Standpunkt
„Welche Datenlücken und welches Unwissen wollen wir uns als Gesellschaft leisten?“

Susanne Buiter ist Wissenschaftliche Vorständin und Sprecherin des GFZ Helmholtz-Zentrums für Geoforschung sowie Helmholtz-Vizepräsidentin für den Forschungsbereich Erde und Umwelt. Bild: Reinhardt Sommer
Politische Eingriffe gefährden in den USA wissenschaftliche Strukturen und Daten. Betroffen sind unter anderem globale Messnetze, von denen Frühwarnsysteme und Klimamodelle abhängen. Helmholtz will bedrohte Daten sichern. Ein Standpunkt von Susanne Buiter.
Kürzungen, Kündigungen, Festnahmen – wir erleben gerade in einigen Staaten weltweit einen Kampf gegen Wissenschaft aus ideologischen Gründen, der an finsterste Zeiten in Europa erinnert. Im Fokus stehen „Wokeness“, „Gender“, Klima und Gesundheit sowie Diversität, Gleichstellung und Inklusion – und sogar Wissenschaft als solche.
Ausgerechnet die Regierung der stärksten Wissenschaftsnation der Welt macht bei diesem Kampf an vorderster Front mit. In den USA sind neben der Gesundheitsforschung die Geowissenschaften besonders betroffen, weil Klimawandel und Umweltschutz zu „Un-Themen“ erklärt werden und Programme zur Erdbeobachtung von drastischen Kürzungen oder sogar einem kompletten Aus bedroht sind.
Damit sind nicht nur jahrzehntelange Partnerschaften gefährdet, sondern auch wertvolle Datenbestände. Allein der Umweltdatendienst der Nationalen Ozean- und Atmosphärenbehörde der USA, NOAA, listet Dutzende Datensätze und Produkte auf, die beendet werden.
Darunter sind Daten aus Erdbebenkatalogen oder zu Ozeanströmungen. Es drohen Lücken in globalen Messnetzen, die für die Erdbeobachtung und damit für Klimamodelle und Frühwarnsysteme unerlässlich sind. Hinzu kommt, dass wir wissenschaftliche Daten oft arbeitsteilig in internationalen Netzwerken verarbeiten: Sensoren, irgendwo auf der Welt oder im All, liefern Rohdaten, die Partner:innen weltweit aufbereiten und für andere Forschende verfügbar machen. Wir haben die Sorge, dass wichtige Prozessschritte ausfallen.
Im Helmholtz-Forschungsbereich Erde und Umwelt diskutieren wir, Speicherkapazitäten, Fachwissen und Schnittstellen gemeinsam zu organisieren, bevor wichtige Daten unwiderruflich verschwinden. Dazu brauchen wir allerdings nicht nur Hardware, sondern auch personelle Kapazitäten. Denn die Prozessierung und die Bereitstellung der Daten zur Wiederverwendung können wir langfristig nicht mit dem vorhandenen Personal stemmen.
Wir haben uns zunächst auf eine Auswahl bedrohter Datenbestände verständigt, die wir übernehmen und damit der wissenschaftlichen Gemeinschaft weiter zur Verfügung stellen könnten. Hier helfen existierende Dienste wie PANGEA vom AWI oder GFZ Data Services. Mit einer Erhöhung der Personalressourcen für eine Übergangszeit können wir uns Zeit verschaffen für langfristige europäische Lösungen. Wir brauchen Redundanz ohne unnötige Dopplungen von Datensätzen und die Einbettung in europäische Strukturen. Es gibt bereits Netzwerke und Infrastrukturen wie etwa ERICs (European Research Infrastructure Consortium), die wir ansprechen können.
Helmholtz als die größte deutsche Forschungsorganisation sollte hier Vorreiter sein und Wege bahnen, die wir gemeinsam mit anderen Forschungsorganisationen und der europäischen Politik gehen müssen. Dazu müssen wir Ressourcen freimachen oder zusätzliche Mittel einwerben.
Massive Kürzungen und Schließungen werden oft mit der Frage gerahmt, welche Art von Wissenschaft man sich denn leisten wolle. Das ist aus meiner Sicht grundfalsch. Wir müssen stattdessen fragen, welche Datenlücken und welches Unwissen wir uns als Gesellschaft leisten können. Und wir müssen darauf hinweisen, was die Folgen dieser Lücken sind. Wir befinden uns als Menschheit in einer Multikrise planetaren Ausmaßes, allein schon, was Biodiversitätsverlust und Klimaerwärmung betrifft. Wir steuern auf Gefahren zu, die nicht verschwinden werden, wenn wir die Augen zumachen. Im Gegenteil.
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