muss im Schulunterricht alle 20 Minuten für fünf Minuten gelüftet werden. Forscher haben herausgefunden, dass Raumluftfilter jedoch effektiver sind: Sie können die Ausbreitung von Aerosolen reduzieren und so den Unterricht im Klassenzimmer sicherer und angenehmer gestalten. Bild: picture alliance/dpa; Daniel Bockwoldt

Ob in der Schule, im Kindergarten, im Kino, Restaurant oder beim Arzt: Überall dort, wo viele Menschen drinnen zusammenkommen, ist das Risiko einer Infektion besonders hoch. Forscher entwickeln deshalb Belüftungssysteme, die eine unkontrollierte Ausbreitung von viren- und bakterienbelasteten Aerosolen reduzieren sollen.

Ulrike Protzer ist Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und leitet das Institut für Virologie der Technischen Universität München. Bild: HMGU

Es hängt alles an den verflixten Aerosolen. Sie bewegen sich nicht so berechenbar im Raum, wie wir das gerne hätten – nämlich schnell zu Boden sinkend. „Es sind im Prinzip nichts anderes als kleine Minitröpfchen, vielleicht zehn- oder zwanzigmal kleiner als ein Tröpfchen, das wir produzieren, wenn wir husten oder niesen“, erläutert die Medizinerin und Professorin Ulrike Protzer, Direktorin des Instituts für Virologie am Helmholtz Zentrum München und an der Technischen Universität München. Diese Minitröpfchen halten sich längere Zeit – bis zu mehreren Stunden – in der Atemluft, und über sie wird SARS-CoV-2 von Mensch zu Mensch hauptsächlich übertragen. Das macht Unterrichtsstunden in der Schule oder Vorlesungen an der Hochschule, Besuche in Pflegeheimen, Restaurant- und Theaterbesuche zu einem Risiko.

Ulrike Protzer und ihr Team haben in den zurückliegenden Monaten mit Hochdruck an einem Modell gearbeitet, das helfen kann, in geschlossenen Räumen die Konzentration von Aerosolen stark zu reduzieren. Die Wissenschaftler haben vielversprechende Ergebnisse mit dem „Next Generation Classroom“ erzielt: Sie haben in Zusammenarbeit mit Spezialisten der Unternehmen OHB Systems AG und HT Group ein Design für ein Belüftungssystem entwickelt, mit dem Schulunterricht, Veranstaltungen in Seminarräumen oder Konzertsälen bald mit deutlich niedriger Ansteckungsgefahr wieder möglich werden könnten.

Lüftungskonzept aus der Raumfahrt und Medizintechnik

Das Prinzip dieses „Classrooms“: Ein vertikales, unter der Decke installiertes Lüftungssystem saugt die aufsteigende ausgeatmete Luft im Raum nach oben ab, filtert sie mittels sogenannter Hepa-Filter und führt sie unten, am Fußboden, als Frischluft wieder zu. Die starke vertikale Strömung verhindert, dass sich die in der Atemluft enthaltenen Aerosole unkontrolliert verbreiten. Abgesaugt wird im Niedrigimpulsbereich, damit die im Raum sitzenden Personen unbeeinträchtigt von zu starker Luftströmung oder Lärm konferieren, arbeiten und zuhören können. 

Hepa-Filter bestehen aus vielen Schichten sehr feiner Lagen aus synthetischen Fasern, Glasfasern oder Zellulose und können winzige Partikel von bis zu 0,0003 Millimetern aus der Luft filtern. Anwendungen aus der Raumfahrttechnologie (OHB Systems AG) und Medizintechnik (HT Group) wie die Filter kommen überall dort zum Einsatz, wo eine saubere, schadstofffreie Luft zwingend erforderlich ist. Im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) am Standort Göttingen testen der Strömungsphysiker Andreas Westhoff und seine Kollegen den „Next Generation Classroom“ sogenannten thermischen Menschenmodellen.

„Je mehr wir uns in einem Raum bewegen, desto mehr schießen auch die Aerosole quer, im wahrsten Sinne des Wortes“, erläutert Andreas Westhoff. Genau das macht vor allem Schulstunden oder lebhafte Kitagruppen, aber auch Wartesäle in Arztpraxen oder Feiern in geschlossenen Räumen zur Herausforderung in Corona-Zeiten.  

Raumlüfter können die Ausbreitung von Aerosolen reduzieren

Die Test-Dummys im „Klassenraum der Zukunft“ sind Menschmodelle, die mit einem Heizdraht umwickelt sind und die Wärmeabgabe eines sitzenden Menschen simulieren. Einige Dummys wurde mit einem Atemluftsimulator ausgestattet, um die Realsituation so genau wie möglich nachzuempfinden. „Die Wärmeabgabe jedes Menschen erzeugt eine Auftriebsströmung, die die Strömung in einem Raum wesentlich beeinflusst“, so Andreas Westhoff. Auch die Ausbreitung menschlicher Spuckepartikel wird im DLR mit den Dummys simuliert. Erste Erkenntnisse dazu sollen demnächst vorliegen.

