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Virtual Reality

Schöne neue Wirklichkeit

Wissenschaftler des IT Center der RWTH Aachen visualisieren neuronale Netzwerke des Gehirns. Bild: Peter Winandy

Virtual Reality boomt – und die dreidimensionale Visualisierung der Welt ist viel mehr als ein Spielzeug. Sie könnte die Wissenschaft revolutionieren.

Das haptische Interaktionsgerät HUG übermittelt dem Benutzer Kräfte aus entfernten oder virtuellen Welten. Bild: DLR (CC-BY 3.0)

Wenn Facebook-Gründer Mark Zuckerberg von der Zukunft spricht, dann redet er vor allem über Virtual Reality, kurz VR. Erst im Oktober präsentierte er auf einer Technikmesse seine Pläne zur Nutzung von Virtual Reality: Künftig sollen sich Facebook-Nutzer in virtuellen Räumen begegnen, sich unterhalten und sogar die Gefühle des Gegenübers wahrnehmen können. Und all dies geschieht über ein kabelloses Headset, das bald für 300 bis 400 Euro zu kaufen sein soll. Die Facebook-Tochter Oculus testet bereits den Prototypen mit der Bezeichnung „Santa Cruz“.

Vom aktuellen Boom und dem erhofften Preissturz könnte auch die Wissenschaft profitieren. „Je ausgereifter und günstiger die Software und die Geräte sind, desto einfacher lassen sie sich für wissenschaftliche Zwecke verwenden, sich in den wissenschaftlichen Alltag integrieren“, sagt Thomas Hulin vom Institut für Robotik und Mechatronik am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Mit seinen Kollegen nutzt er die Technologie bereits seit zwölf Jahren in verschiedenen Bereichen der Weltraumforschung. Dank des Preissturzes kommt Virtual Reality nun aber auch vermehrt in wissenschaftlichen Fach-gebieten auf der Erde zum Einsatz.

„Virtual Reality kann überall dort hilfreich sein, wo große Datenmengen visualisiert und leichter greifbar gemacht werden müssen. Es geht fast immer darum, etwas anschaulicher, effizienter oder kostengünstiger zu machen“, sagt Herwig Zilken, Koordinator der Visualisierungsgruppe am Supercomputing Centre des Forschungszentrums Jülich.Von der dreidimensionalen Visualisierung des menschlichen Gehirns über die Erforschung von Wurzel-Boden-Interaktionen in der Biologie bis hin zur Analyse von Fußgängerströmen sind zahlreiche Einsatzmöglichkeiten denkbar. 

„Virtual Reality ermöglicht hier die optimale Darstellung der relevanten Informationen sowie neue Interaktionsmöglichkeiten.“

Besser mit Brille Bei Operationen kann Virtual Reality den Ärtzen helfen, indem sie genaue Daten und Projektionen zum Eingriff liefert.Bild: vectorfusionart/shutterstock

Auch die Medizin hat das Potenzial von Virtual Reality für sich entdeckt. Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und die Universität Heidelberg testen beispielsweise gerade, wie VR die Planung von Operationen erleichtern könnte. „Bei der Vorbereitung strömt eine riesige Datenmenge auf die Ärzte ein. Unser Ziel ist es, sie künftig intelligenter darzustellen und die Ärzte so bei der Selektion der richtigen Daten und der Vorbereitung der Operation zu unterstützen“, sagt KIT-Forscherin Stefanie Speidel.

In einem virtuellen Raum werden die Daten und Bilder kombiniert und lassen sich dreidimensional abrufen, beispielsweise für die Operationsplanung.  Setzt ein Arzt eine spezielle Brille auf, bekommt er genau die Informationen, die er für die Operation benötigt. Er sieht eine dreidimensionale Projektion des zu behandelnden Organs oder Gewebes, die er beliebig drehen und wenden kann. Zusätzlich sieht er die wichtigsten Informationen darüber, wie groß etwa ein Tumor an einer bestimmten Stelle ist oder was er sonst in diesem Bereich beachten muss. Ein weiteres Beispiel sind Tumor-boards, bei der Experten aus unterschiedlichen Bereichen die optimale Therapie für einen Patienten festlegen. Virtual Reality ermöglicht hier die optimale Darstellung der relevanten Informationen sowie neue Interaktionsmöglichkeiten. Auch Experten aus anderen Städten oder selbst von anderen Kontinenten lassen sich durch die VR-Brillen besser einbinden, denn den virtuellen Datenraum kann man von überall auf der Welt betreten. Bisher ist das Feedback der Ärzte auf die Tests durchweg positiv.

