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Ölkatastrophe

Wie viel hält ein Ozean aus?

Ein Schiff im Golf von Mexiko nach der Ölkatastrophe 2010. Bild: Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0)

Vor fünf Jahren sank die Ölbohrplattform Deepwater Horizon: Fast drei Monate sahen die Experten hilflos zu, wie insgesamt 800 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko strömten. Mit den Folgen kämpfen Menschen und Umwelt bis heute.

Es beginnt mit einer Explosion. Am 20. April 2010, vor fünf Jahren, strömt Erdgas aus einem Bohrloch unter der Ölbohrplattform Deepwater Horizon. Die daraus entstehende Explosion tötet elf Menschen, zwei Tage später sinkt die Ölbohrplattform. Was dann folgt, ist "eine der größten menschengemachten Katastrophen unseres Planeten", sagt Professor Michael Schlüter, Leiter des Instituts für Mehrphasenströmungen an der TU Hamburg-Harburg.

Das Bohrloch, das aus mehreren Lecks besteht, liegt in 1.500 Metern Wassertiefe. Ferngesteuerte Tauchroboter sollen es schließen - erfolglos. Etliche weitere Versuche der Betreiberfirma BP folgen, um die Lage in den Griff zu bekommen: das Öl mit einem großen Stahldom auffangen; den im Bohrloch steckenden Bohrkopfes mit einem Stahltrichter abdecken; neue Abdichtaufsätze; das Leck mit Schlamm und Zement stopfen; seitliche Entlastungsbohrungen. Doch das Öl strömt ungehindert weiter aus. "Die Hilflosigkeit, mit der man dem Unglück und den Auswirkungen gegenüberstand, ist besonders bestürzend", sagt Schlüter.

87 Tage. So lange dauert die Ausnahmesituation. Die Menschen auf der ganzen Welt verfolgen alles im Fernsehen und in der Zeitung, die Katastrophe hat bald einen festen Platz in den Nachrichten und wird langsam zum Dauerzustand - während Tag und Nacht Hunderttausende Liter Öl in den Ozean schießen. Erst nach knapp drei Monaten gelingt es den Experten endlich, mithilfe eines anderen Zugangs das Loch mit Zement und Schlamm dauerhaft zu schließen. Bis dahin sind 800 Millionen Liter in den Golf von Mexiko geströmt.
Noch während das Öl ausgeströmt ist, hat man versucht, seine schädliche Wirkung zu bremsen. Kontrolliertes Abbrennen erwies sich jedoch als unzulänglich. Bis zum 5. Mai wurde rund eine Million Liter einer Chemikalie namens Corexit eingesetzt. Der Stoff spaltet das Öl in Tröpfchen auf, so dass es auf den Meeresboden absinkt. Doch Corexit ist höchst umstritten, manche Bestandteile gelten als giftiger als das Öl selbst. In einer Studie im Fachjournal Plos One aus dem vergangenen Jahr konnten Wissenschaftler der University of Alabama zeigen, dass Corexit Zellen in menschlichen Lungen und in den Kiemen von Fischen und Krabben schädigt. Viele Helfer, die damals mit der Chemikalie in Berührung kamen, klagen bis heute über Beschwerden. Doch selbst die enorme Menge konnte nur einen Bruchteil des Öls entschärfen. Was auch immer unternommen wurde, um das Meerwasser vom Öl zu befreien - die schiere Menge machte alle Versuche letztlich fast bedeutungslos.

Wie viel halten die gigantischen Ozeane aus? Mit Hunderten von Studien über die Auswirkungen der Katastrophe auf Umwelt und Menschen versucht die Wissenschaft das zu leisten, was ihr Urzweck ist: Das Geschehene zu verstehen. Es zeigte sich, dass bestimmte Pflanzen- und Tierarten durch das Öl regional ausgestorben sind oder sich deren Gene verändert haben, die Zusammensetzung der Bakterientypen änderte sich deutlich. Eine Untersuchung der University of Florida beispielsweise zeigte, dass 20 Prozent der Fische an den von der Ölkatastrophe betroffenen Küstenabschnitten offene Wunden haben, inzwischen glaubt man, dass sogar 50 Prozent der Fische betroffen sind. Im Jahr 2013 stellt der ehemalige NASA-Physiker Bonny Schumaker eine stark dezimierte des Lebens im Meer in einem Radius von 80 Kilometer um das geschlossene Bohrloch fest.

Auch die Gesundheit der Menschen der Region ist betroffen, das Blut der Reinigungsarbeiter wies das US-amerikanische Nationale Institut für Arbeitsgesundheit und -sicherheit (National Institute of Occupational Health and Safety) sogar zwei Jahre nach der Katastrophe noch sogenannte Biomarker vom Öl aus dem Bohrloch nach. Doch auch das Öl, das abgesunken ist auf den Meeresgrund, richtet noch Schaden an: Anfang des Jahres fanden der Meeresbiochemiker Jeff Chanton von der Florida State University und seine Kollegen heraus, dass auf dem Meeresboden 37 Millionen Liter Öl liegen. Die Würmer würden das Öl aufnehmen, die Fische wiederum die Würmer essen, damit gelange das Öl nach und nach in die Nahrungskette, heißt es in der Studie.

"Obwohl in den vergangenen fünf Jahren viele Anstrengungen unternommen wurden, die negativen Effekte einzudämmen, sind viele Auswirkungen auf die Ökosysteme bis heute spürbar", sagt Jörg Rinklebe, Professor für Boden- und  Grundwassermanagement an der Bergischen Universität Wuppertal. "Rund 600 Meilen Küstenlinie wurden von dem Öl beeinflusst." BP und die anderen Unternehmen, die für die Katastrophe verantwortlich sind, werden wohl 2016 zur Zahlung von vielen Milliarden US-Dollar verurteilt werden. Doch die Katastrophe macht das nicht rückgängig.

Zusätzlich zur Erforschung der Konsequenzen der Ölpest gibt es auch eine Vielzahl von Untersuchungen, die zeigen sollen, wie eine solche Katastrophe sich womöglich schneller und wirkungsvoller eindämmen lässt. Auch in Deutschland. An der Technischen Universität Hamburg-Harburg stellen Michael Schlüter und seine Kollegen die Bedingungen der Deepwater Horizon-Katastrophe in einem Tiefseelabor nach. Gemeinsam mit Kollegen aus Perth, Miami und Houston wollen sie optimale Bekämpfungsstrategien für die Zukunft zu entwickeln. Denn der Ölhunger der Menschheit ist ungebrochen.

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