Standpunkte
Wer sagt Forschern, was sie dürfen?
Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut. Doch wo genau liegen ihre Grenzen? Und wer darf sie festlegen? Zwei Blickwinkel am Beispiel der Rüstungsforschung
Blicken wir auf die Gesetzeslage: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“, so heißt es im Artikel 87a des Grundgesetzes. Ferner ist die Bundesrepublik Deutschland seit 1955 Mitglied der NATO, deren vordringliches Ziel es ist, die Verteidigung aller ihrer Mitglieder gemeinsam zu gewährleisten.
Als Wissenschaftler an einer deutschen Universität oder öffentlichen Forschungseinrichtung handelt man demnach unmoralisch, wenn man der eigenen Truppe, also der Bundeswehr, und den befreundeten NATO-Partnern das bestmögliche Gerät und Material für ihre Mission verweigert. Nach dem bekannten Wort des früheren Verteidigungsministers Peter Struck wird die Sicherheit der Bundesrepublik auch am Hindukusch verteidigt. Und ich will mich nicht am Tod eines unserer Soldaten oder dem eines NATO-Partners schuldig machen, indem unsere Forschung ihnen nicht den leistungsfähigsten Explosivstoff, die besten Treibladungspulver und Raketentreibstoffe und die effektivste Pyrotechnik zur Verfügung stellt.
Allen, die Zivilklauseln befürworten, kann ich nur sagen: Dann sollten sie auch die Bundeswehr abschaffen, den Austritt Deutschlands aus der NATO befürworten – und dann aber auch mit den Konsequenzen leben. Vor allem aber sollten sie auch die Forschung zum Beispiel an Leuchtdioden verbieten, denn die lassen sich hervorragend in Flugzeugen einsetzen. Auch in Militärflugzeugen.
Thomas Klapötke forscht seit Jahren im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums und wird von der Bundeswehr gefördert, um Explosivstoffe umweltverträglicher zu machen.
Es ist nun einmal so: In der Forschung liegen großer Nutzen und großer Schaden bisweilen dicht beieinander. So hat die Haber-Bosch-Synthese die Nutzung von Ammoniak als Kunstdünger ermöglicht – ein kaum zu unterschätzender Segen für die Welternährung. Zugleich aber dient Ammoniumnitrat bis heute zur Herstellung von Sprengstoff. Auch Giftgase wurden auf der Basis der Forschungsarbeiten von und durch Fritz Haber entwickelt.
Was das für individuelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet? Sie sind verpflichtet, die Chancen und Risiken ihrer Forschung abzuwägen: Rechtfertigt das Ziel die möglichen Gefahren bei der Erforschung – etwa wenn an der Entwicklung von Viren gearbeitet wird? Und wofür könnten die Ergebnisse der Arbeit eines Tages eingesetzt, wozu missbraucht werden?
Auch die Wissenschaftseinrichtung als Ganzes trägt Verantwortung. So wie der Glanz von Erfolgen ihrer Forscherpersönlichkeiten auch auf sie fällt, ist sie umgekehrt auch für die mit Forschung verbundenen Gefahren mitverantwortlich und muss diesen vorbeugen. Dies geschieht in einem ersten Schritt dadurch, dass das Spannungsfeld von Freiheit und Verantwortung immer wieder in wissenschaftlichen Foren thematisiert wird. Wichtiger noch ist, dass Hochschulen und Forschungseinrichtungen ihre Beschäftigten ganz konkret in die Pflicht nehmen – durch individuelle Vereinbarungen oder durch die Verabschiedung ethischer Regeln. Auch wenn diese aufgrund der Wissenschaftsfreiheit keine Verbote oder Gebote sein dürfen, so müssen es doch klare Handlungsmaximen sein, die den Forschenden Maßstäbe für ihre individuellen Entscheidungen an die Hand geben – und Gesprächspersonen benennen, die die individuelle Entscheidungsfindung begleiten. Das Karlsruher Institut für Technologie hat solche Leitlinien bereits 2012 verabschiedet.
Denn nur so, im Miteinander von Freiheit und Verantwortung, kann sich der Freiraum für die Wissenschaft, wie er im Artikel 5 des Grundgesetzes garantiert wird, wirklich in dem Sinne entfalten, wie er gemeint ist: für das Wohl und den Fortschritt der Menschheit.
Leser:innenkommentare