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Porträt

Tief in den Orgelpfeifen

Der gebürtige Niederländer Rami Barends arbeitete für Google an der Hardware des ersten Quantencomputers. (Bild: Forschungszentrum Jülich/Ralf-Uwe Limbach)

Als Rami Barends noch bei Google arbeitete, war er an vielen Meilensteinen auf dem Weg zu einem Quantencomputer beteiligt. Jetzt hat er ans Forschungszentrum Jülich gewechselt – und will hier mithelfen, die neuartigen Rechner nutzbar zu machen.

Natürlich hatte er sein Fahrrad auch in Kalifornien dabei, dafür ist Rami Barends schließlich Holländer genug: Mehr als zehn Jahre forschte der Physiker in Amerika, und während er sich ganz am Anfang noch an die neuen Lebensumstände dort gewöhnte, fuhr ihn einmal auf seinem Rad beinahe ein Auto um. „Es zeigte sich, dass die Frau eines Kollegen am Steuer saß, zum Glück ist nichts passiert“, sagt Rami Barends, und dann fügt er schmunzelnd hinzu: „Immerhin hat mir der Zwischenfall ein sehr nettes Abendessen mit der Familie des Kollegen eingebracht!“

Vor wenigen Monaten ist Barends wieder in den heimischen Niederlanden angekommen: Er ist als Direktor ans Peter-Grünberg-Institut vom Forschungszentrum Jülich berufen worden – und hat sich ein paar Kilometer entfernt auf der holländischen Seite der Grenze niedergelassen. Er ist damit wieder in der Nähe von Delft angekommen, wo er aufwuchs, Physik studierte und promovierte, wenngleich er sich damals noch nicht mit Quantencomputern beschäftigte. Ohnehin war die Entscheidung für sein Fach ein langsamer Entscheidungsprozess: „Mich hätte zum Beispiel auch die Luftfahrt sehr interessiert, aber im Weltall oder im Vakuum stößt man da an Grenzen. Elektrotechnik hat mich auch fasziniert, aber sobald man den Strom ausschaltet, ist da Schluss.“ Er schrieb sich schließlich für Physik ein mit einer Begründung, die typisch klingt für ihn: „Die Physik“, sagt Rami Barends, „ist immer da. Sie spielt immer eine Rolle, selbst im Vakuum und ohne Strom.“

Typisch ist diese Begründung deshalb, weil der heute 40-Jährige gern bis zu den Wurzeln in seine Fragestellungen vordringt. Das zeigte sich zum Beispiel bei seiner Doktorarbeit: Um supraleitende Detektoren ging es darin und um das Aufspüren von Fehlern in komplexen Rechnersystemen. „Das kann man sich so vorstellen wie eine Orgel, bei der ein Vogel in eine der Pfeifen reingeflogen ist“, sagt er: „Als Organist hört man sofort, dass etwas nicht stimmt, aber wenn alle Pfeifen gleichzeitig spielen – wie kriegt man dann raus, wo genau der Vogel reingeflogen ist?“ Er stürzte sich in Berechnungen und Messungen, und weil immer neue Aspekte auftauchten, selbst als er mit seiner Doktorarbeit schon längst fertig war, blieb er noch einige Monate an der Universität in Delft und arbeitete einfach immer weiter. Im Jahr 2009 war das.

Bald darauf bekam Barends ein Angebot, das seine Forschung in eine neue Richtung lenkte: Ob er nicht nach Amerika kommen wolle, an die Arbeitsgruppe von John Martinis an der University of California in Santa Barbara? Rami Barends überlegte nicht lang, schließlich war Martinis ein hoch angesehener, und vor allem: „Meine Fragestellungen zu den supraleitenden Detektoren aus der Doktorarbeit waren allgemeiner, aber sie lassen sich eben auch auf supraleitende Quantenbits anwenden. Ich fand das Thema faszinierend, also sagte ich zu.“ Hinzu kam: Rami Barends ist in zwei Welten zu Hause, in der hochkomplexen theoretischen Physik ebenso wie in jenem Bereich, den er als „hands-on“ bezeichnet – im Bauen der benötigten Hardware. Genau diese beiden Talente konnte er in Santa Barbara einbringen.

Ohne dass er es vorher ahnte, kam er zur genau richtigen Zeit. „Das ganze Feld der Quantencomputer weckte damals zwar gewaltige Hoffnungen und Erwartungen, aber es war weit von dem Stand, auf dem wir heute sind“, sagt er im Rückblick. Also rechnete er wieder, er bastelte, er legte ungezählte Nachtschichten in den Labors auf dem kalifornischen Campus ein. In der Arbeitsgruppe wurde das erste Quantenbit gebaut, dann entstand ein System mit fünf, schließlich mit neun Qubits, „das war wie Lego, wir haben immer mehr und immer weiter gebaut, es lief von Monat zu Monat besser.“ Die Gruppe beschäftigte sich mit Fehlerkorrektur bei den Quanten-Berechnungen, sie experimentierte mit digtalen Simulationen von Quanten-Rechenprozessen und drang immer weiter in das Feld ein, das damals noch so neu war. „Wir waren so in die Arbeit verbissen“, sagt Rami Barends im Rückblick, „weil wir merkten, wie wir die Basis legten für etwas Größeres.“

Mit Teilen der Arbeitsgruppe wechselte er im Jahr 2014 zu Google und sein Chef John Martinis wurde zum obersten Quanten-Forscher des Technologie-Riesen wurde. An der Arbeit selbst habe sich dadurch nichts geändert, aber die Rahmenbedingungen hätten sich verbessert, sagt Barends lapidar über den Wechsel in die Wirtschaft. Er baute und rechnete weiter, er war dabei, als große Quantencomputer entstanden, als das Quantum Supremacy Experiment startete – Meilensteine waren das, die die Quanten-Forschung bis heute prägen.

Warum aber wechselt er dann, wenn er in Kalifornien an den spannendsten Projekten beteiligt ist, die es auf seinem Forschungsgebiet nur gibt, nach Jülich? Rami Barends überlegt kurz, wie er das erklären soll. „Ich war ein Jahrzehnt in den USA, und es hat sich in dieser Zeit unheimlich viel getan. Jetzt habe ich mir die Frage gestellt, womit ich das nächste Jahrzehnt verbringen will.“ Die Antwort liefert er gleich mit: Während Quantencomputer bislang ihre Überlegenheit anhand von hochkomplexen Rechenaufgaben beweisen, die rein theoretischer Natur sind, soll jetzt endlich eine neue Generation von Computern entstehen, die einen Beitrag dazu leisten, wirklich relevante Probleme zu lösen. Eine neue Zielsetzung für das nächste Jahrzehnt, und Rami Barends will daran mit einem neuen Team arbeiten. „Coherent, controllable and scalable“ soll der Computer sein, wie Rami Barends auf Englisch den Dreiklang formuliert – dazu wolle er etwas beitragen, und dazu sei Jülich mit seinem dicht verwobenen Ökosystem von Forschern aus unterschiedlichen Bereichen der perfekte Standort, der gut konkurrieren könne mit Forschungsaktivitäten wie jenen von Großunternehmen.

Und dass er wieder zurückkehren kann nach Europa, sogar an die holländische Grenze – das habe für ihn auch eine Rolle gespielt. Sein Fahrrad hat er natürlich wieder mit zurückgenommen.

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