Standpunkt
Warten ist keine Option. Tempo beim Ausbau der Photovoltaik
Bis 2050 muss die Energieversorgung klimaneutral sein. Klar ist, dass die Photovoltaik hierbei einen entscheidenden Beitrag liefern muss. Warum das so ist und dass der schnelle Ausbau machbar ist, begründet Rutger Schlatmann vom Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB).
Inzwischen liegen die Vollkosten für Solarstrom unter denen von allen anderen Stromerzeugern (inkl. Kohle, Öl, Gas, Wind), und weitere Kostensenkungen sind in Reichweite. Nuklearenergie oder Kernfusion sind entweder viel teurer oder noch lange nicht einsatzbereit. Im Unterschied dazu lässt sich Photovoltaik weltweit schnell installieren. Wir gehen davon aus, dass die rasante Lernkurve, die wir bei den PV-Technologien in den vergangenen Jahrzehnten beobachten, sich fortsetzen lässt und Photovoltaik noch preiswerter und effizienter wird.
2022 waren weltweit erstmals über ein Terawatt PV-Leistung installiert. Das entspricht 4–5 Prozent des Strombedarfs. Bis 2050 wird der Bedarf an Elektrizität deutlich steigen, nicht nur, weil bis dahin etwa 10 Milliarden Menschen auf der Erde leben, sondern auch, weil auch der Verkehr oder die Wärmeerzeugung elektrifiziert werden müssen, um treibhausgasneutral zu werden. Wir schätzen, dass in 2050 etwa 75 Terawatt Photovoltaik-Leistung installiert sein müsste, um dieses Ziel zu erreichen. Das entspricht in Deutschland etwas zwei Prozent der gesamten Landfläche für den kompletten Bedarf. Ist dies schaffbar? Wir sind davon überzeugt.
Das Tempo beibehalten
Das nächste Jahrzehnt ist dafür entscheidend: In den nächsten 10 Jahren muss die PV-Industrie kontinuierlich wachsen und zwar mit jährlichen Raten von etwa 25 Prozent. Das klingt dramatisch, aber entspricht tatsächlich einfach dem Wachstum in den letzten Jahrzehnten. Die PV-Industrie hat bisher weltweit alle drei Jahre die jährliche Produktion verdoppelt, und dabei sind die Kosten für den Bau neuer Produktionslinien um 50 Prozent gesunken. Bei dieser Rate wird das nächste Terawatt an installierter Leistung voraussichtlich 2024 erreicht, eine Produktionsrate von einem Terawatt pro Jahr könnte bis 2028 oder früher erreicht werden. Wir müssen dafür jedoch auch in Europa und Afrika eine Industrie aufbauen, sowie es auch die USA und Indien mit ihrer sehr kräftigen Industriepolitik anstreben, um einseitige Abhängigkeiten zu reduzieren und dabei die gesamte Lieferkette in den Blick nehmen. Insbesondere müssen wir auch Konzepte für das Recycling von Solarmodulen entwickeln.
Vielfältige Innovationen
Dies wird gelingen: Es gibt große Fortschritte, sowohl bei Einsparungen von kritischen Materialien wie Silber und Indium als auch beim Design einer Kreislaufwirtschaft für Solarmodule. Der Technologietransfer hat sich enorm beschleunigt. Eine Analyse zeigt, dass es nur noch drei Jahre dauert, bis eine Solarzelle aus der Massenproduktion genauso effizient ist wie im Labor, wenn die Forschung eng mit einer modernen Produktionskette verbunden ist.
Dabei gibt es auch Lösungen, um Flächen noch effizienter oder sogar mehrfach zu nutzen. So können in wenigen Jahren Solarmodule auf Basis von Tandemtechnologien den Massenmarkt erobern, die Wirkungsgrade von 30 Prozent oder sogar mehr erreichen: auf gleicher Fläche erzeugen die einen bis zu anderthalbmal so hohen Ertrag. In der gebäudeintegrierten PV werden Solarmodule schon heute in die Gebäudehülle integriert, wo sie sowohl Energie erzeugen als auch als ästhetisch anspruchsvolle Baumaterialien fungieren. Und in der Agri-PV können Landflächen eine doppelte Nutzung erhalten und schützen aufgeständerte PV-Module manchmal sogar empfindliche Pflanzen vor Hagel, zu starker Sonne und zu viel Verdunstung.
Entscheidungsträger in Politik und Wirtschaft haben in der Vergangenheit das Potenzial der Photovoltaik (PV) oft unterschätzt, weil sie auf Basis veralteter Daten und Einschätzungen beraten wurden. Die PV-Technologie zeigt jedoch eine steile Lernkurve, die einzigartig ist. Der Internationale Klimarat (IPCC) bezeichnet die PV-Technologie daher auch als diejenige Lösung, die am schnellsten den größten Beitrag leisten kann. Der IEA Director Fatih Birol hat die Photovoltaik mehrfach als neuer König der Energiemärkte bezeichnet. Es kommt nun darauf an, das Tempo zu halten. Dazu ist es notwendig, eine schlagkräftige heimische/EU PV Produktion mit Forschung, Innovation und Ausbildung auf dem höchsten Niveau zu verknüpfen.
Science Paper: Photovoltaics at multiterawatt scale: Waiting is not an option.
Rutger Schlatmann ist Vorsitzender der Europäischen Technologie- und Innovationsplattform für Photovoltaik (ETIP PV), die zu Fragen der Energiepolitik und zum Ausbau der Photovoltaik in Europa berät. Am Helmholtz-Zentrum Berlin leitet Schlatmann den Bereich Solarenergie. Zusammen mit knapp 50 weltweit renommierten Fachleuten hat Schlatmann kürzlich einen Aufruf in der Fachzeitschrift Science publiziert, der den zügigen Ausbau der Photovoltaik fordert.
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