„Es geht allerdings immer darum, den Arzt bei seiner Arbeit zu unterstützen und nicht darum, ihn zu ersetzen. Ganz ohne ihn wird und soll es auch künftig nicht gehen.“

Dank VR kann man das Gehirn dreidimensional darstellen. Bild: Sascha Gebhardt / RWTH Aachen University

Auch in der Psychotherapie, bei der Reha-bilitation nach Operationen oder Schlaganfällen, bei der Ausbildung von Medizinstudenten und als Unterstützung bei kleineren Operationen sehen Experten großes Potenzial für die VR-Techniken. „Es geht allerdings immer darum, den Arzt bei seiner Arbeit zu unterstützen und nicht darum, ihn zu ersetzen. Ganz ohne ihn wird und soll es auch künftig nicht gehen“, sagt Speidel. 

Die Vereinfachung komplexer Abläufe und die Visualisierung von Daten liegt auch Andreas Richter am Herzen, dem Leiter des Projekts „Virtuelle Welt“ des Instituts für Verkehrssystemtechnik am Braunschweiger Standort des DLR. Braunschweig spielt in seiner Arbeit dabei eine besondere Rolle: Richter hat die Stadt virtuell neu erschaffen, um sie für möglichst realitätsnahe Tests für automatisiertes Fahren einzusetzen.

Dazu setzen sich die Tester in einen Fahrsimulator, der von einer kleinen Sitzkiste mit Monitor bis hin zum großen Bewegungssimulator mit Rundumprojektion und realem Fahrzeug reichen kann. Darin sehen sie eine generierte, dreidimensionale Welt, durch die sie sich bewegen. Was anmutet wie ein Computerspiel, ist in Wirklichkeit aber eine viel realistischere Projektion der Welt. „Wir haben quasi alles genutzt, was wir kriegen konnten: Informationen von Infrastrukturbetreibern, Luftbilder, digitale Stadtmodelle und Kataster sowie Vermessungs- und Navigationsdaten. Das alles wurde dann kombiniert. Wo Daten fehlten, haben wir sie dann auch noch selbst erhoben“, sagt Richter. 

„Deshalb wollen wir die virtuelle Welt dazu nutzen, möglichst viele kritische Situationen zu simulieren, bevor es zum Test auf der Straße kommt.“

Humanoider Roboter Justin ist die zentrale Forschungsplattform des DLR für eine vom Menschen gesteuerte robotische Manipulation. Solche Robotersysteme sollen eine telemanipulierte Reparatur von Satelliten im Weltraum ermöglichen. Bild: DLR (CC-BY 3.0)

Ein riesiger Aufwand, der aber trotzdem ökonomisch sinnvoll ist. Früher reichte es aus, ein paar Prototypen auf ausgedehnte Testfahrten zu schicken. „Heute müssen wir wegen der komplexeren Technik und Funktionen viel mehr testen, bevor wir ein Fahrzeug wirklich sicher auf die Reise schicken können“, sagt Richter. „Deshalb wollen wir die virtuelle Welt dazu nutzen, möglichst viele kritische Situationen zu simulieren, bevor es zum finalen Test auf der Straße kommt.“ Die Simulation ermöglicht diese Versuchsfahrten, ohne dass in der Realität etwas kaputt geht. Das spart Zeit, Geld und Material, weil Simulationen auch schneller als Echtzeit laufen können. Außer-dem können in der virtuellen Welt bestimmte Situationen nach Belieben aneinandergereiht werden. Will man beispielsweise testen, wie groß die ideale Lücke im entgegenkommenden Verkehr beim Linksabbiegen ist, so muss man in der Realität warten, bis sich der Gegenverkehr entsprechend verhält. In der virtuellen Welt kann man den Verkehr beliebig gestalten und dadurch die Tests effizienter machen.

Braunschweig wird langfristig nicht die einzige virtuelle Stadt bleiben, da ist sich Andreas Richter sicher:

„Unser Ansatz ist universell. Im Prinzip kann mit Hilfe unserer Methode jede Stadt virtuell abgebildet werden, wenn gleichartige Daten vorhanden sind.“ Auch für die Entwicklung unbemannter Flugobjekte in städtischen Umgebungen und zur integrierten Stadtplanung sieht Richter Potenzial in der von ihm und seinen Kollegen entwickelten virtuellen Welt.

