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Standpunkte

Wie viel Differenzierung braucht die Unilandschaft?

Bild: fotolia.com/marcjohn.de

Die Exzellenzinitiative war nur das Startsignal. Mehr Wettbewerb verändert das Hochschulsystem – und bildet neue Koalitionen. Ob TU9, U15 oder UAS7: Die Universitäten und Fachhochschulen organisieren sich in Clubs. Peter-André Alt (FU Berlin) und Ulrich Radtke (Uni Duisburg-Essen) über Chancen und Grenzen des Konkurrenzkampfes

Wer den Wettbewerb will, muss auch die Konsequenzen akzeptieren können, sagt Peter-André Alt, Präsident der Freien Universität Berlin

Die Bedingungen für Spitzenforschung in Deutschland seien verbesserungsbedürftig, sagt Peter-André Alt, der Präsident der Freien Universität Berlin. Die Exzellenzinitiative habe gute Universitäten gestärkt – aber nicht zu Lasten der übrigen Hochschulen. Peter-André Alt, Bild: Bernd Wannenmacher

Die bildungspolitische Debatte über die Entwicklung des deutschen Hochschulsystems wird weder ehrlich noch konsequent geführt. Statt klarer Diagnosen sind Euphemismen oder Klagen zu hören. Euphemistisch sprechen diejenigen, die von "Differenzierung" oder "funktionaler Spezialisierung" reden; klagend diejenigen, die das Faktum von Leistungsunterschieden für ein Produkt irreführender Außendarstellung halten.

Zur Erinnerung: Als 2005 die Exzellenzinitiative beschlossen wurde, sollte sie deutsche Hochschulen forschungsstärker und konkurrenzfähiger machen. Unbestritten war dabei, dass das breite Leistungsspektrum ein Qualitätsmerkmal der hiesigen Universitätslandschaft bildete. Das sollte auch nicht in Frage gestellt oder gar torpediert werden. Verbesserungsbedürftig waren die Rahmenbedingungen für Spitzenforschung, auch in der Kooperation zwischen Universitäten und außeruniversitären Einrichtungen. Trotz mancher Kritik im Detail steht außer Frage, dass die beiden Runden der Exzellenzinitiative 2006/07 und 2012 die Umsetzung dieses Ziels erheblich befördert haben. Zweifellos profitierten besonders diejenigen Universitäten, die ihre Verbund- und Strategiefähigkeit unter günstigen regionalen Rahmenbedingungen nochmals verbessern konnten. Warum das schlecht sein sollte, mag nicht einleuchten, zumal diese Vorteile nicht zu Lasten kleiner und mittelgroßer Hochschulen errungen wurden. Im Gegenteil: Aus dem Wettbewerb haben auch sie Nutzen gezogen, nicht zuletzt im Bereich der Graduiertenförderung.

Die Leistungsbreite des deutschen Hochschulsystems, die glücklicherweise auch weiter besteht, sollte nicht zum Glauben verleiten, dass alle alles gleich gut können. Zu den ehrlichen Konsequenzen des Wettbewerbs muss auch die Einsicht in Prioritäten gehören; das ist der Sinn von Profilbildung. Wenn große, forschungsstarke Universitäten eine höhere Zahl von international sichtbaren Schwerpunktbereichen aufweisen als kleinere, so liegt das in der Natur des Systems. Dass sie ihre Interessen nun in gemeinsamer Abstimmung vertreten, ist legitim und hat nichts mit der Bildung von Beutegemeinschaften oder Elitezirkeln zu tun. Denn eine ehrliche Debatte über die Entwicklung des Hochschulsystems, die ohne Euphemismen und Klagen auskommt, nutzt allen.

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Nicht nur Exzellenzunis haben das Zeug zur Exzellenz, sagt Ulrich Radtke, Rektor der Universität Duisburg-Essen

Ulrich Radtke, der Rektor der Universität Duisburg-Essen, wirbt für kleine und junge Universitäten: Auch sie hätten das Zeug zu exzellenter Forschung – würden aber bei einer strikten Differenzierung der Hochschulen schnell zu kurz kommen. Bild: Frank Preuss

Wenn es um die Differenzierung des deutschen Hochschulsystems geht, denken viele darüber nach, unterschiedlich leistungsstarke Ligen zu bilden. Zu den Auserwählten für die Spitzengruppe zählen die Universitäten, die schon in der Exzellenzinitiative erfolgreich sind - und von ihrer Seite aus ist die Debatte über die Differenzierung eindeutig interessengeleitet. Es muss aber hinterfragt werden, was mit einer solchen Ligenbildung gewonnen wird.

Dass sich die Hochschulen an den verbreiteten internationalen Rankings orientieren, beeinflusst sie stark. Die deutschen Universitäten werden in diesem Wettstreit mit der englischsprachigen Wissenschaftswelt nicht gewinnen können, trotz aller Bemühungen. Dafür sind die Ausgangsvoraussetzungen zu unterschiedlich: Im deutschen Wissenschaftssystem findet der Wettbewerb zwischen Wissenschaftlern oder Fachgebieten unterschiedlicher Universitäten statt - nicht aber zwischen Universitäten in ihrer Gänze. Natürlich gab es auch in Deutschland schon immer Universitäten mit effizienteren Leitungsstrukturen, einer besseren Ausstattung oder einem größeren Renommee. Auch Qualitätsunterschiede hat es schon immer gegeben. Die Exzellenzinitiative hat weitere Differenzierungsprozesse angestoßen, die mehrheitlich positiv zu bewerten sind.

Aber: Es herrscht ein stetiger Wandel - neue Exzellenzzentren entstehen, andere haben ihren Zenit überschritten. Das ist nur bedingt planbar, denn entscheidend sind die ganz wenigen brillanten Köpfe, die hinter dem Erfolg stehen. Natürlich kann man versuchen, alle Top-Wissenschaftler an wenigen Orten zu konzentrieren. Aber beschneidet man sich mit einem solchen de facto-Kartell nicht selbst? Deutschland hat über 100 Universitäten - soll die schiere Größe über die Kartellzugehörigkeit entscheiden? Auch kleine oder junge Universitäten bieten einen guten Nährboden für exzellente Forschung - warum soll man ihnen die Chance verwehren, sich in bestimmten Bereichen international wettbewerbsfähig aufzustellen? Gibt man mehr Universitäten als den happy few die Möglichkeit, sich in bestimmten Segmenten stark zu positionieren, ist es auch für das Gesamtsystem deutlich besser.

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