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Doppelt hält besser

Technologiesprung mit Tandem-Solarzellen

Steve Albrecht in seinem Labor am Helmholtz-Zentrum Berlin. Bild: Helmholtz-Zentrum Berlin/Michael Setzpfandt

Im Labor erreichen Tandem-Solarzellen Wirkungsgrade, die die gängigen Silizium-Zellen weit übertreffen. Helmholtz-Forscher wollen die Technologie nun rasch in die Anwendung bringen.

Ob Ausbau der Erneuerbaren, Elektrifizierung des Verkehrs, grüne Wasserstoffwirtschaft oder Energiesparen. Damit die Energiewende gelingt und wir schneller unabhängig vom Import fossiler Energieträger werden, muss auf verschiedenen Ebenen Tempo gemacht werden. Auch die Frage, wie Sonnenlicht effektiver in elektrische Energie umgewandelt werden kann, ist ein Bereich, in dem noch viel Potenzial steckt. Um die Forschung zu beschleunigen und den Schritt in die Industrie schneller zu erreichen, hat der Forschungsbereich Energie der Helmholtz-Gemeinschaft ein auf drei Jahre angelegtes Projekt gestartet.

„Die heute gängigen Silizium-Solarzellen nähern sich dem Ende ihres Entwicklungspotenzials. Deshalb kann man da in Sachen Effizienz nicht mehr viel herausholen“, sagt Steve Albrecht. Der Materialforscher leitet die Arbeitsgruppe Perowskit Tandem-Solarzellen am Helmholtz-Zentrum Berlin (HZB) und koordiniert das Projekt. „Den nächsten Schritt sehen wir in Tandem-Solarzellen. Das heißt, wir kombinieren zwei Halbleitermaterialien – nämlich Silizium mit Metall-Halogenid-Perowskiten – zu einer einzigen Solarzelle.“

Perowskite sind eine Materialklasse, die durch eine ganz bestimmte Anordnung der Ionen im Kristallgitter charakterisiert ist – die Perowskitstruktur. Mit Art und Verhältnis der chemischen Elemente, die die Forscher bei der Herstellung in die Kristallstruktur einbauen, können sie die Eigenschaften des Halbleitermaterials gezielt beeinflussen. „Wir können die Materialien für unsere Zwecke maßschneidern“, bringt es der Materialwissenschaftler auf den Punkt.

Jede Schicht fängt Licht

Tandem-Solarzellen verbinden die Vorzüge herkömmlichen Siliziums mit den neuartigen Materialien. „Wir tragen eine ultradünne Schicht unserer Perowskite auf Silizium-Solarzellen auf“, sagt Rutger Schlatmann. Der Physiker ist Direktor des HZB-Institut PVcomB - Kompetenz Zentrum Dünnschicht und Nanotechnologie für Photovoltaik Berlin, das in der Tandementwicklung sehr eng mit der Arbeitsgruppe von Steve Albrecht kooperiert. „Die Perowskit-Schicht nutzt nahezu den kompletten Wellenlängenbereich des sichtbaren Lichtes und wandelt ihn in elektrischen Strom um. Nahes Infrarotlicht hingegen durchdringt die Schicht, trifft auf die darunterliegende Siliziumzelle und wird dort ebenfalls in elektrische Energie umgewandelt.“ Das erhöht den Wirkungsgrad des Duos.

Die Wirkungsgrade aktueller, kommerziell verfügbarer Solarzellen auf Siliziumbasis liegen bei etwa 21 Prozent. Im Labor sind Wirkungsgrade von 25 bis 26 Prozent erreicht worden. „Noch beträgt die absolute Wirkungsgradsteigerung hier etwa 0,4 bis 0,6 Prozent pro Jahr“, erklärt Rutger Schlatmann. „Aber wir nähern uns unweigerlich der Grenze dessen, was mit reinen Silizium-Solarzellen physikalisch möglich ist.“ Weiter nach oben geht es deshalb nur mit einem Technologiesprung. Und den könnten Tandem-Solarzellen leisten. „Im Labor hier am HZB haben wir bereits einen Wirkungsgrad von 30 Prozent erreicht“, sagt Steve Albrecht. „Den wollen wir in Zukunft auf 33 bis 35 Prozent steigern.“