„Die Untersuchung des Raumlüftungskonzepts hat gezeigt, dass mithilfe des getesteten Prototyps eine stabile Strömung vom sitzenden Menschen direkt zur Absaugung realisiert werden kann“, erläutert der Wissenschaftler. „Die vom Menschen erzeugte warme Auftriebsströmung unterstützt diesen Effekt. Eine unkontrollierte Ausbreitung von viren- und bakterienbelasteten Aerosolen aus der Atemluft kann unter den untersuchten Bedingungen also reduziert werden.“

Die Forscher stellen für ihre Messungen nicht nur die Situation im Klassenzimmer nach, sondern auch typische Szenarien im Arzt-Warteraum, im Restaurant und im Kino. Praxistests in Schule und Gastronomie sind ebenfalls geplant. Um Räume entsprechend auszustatten, brauche es nur einen recht einfach einzubauenden Nachrüstsatz für bestehende Lüftungsanlagen, sagt Westhoff.

Filtersysteme ersetzen nicht die Abstandsregeln

Fazit: Diese vertikale Verdrängungslüftung scheint wirksamer und im Winter bei kalten Temperaturen zudem praktikabler zu sein als häufiges Lüften oder mobile Raumluftreiniger, die – je nach Raumgröße – in größerer Zahl platziert werden müssten.

Doch auch die mobilen Geräte können erste Abhilfe schaffen. Das untersuchte Achim Dittler. Der Professor für Mechanische Verfahrungstechnik am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist spezialisiert auf die Forschung zu Gas-Partikel-Systemen. Er hat mit Kollegen die Wirksamkeit von Raumluftreinigern untersucht und sagt: „Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass Raumluftreiniger die globale Partikelkonzentration in geschlossenen Räumen, in Zeiten, wenn nicht gelüftet werden kann, stark verringern.“

Der Frischluftbedarf einer 22-köpfigen Schulklasse beträgt beispielsweise 1.100 Kubikmeter pro Stunde. Leistungsstarke Geräte, die mehrere Tausend Kubikmeter Luft pro Stunde umwälzen können, kosten etwa 1.000 Euro oder mehr.

Allerdings: „Gute Raumluftfilter können nur ein weiterer Baustein, aber keinesfalls Ersatz der AHA-L-Regeln sein“, sagt Dittler. Ohne Abstand, Hygiene, Alltagsmaske und regelmäßiges Lüften gehe es nicht. Denn überall dort, wo Personen ohne Schutzmaske und fernab eines Raumluftfilters besonders eng beieinander stünden oder säßen, könnten die mobilen Raumluftfilter deutlich weniger gegen eine mögliche Belastung durch Viren in dem Raum ausrichten. „Auch entfernen mobile Raumluftfilter kein CO2 aus der Atemluft. Es muss also weiterhin für eine ausreichend hohe Frischluftzufuhr gesorgt werden.“

Der Praxistest des „Next Generation Classroom“ findet derzeit in einem Seminarraum an der TU München statt. „Wir haben uns dafür einen rund 50 Quadratmeter großen Raum ausgesucht, der aktuell von rund einem Dutzend Mitarbeitenden in den Pausen genutzt wird“, erläutert die Virologin Ulrike Protzer. „Sie nehmen dort auch Mahlzeiten ein und tragen dabei keine Maske.“ Ein Härtetest also. Und wenn es mit einem Dutzend Menschen funktioniert, ist vielleicht bald eine Übertragung des Konzepts auf große Schulklassen möglich.

Pressemitteilung zum „Next Generation Classroom“

Informationen des Partners OHB Systems AG

KIT-Forscher entwickeln Raumluftfilter Aerobuster

Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) haben einen Apparat entwickelt, der Krankheitserreger aus der Raumluft holen und inaktivieren kann. Der sogenannte Aerobuster sei einfach, kompakt und effektiv, so die Wissenschaftler. Simulationen der Aerosolbewegungen in einem durchschnittlichen Klassenzimmer mit 20 Schülern zeigen, dass durch den Aerobuster die Konzentration aktiver Viren in der Raumluft deutlich gesenkt und so die Ansteckungsgefahr dauerhaft vermindert werden kann. Damit eigne sich der Apparat für den Einsatz in Schulen, Kindergärten, Uni-Hörsälen, Krankenhäusern, Arztpraxen, Büros oder Restaurants.

Meldung des KIT

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