Interview

„Von der reaktiven zur präventiven Medizin“

Prof. Dr. Eleftheria Zeggini ist Direktorin des Institute of Translational Genomics und Professorin an der TUM School of Medicine an der Technischen Universität München und am Klinikum Rechts der Isar. Bild: Helmholtz Munich | ©Matthias Tunger Photodesign

Die Helmholtz Health Prevention Task Force möchte die Prävention in Deutschland und global stärker in der Versorgung verankern. Wie das gelingen soll, erklärt die Leiterin Eleftheria Zeggini.

Prävention ist der nächste große Schritt ist, um die Medizin voranzubringen, das ist schon länger bekannt. Leider herrscht in der Praxis meist noch immer eine reaktive Medizin vor: Man geht zum Arzt, wenn man krank ist, und wird dort behandelt. Wir wollen den Wandel voranbringen, von dieser reaktiven Medizin hin zu einer präventiven Medizin.

Bei Helmholtz ist unheimlich viel Wissen zur Prävention vorhanden. Die Task Force stammt im Grunde aus einem Pool von mehr als 10.000 hochqualifizierten Expertinnen und Experten aus allen möglichen medizinischen Feldern: Alle sechs Helmholtz-Zentren aus dem Forschungsbereich Gesundheit sowie die NAKO Gesundheitsstudie sind in der interdisziplinären Taskforce vertreten, die sich im Kern aus 22 Personen zusammensetzt, denen wiederum unzählige Menschen zuarbeiten. Die Mitglieder der Task Force verfügen über ein breites Spektrum an Fachkenntnissen, unter anderem aus den Bereichen Grundlagen- und klinische Forschung, Krebs, Neurodegeneration, Infektionen, kardiometabolische Gesundheit, Atemwegsgesundheit, Epidemiologie, Bioinformatik, Forschungsstrategie und Politikgestaltung. Die Task Force oder Teile davon treffen sich durchschnittlich alle drei bis vier Monate virtuell und persönlich.

Vereinfacht gesagt setzt Prävention mehrere Schritte früher als konventionelle Medizin an: Und die Präventionsforschung zielt darauf ab, schon das Entstehen – und natürlich auch das Fortschreiten – von Krankheiten zu verstehen, zu mildern und letztendlich zu verhindern. Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Man geht zum Arzt oder nutzt digitale Gesundheitsangebote und erfährt, für welche Krankheiten man anfällig ist und wie man das Risiko senken kann. Zugleich geht es natürlich auch darum, die sogenannten protektiven Faktoren zu finden: Was hält mich gesund? Und wie kann ich dies noch verstärken? Zu den wichtigsten Komponenten einer präventiven Medizin gehören die Analyse von Risikofaktoren und grundlegenden Mechanismen der Krankheitsentstehung, die Einteilung von Menschen in verschiedene Risikogruppen – was eine individuelle Prävention und Behandlung ermöglicht –, die Entdeckung und Bewertung präventiver Maßnahmen sowie deren Umsetzung.

Es gibt unzählige Beispiele dafür, wie Prävention die Entstehung und Ausbreitung von Krankheiten verhindern kann. Vieles ist in Deutschland schon auf einem guten Weg, braucht aber häufig noch den entscheidenden Anstoß, um wirklich in den Versorgungsalltag nachhaltig implementiert zu werden. Bei Autoimmunerkrankungen wie Typ-1-Diabetes und Zöliakie etwa ermöglichen nationale Programme zur Früherkennung in frühen Krankheitsstadien – das kann etwa schon ein Screening im Säuglingsalter sein – die Einführung krankheitsmodifizierender Therapien und Präventionsmaßnahmen.

Krankheiten früh erkennen und verhindern – das ist untrennbar miteinander verbunden und bedingt sich gegenseitig. Ich habe ja eben nicht nur die Einführung krankheitsmodifizierender Therapien genannt, sondern auch die Einführung von Präventionsmaßnahmen. Wenn wir zum Beispiel sehen, dass ein Säugling ein erhöhtes Risiko hat, Typ-1-Diabetes zu entwickeln, und wir können dieses Risiko durch bestimmte therapeutische Maßnahmen senken, dann können wir eine Erkrankung verhindern. Deshalb sind Neugeborenen-Screenings auch so wichtig, weil man hier früh gegensteuern kann.

