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Klimagipfel

Sollen wir am Zwei-Grad-Ziel festhalten?

Illustration: Jindrich Novotny

In sechs Wochen will die Staatengemeinschaft in Paris ein neues Klimaschutzabkommen beschließen. Um nicht mehr als zwei Grad soll die gemittelte bodennahe Lufttemperatur auf der Erde bis zum Jahr 2100 ansteigen. Ist das ein politisch-populistisches Ziel oder tatsächlich wissenschaftlich sinnvoll? Zwei Blickwinkel

„Dass die Grenze gerade zwei Grad sein soll? Das hat mit Wissenschaft wenig zu tun“, sagt Hans von Storch, Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum Geesthacht, Zentrum für Material- und Küstenforschung
Zunächst einmal: Für die Wissenschaft hat das Zwei-Grad-Ziel eher negative Konsequenzen, weil es eine politische Steuerung „der“ Klimawissenschaft aufbaut; „der“ Politik hingegen erlaubt es, ein legitimes politisches Ziel zu formulieren.

Illustration: Jindrich Novotny

In der Öffentlichkeit wird die Zwei-Grad-Vorgabe meist als wissenschaftlich unabweisbar angesehen, obwohl ein Befürworter schon 2010 in einem großen Interview für den SPIEGEL klarstellte: „Natürlich kommt es nicht bei 2,01 Grad zum Weltuntergang. (...) Aus heutiger wissenschaftlicher Sicht könnte man vielleicht auch mit einer Erwärmung zwischen zwei und drei Grad leben. In diesem Korridor sollten wir aber spätestens zur Ruhe kommen, weil jenseits davon unbeherrschbare Prozesse angestoßen würden wie das Kippen von Eisschilden und kontinentalen Ökosystemen.“ Ich stimme zu, dass menschliches Tun das Klima ändert, und dass diese Änderung umso größer ausfällt, je mehr Treibhausgase freigesetzt werden. Die Gefahr von sehr starken Änderungen nimmt zu, je weiter der Anteil der Treibhausgase in der Atmosphäre steigt. Daher ist es naheliegend, den Temperaturanstieg so weit einzugrenzen, wie es unter Beachtung anderer gesellschaftlicher Ziele möglich erscheint. Aber dass die Grenze gerade zwei Grad sein soll? Das hat mit Wissenschaft wenig zu tun, es ist vielmehr ein Ergebnis der Abschätzung politischer Wirksamkeit. Im gleichen Interview aus dem SPIEGEL heißt es: „Die Politik hat gern klare Vorgaben, und eine einfache Zahl ist besser zu handhaben als ein komplexer Temperaturkorridor. Außerdem war es wichtig, überhaupt eine quantitative Orientierung ins Spiel zu bringen, an der sich die Klimarahmenkonvention 1992 noch elegant vorbeigemogelt hat. Und seien wir doch ehrlich: Selbst wenn wir das Zwei-Grad-Ziel ansteuern, werden wir am Ende etwas oberhalb landen.“

Derzeit erwärmt sich das Erdsystem weiter, die Emissionen wachsen, und nach klimaökonomischen Modellen ist das Zwei-Grad-Ziel nur noch realistisch, wenn negative Emissionen ins Spiel kommen, wir also Treibhausgase selbst aus der Erdatmosphäre entfernen. Das Zwei-Grad-Ziel hat uns in eine Sackgasse geführt: „Die“ Wissenschaft verdaddelt ihr Kapital der gesellschaftlichen Anerkennung und „die“ Politik hat sich in die Zwei-Grad-Ecke gemalt und weiß nicht, wie sie da wieder herauskommen soll.

„Sollten die Politiker auf das Zwei-Grad-Ziel verzichten, würden sie damit keine neuen Handlungsoptionen eröffnen“, sagt Reimund Schwarze vom Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung – UFZ
So sehr sich die internationale Klimapolitik immer wieder zum Zwei-Grad-Ziel bekennt, so wenig tut sie dafür, dieses Ziel zu erreichen. Heute steuern wir politisch auf einen Wendepunkt der globalen Treibhausgasemissionen um 2030 zu, denn die bisher vorliegenden Minderungspläne gehen zumeist von diesem Jahr aus. Danach bleibt uns nichts anderes übrig, als uns zwischen zwei Optionen zu entscheiden, die beide den nachfolgenden Generationen erhebliche Risiken zumuten: Entweder wir nehmen in Kauf, dass sich die Erde stärker erwärmt – mit allen damit verbundenen Gefahren. Oder wir setzen auf Risikotechnologien, um das Zwei-Grad-Ziel doch noch einzuhalten; etwa eine schrankenlose Bioenergie, die Gefahren für die globale Nahrungsmittelversorgung mit sich bringt, eine CO2-Speicherung oder sogar die technische Steuerung der Sonneneinstrahlung sowie andere Formen des sogenannten Geoengineering.

Illustration: Jindrich Novotny

Diese Risiken abzuwägen, entzieht sich dem wissenschaftlichen Zugriff. Die Rolle der Wissenschaft ist es zu analysieren, welche Handlungsoptionen die politisch gesetzten Ziele erreichbar machen und auch, welche möglichen Nebenwirkungen es gibt. Beim Weltklimarat ist dieses Prinzip – eingängig formuliert als „policy relevant, but not policy-prescriptive“ – in die Statuten eingegangen. An diesem Wissenschaftsverständnis etwas zu ändern, dazu gibt es keinen Grund; noch dazu in einer Lage, wo es immer weniger Handlungsoptionen gibt, die in ihren Nebenwirkungen zudem risikoreicher werden. Die Risikoanalysen durch die Wissenschaft werden in Zukunft immer wichtiger, damit die Politik informiert über die Risiken entscheiden kann.

Natürlich gilt: Eine Politik, die anhaltend im Widerspruch zu selbst formulierten Zielen handelt, wird in den Augen der Bürger unglaubwürdig. Das kann man aber in der gegenwärtigen Lage nicht sagen, denn es gibt nach der Neuausrichtung auf dem Kopenhagener Klimagipfel von 2009 zwar kleine, aber effektive Fortschritte in der internationalen Klimapolitik. Sollten die Politiker bei dem diesjährigen Klimagipfel in Paris auf das Zwei-Grad-Ziel verzichten, würden sie damit jedenfalls keine neuen Handlungsoptionen eröffnen.

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