Weinbau
Wie viel Wissenschaft steckt im Wein?
Ein warmer, trockener Sommer ist zwar wichtig für die Qualität eines Weines, doch viel wichtiger ist das, was nach der Ernte passiert. Von der Kunst und der Wissenschaft des Weinbaus.
Der Weinbauer überlegt, ob er die Trauben noch einmal ausdünnt. Damit konzentriert sich die Kraft der Pflanze in den verbleibenden Trauben und erhöht die Qualität und den Mostgehalt der Früchte. Das individuelle Zusammenspiel von Zuckerreife, Säure- und Alkoholgehalt bestimmt später den Charakter und die Güte des Weines. Eine Beere hat der Winzer eben zerquetscht und mit dem Refraktometer den Oechslegrad des Saftes bestimmt. Dieses Maß sagt ihm, wieviel Zucker die Trauben bereits gebildet haben und wann die Lese beginnt. Fast 60 Prozent Fruchtzucker hat diese Traube. Noch etwa zwei Wochen, schätzt er. Bis dahin kann noch viel passieren. Als Weinbauer ist man so einigen Risiken ausgesetzt: Kirsch-Essigfliege, Stiellähme oder Pilzerkrankungen wie der Mehltau, oder aber ein Hochsommergewitter, das mit tischtennisballgroßen Hagelkörnern die ganze Ernte vernichtet. Die Zahl der Unwetter mit Hagel und Wind hat in den vergangenen Jahren merklich zugenommen - eine Folge des Klimawandels wie Klimaforscher vermuten. Auch langandauernde Niederschläge wären zum jetzigen Zeitpunkt Gift für die Früchte. Zuviel Wasser erhöht den Druck in den Wurzeln, die Beeren platzen und es droht Fäulnis. Was Manfred Lindicke dringend braucht, ist ein trockener Herbst.
Die Lesezeit beginnt meist Mitte September und geht bis Anfang Mitte Oktober. Stolz führt Lindicke durch die moderne Kelteranlage mit den meterhohen glänzenden Edelstahltanks. Die Anlage ist gesäubert und bereit für den Einsatz. Wochen harter körperlicher Arbeit mit wenig Schlaf kommen auf die Lindickes und ihre Mitarbeiter zu. Vier Tonnen Trauben können am Tag verarbeitet werden. Innerhalb von 20 Minuten nach der Lese kommen sie in die Abbeermaschine. Dabei wird das Stielgerüst entfernt. Eine Pumpe befördert das Beeren-Saft-Gemisch direkt in den Maische-Tank. Die Maischestandzeit – bei Lindickes Rotweinen bis zu acht Tagen, bei seinen Weißweinen zwischen 12 und 24 Stunden – ist ein wichtiger Vorgang: Denn während der Gärung schließen natürliche Hefekulturen die Beerenschale auf, es kommt zur ersten Alkoholbildung. Dadurch werden die für die Farbe, den Geschmack und Geruch sowie die Konsistenz des Weines typischen Inhaltsstoffe, die Polyphenole, extrahiert – insbesondere beim Rotwein. Wie konzentriert, das kann der Kellermeister über die Maischestandzeit beeinflussen. Anschließend werden die Schalen und Kerne (Trester) in der Weinpresse vom Traubensaft (Most) getrennt.
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