Nein. Selbst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter kann man die Entstehung von Krankheiten noch verhindern. Denn viele Krankheiten beginnen schleichend, also im sogenannten Vorstadium, und können verschiedene Gesundheitsprobleme gleichzeitig begünstigen, etwa Entzündungen oder ein schnelleres Altern. Genau diese frühen Phasen besser zu erforschen und gezielt zu behandeln, ist dringend nötig. Es gibt in diesem Zusammenhang eine ganze Reihe weiterer präventiver Maßnahmen, die wir höher priorisieren werden, dazu zählen Gesamtgenomsequenzierung, zuverlässige Biomarker, bildgebende Verfahren und Programme zur Lebensstiländerung. Diese Strategien sind entscheidend für die Früherkennung von Krankheiten und die Identifizierung von Risikogruppen und ebnen den Weg für gezieltere und wirksamere Präventionsmaßnahmen.

Das sind vor allem diejenigen Erkrankungen, die einen großen Teil der Bevölkerung betreffen, insbesondere Bluthochdruck nimmt hier eine zentrale Rolle ein: Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Todesursache Nummer eins, und Bluthochdruck ist hier ein entscheidender Faktor. Er sollte auch dann behandelt werden, wenn man noch keine Beschwerden spürt – denn er kann langfristig zu Schlaganfall oder Herzinfarkt führen. Doch vorhandene Präventionsangebote werden bislang zu wenig ausgewertet, und große Gesundheitsdaten, die es bereits gibt, werden oft nicht sinnvoll genutzt. Hier wollen wir etwas ändern.

Natürlich das Thema Krebs, Todesursache Nummer zwei. Auch hier könnten wir durch das vermehrte Identifizieren von besonders gefährdeten Personengruppen in vielen Fällen die Entstehung der Erkrankung verhindern. Auch Infektionskrankheiten sind bei uns weit oben priorisiert, gerade angesichts des Klimawandels, wo sich Erreger zunehmend ausbreiten: Präventionsstrategien hierfür, die das Risiko einer Übertragung von Tieren auf Menschen verringern, Impfstrategien und der gezielte Einsatz von Präventivtherapien in gefährdeten Bevölkerungsgruppen, gehören zu den Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit mit dem größten Nutzen für die Bevölkerung.

Das erste Vorhaben der Task Force war es, einen strategischen Fahrplan für die Stärkung der Präventionsforschung und deren Umsetzung weltweit zu skizzieren. Dazu entwickelten wir zunächst einen detaillierten Fragebogen, der wichtige Aspekte der Präventionsforschung – Lücken, Chancen, Lösungen – erfasst. Den haben wir an Wissenschaftler:innen in allen „Helmholtz Health“-Zentren verteilt. Die Ergebnisse wurden zunächst für jedes Forschungszentrum zusammengefasst und dann zusammengeführt. Anschließend erstellte die Task Force ein Positionspapier, in dem die Vision für eine Roadmap für die Präventionsforschung und deren weltweite Umsetzung skizziert wurde. Es wurde vor Kurzem in Nature Medicine veröffentlicht. Die nächsten Schritte umfassen einen Präsenzworkshop mit Flash-Vorträgen von Wissenschaftler:innen aus dem gesamten „Helmholtz Health“-Netzwerk mit dem ausdrücklichen Ziel, zunächst die Zusammenarbeit und den Ideenaustausch zur Präventionsforschung innerhalb des Forschungsfeldes zu fördern. Schließlich wird ein White Paper erstellt, das als erste Grundlage für die Implementierung von Präventionsstrategien dient.

Die Task Force hat bereits jetzt nicht nur die Unterstützung von Regierungen und Fachgesellschaften, sie hat auch die notwendige Kompetenz, dass ihr White Paper Gewicht haben wird. Wir arbeiten zum Beispiel mit Unterstützung des Helmholtz-Büros in Brüssel mit der EU zusammen und suchen gemeinsam nach Wegen, um unsere Erkenntnisse in das Gesundheitssystem einfließen zu lassen. Denn so ist es von Vornherein vorgesehen: Unsere Roadmap für die Präventionsforschung und Implementierung der Forschungsergebnisse in die Versorgung wird auf nationaler und internationaler Ebene umgesetzt werden.

Das Positionspapier der Helmholtz Health Prevention Task Force in Nature Medicine:
Helmholtz Health Prevention Task Force. Helmholtz Health task force to strengthen prevention research and its translation globally. Nat Med 31, 1386–1387 (2025).

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