Nicht nur effizient, sondern auch großflächig und langlebig

Allerdings ist der Wirkungsgrad nur ein Parameter, an dem sich Solarzelltechnologien messen lassen müssen. Zwei andere, mindestens genauso wichtige, sind Skalierbarkeit und Langlebigkeit. Bei beidem gibt es noch viel zu tun, bevor Tandem-Solarzellen auch wirtschaftlich mit der heute etablierten Technologie mithalten können. Am Ende des 6,25 Millionen Euro Projekts soll eine Solarzelle in industrieller Größe demonstrieren, dass die Technologie tatsächlich den Weg aus den Laboren auf die Dächer schaffen kann. „Wir wollen Zellen schaffen, die so lange wie ihre Silizium-Pendants Strom liefern und in handelsüblichen Größen hergestellt werden können.“

Während das HZB vor allem das Knowhow der Perowskit- und der kombinierten Tandem-Technologie in das Gemeinschaftsprojekt einbringt und die Koordinierung übernimmt, steuert das Forschungszentrum Jülich seine Kompetenzen auf dem Gebiet der Analytik und hochspezialisierte Anlagen für Siliziumzellen bei. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wiederum bringt seine Erfahrung mit den großflächigen Perowskit Abscheidungen ein. Das Projekt wird durch alle Partner auch mit innovativen Simulationen bestärkt. Diese ermöglichen es bereits in der Entwicklungsphase den Energieertrag der industriellen Solarzellen im realen Betrieb vorherzusagen, Außerdem werden Simulationen der Lebenszyklen helfen ein entsprechendes Modell zum Recyclen der neuen Tandemsolarzellen zu entwickeln. Neben den drei Helmholtz-Zentren sind auch Partner aus der Wirtschaft am Projekt beteiligt. Dazu zählen beispielsweise die Photovoltaik-Unternehmen Q Cells und Oxford PV. Aber auch Maschinenbauer wie die Von Ardenne Anlagentechnik. „Fortschrittliche Technologien wie Tandem-Solarzellen können auch helfen, Deutschland als innovativen Industriestandort zu stärken“, sagt Rutger Schlatmann.

Elektrisierende Zukunftsaussichten

Welchen Stellenwert die neue Technologie für das HZB einnimmt, zeigt nicht nur der massive Ausbau der Gebäude des Bereichs Solarenergie. Mit dem Koala-Cluster verfügt das Zentrum in Berlin über eine weltweit einzigartige Herstellungsanlage auf der Basis der Verdampfungstechnologie, um Perowskit-Silizium-Tandemsolarzellen in industrienaher Größe herzustellen. Und mit QYB haben HZB-Wissenschaftler erst kürzlich ein Startup ausgegründet, dass Messgeräte für die Verbesserung von Solarzellen entwickelt.

„Die erste Publikation zur Tandemsolarzelle erschien 2015“, sagt Steve Albrecht. „Es handelt sich also um eine vergleichsweise sehr junge Technologie, die uns in Zukunft noch faszinierende Möglichkeiten bieten wird.“ Nicht zwei, nicht drei, sondern noch mehr verschiedene Schichten könnten später einmal Sonnenlicht in elektrischen Strom verwandeln und den Wirkungsgrad in ungeahnte Höhen treiben. Und auch auf die energieaufwändig herzustellende Siliziumschicht wird man eventuell über Kurz oder Lang verzichten können, glaubt er. Aber das ist eine andere Geschichte.

Energie-Forschungsprojekte zur Erhöhung der Versorgungssicherheit

Die Energiewende ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit. Der Krieg in der Ukraine führt uns vor Augen, wie abhängig das deutsche aber auch das europäische Energiesystem vom Import fossiler Energieträger ist. Und er drängt uns zu noch schnellerem Handeln. Wissenschaftler des Helmholtz-Forschungsbereichs Energie erforschen und entwickeln Lösungen für ein zukünftiges Energiesystem. Als direkte Reaktion auf den Krieg gegen die Ukraine hat der Forschungsbereich vier Initiativen entwickelt. Ziel ist es, Forschungsprojekte zu beschleunigen und durch den raschen Transfer in die Praxis zu unserer Versorgungssicherheit beizutragen. Die hier vorgestellte Tandem-Solarzellentechnik ist eine der vier Initiativen.

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