Blickwinkel
Sollten Universitäten thematische Vorgaben haben?
Die Herausforderungen an unsere Gesellschaft sind vielfältig und komplex. Braucht es deshalb eine stärkere Fokussierung von Bildungseinrichtungen auf konkrete Themen, um sie noch meistern zu können? Zwei Blickwinkel
„Für Hochschulen ist die Freiheit von Forschung und Lehre konstitutiv. Das bedeutet Freiheit von politischer und gesellschaftlicher Fremdbestimmung.“
Wissenschaft muss frei sein. Bei der Lösung zentraler Herausforderungen der Menschheit kommt der Wissenschaft und damit den Hochschulen eine Schlüsselfunktion zu. Von ihnen werden die Durchbrüche erhofft, die die Welt verändern, verbessern und ihr Überleben sichern sollen – nicht von der Politik, die dazu die Rahmenbedingungen gestalten kann.
Doch reicht es, auf die Einsicht und den Fortschritt der Wissenschaft zu vertrauen, oder ist es angesichts drohender Schreckensszenarien nicht an der Zeit, die Hochschulen auf vorab definierte gesellschaftliche Ziele festzulegen? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Politiker und Think Tanks wie das Wuppertal Institut votieren für die verbind-liche Zuweisung von Forschungsthemen an Hochschulen. Ihre Absichten sind sicher gut, auf dem richtigen Weg sind sie allerdings nicht.
Für Hochschulen ist die Freiheit von Forschung und Lehre konstitutiv. Das bedeutet Freiheit von politischer und gesellschaftlicher Fremdbestimmung. Es gehört zum Kernbereich der grundgesetzlich verbürgten Wissenschaftsfreiheit, dass jeder Wissenschaftler über den Gegenstand seiner Forschung frei befinden kann. Weder der Gesetzgeber noch die Hochschulen haben die Befugnis, ihnen eine „Mission“ aufzuerlegen.
Diese Freiheit der Wissenschaft darf nicht zum Spielball gesellschaftlicher Gruppen und Interessen werden. Universitäten sind Orte der wissenschaftlichen Begegnung. Alle anderen Aufgaben, die ihnen durch Politik und Gesellschaft in immer größerem Umfang zugedacht werden, sind diesem Auftrag unterzuordnen. Die Universität ist weder Wirtschaftsbetrieb noch Ausbildungsfabrik, sie ist weder Behörde noch
öffentliches Beschaffungsamt für Informationen. Wer sie dennoch unter Hinweis auf das Wohl der Allgemeinheit in Dienst nehmen will, riskiert eine intellektuelle Verflachung. Ein Erlahmen wissenschaftlicher Neugier und eine stromlinienförmige Anpassung an den Mainstream wären die unweigerlichen Folgen.
Wissenschaft gedeiht am besten dort, wo ihr lange Leine gelassen wird und sie allein der Suche nach Erkenntnis verpflichtet ist. Kreativität, die die Lösung der drängenden Herausforderungen erfordert, setzt persönliche und institutionelle Freiheit voraus. „Gesellschaftliche Forschungsaufträge“ für Hochschulen verstoßen nicht nur gegen die Wissenschaftsfreiheit, sondern schaden dem Allgemeinwohl.
Durch die wachsende Abhängigkeit von Drittmitteln und durch die kleinteiligen Finanzzusagen des Staates entstehen bereits erhebliche Steuerungseffekte. Universitäten sind bereits ein Stück weit auf den Weg gedrängt, Ausbildungsbetrieb für den Staat und verlängerte Werkbank für die Wirtschaft zu werden. Sie haben viel an Eigenständigkeit, Freiheit und Würde verloren. Diese schiefe Ebene, auf die die Universitäten zunehmend geraten, gilt es wieder ins Gleichgewicht zu bringen.
abgeleitete definierte Forschungsrahmenthemen festzulegen.“
Zumindest für kleine Hochschulen ist es meines Erachtens hilfreich und sinnvoll, sich als gesamte Organisation in einem diskursiven Prozess auf ein klares Profil und daraus abgeleitete definierte ForschungsRAHMENthemen festzulegen. Folglich heißt es, diese dann auch mit möglichst hoher Verbindlichkeit zu verankern. Der Vorteil ist offensichtlich: Auch eine kleine Institution kann themenspezifisch schneller eine kritische Masse erreichen. Spannende interne Diskussionsprozesse können entstehen.
Natürlich ist eine direkte konkrete Themenvorgabe als Top-Down-Prozess in einer nicht streng hierarchisch strukturierten Organisation wie einer Hochschule nicht möglich. Dies würde unmittelbar die Freiheit in Wissenschaft, Forschung und Lehre berühren. Diese Freiheit gilt übrigens spätestens seit einem Ende Juli 2010 veröffentlichten Urteil des Bundesverfassungsgerichtes auch für Fachhochschulen. Eine solche Themenvorgabe wäre aber auch nicht sinnvoll, da die Diversität der Forschungsansätze leiden würde, ebenso die Reaktionsfähigkeit für neue Herausforderungen. Auf der Suche nach neuen Erkenntnissen muss den Wissenschaftlern Raum für Kreativität gegeben werden.
Wie lässt sich solch ein offener Prozess trotzdem steuern? Aufbauend auf einem verbindlichen Leitbild, das regelmäßig diskutiert und weiterentwickelt wird, werden bei uns seit einigen Jahren sämtliche neue Denominationen gezielt auf diese ausgerichtet oder bei Wiederbesetzungen gezielt modifiziert. In den Berufungsverfahren wird ein klarer inhaltlicher Bezug zu diesen Schwerpunkten von den Bewerbern gefordert. Dieser Bezug hat eine mindestens ebenso hohe Wertigkeit wie andere Kriterien, etwa die Drittmittelstärke. Des Weiteren kann unsere Hochschule die Wissenschaftler gezielt mit der Vergabe von Forschungsprofessuren, Zielvereinbarungen und internen Projektanschubfinanzierungen motivieren, sich der Forschungsschwerpunkte anzunehmen. Diese Vorgehensweise hat uns im Übrigen finanziell nicht geschadet, wir haben häufig gleichsam hochmotivierte und drittmittelstarke Kollegen gewinnen können und zählen bundesweit zu den forschungsstärksten und gut sichtbaren Fachhochschulen.
Bei aller Berücksichtigung der Freiheit in Wissenschaft, Forschung und Lehre sollte hier unbedingt auch das Thema der Verantwortung von Forschung für die Umwelt und Gesellschaft beziehungsweise die nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen sowie die Verantwortung für die Nutzung von Forschungsergebnissen angesprochen werden. Dies ist in einigen Hochschulgesetzen der Länder verankert. Eine solche Auseinandersetzung über Forschungsziele und Verantwortlichkeiten hat auch kürzlich in Eberswalde stattgefunden. Unsere Wissenschaftler haben heftig gerungen und am Ende von der Vielfältigkeit der unterschiedlichen Perspektiven profitiert.
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