Ein Bild von einer StadtMit der virtuellen Welt sollen Fahrzeuge günstiger und schneller getestet werden. Bild: Marek Kruszewski/DLR

Während Speidel bei ihrer Forschung voll auf die visuelle Komponente der virtuellen Welten setzt, gehen die DLR-Forscher Andreas Richter und Thomas Hulin sogar noch einen Schritt weiter. Zum virtuellen Sehsinn kommen nun noch Krafteinwirkungen und Klang hinzu. Hulin forscht dabei im Bereich der Weltraumforschung. Begonnen hatte die Forschung an sogenanntem haptischen Feedback am DLR in der Telerobotik, mit dessen Hilfe sich Roboter von einem sicheren Ort aus steuern lassen. Damit ließen sich Wartungsarbeiten an Satelliten, Förderanlagen auf hoher See oder Kernkraftwerken erledigen, ohne Menschen zu gefährden. „Allerdings reicht es oft nicht aus, zu sehen, was man da gerade tut, man braucht auch ein haptisches Feedback, um sensible Tätigkeiten durchzuführen“, sagt Hulin. „Wir ergänzen die visuelle Darstellung deshalb um eine haptische Komponente.“

Einer der Roboter, die das DLR zu diesem Zweck gebaut hat, trägt den Namen HUG („Umarmung“). Er deckt nicht nur den Arbeitsraum menschlicher Arme fast komplett ab, sondern stellt zudem die Kräfte dar, die in der entfernten Welt wirken. „Durch dieses haptische Feedback kann der Mensch intuitiv die Kräfte eines entfernten Robotersystems fühlen und steuern. Das wäre mit visueller Information allein nicht möglich“, sagt Hulin. Relevant wird dieses haptische Feedback vor allem dann, wenn es um Reparaturen an fragilen Geräten geht, etwa an Satelliten. So merkt man beispielsweise sofort, wie fest man eine Schraube anziehen muss. Eine Entscheidung, die nur mit dem Augenmaß schwer zu treffen wäre.

VibroTac Das Armband übermittelt durch Vibrationen Abstands- und Richtungsinformationen an den Menschen. Bild: DLR (CC-BY 3.0)

„Bisher ist das allerdings nur auf der Erde oder im Erdorbit möglich. Die Telemanipulation von weit entfernten Robotern auf dem Mond oder auf anderen Planeten ist noch Zukunftsmusik, weil die Datenübertragung zu lange dauern würde. Innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre könnten wir hier entscheidende Fortschritte erzielen, indem wir Methoden der virtuellen Realität mit der Telemanipulation verbinden“, sagt Hulin.

In anderen Bereichen ist das haptische Feedback aus der virtuellen Realität schon heute gut einsetzbar: „Beim Training von Astronauten und Mechanikern für den Einsatz im Weltall und in verschiedensten terrestrischen Anwendungsfeldern eignen sich unsere Systeme gut“, sagt Hulin. Vibro-Tac, ein Armband, das mittels Vibration unterschiedlichste Informationen übermittelt, ist ein weiteres Beispiel eines haptischen Geräts des DLR. Es kann blinde oder taube Menschen bei der Orientierung unterstützen. Die Vibration kann hier zum Beispiel vor Stufen oder Martinshörnern warnen. Einzig der Preis verhindert bisher einen breiteren Einsatz der Geräte, denn im Gegensatz zu den VR-Brillen sind die haptischen Geräte noch sehr teuer. Hulin erwartet allerdings auch in diesem Bereich demnächst einen Preissturz, da vor allem die Spieleindustrie das haptische Feedback für sich entdeckt hat. 

LEXIKON: Virtuelle Realität, Virtual Reality, VR
Im „Oxford English Dictionary“ wurde der Begriff Virtual Reality (VR), im Deutschen auch virtuelle Realität, 1987 erstmals beschrieben. Laut der Definition versteht man darunter eine computergenerierte Simulation eines dreidimensionalen Bildes oder einer dreidimensionalen Umgebung, mit der Personen auf scheinbar reale oder physische Weise interagieren können, indem sie Spezialequipment wie mit Bildschirmen versehene Helme oder Handschuhe mit Sensoren nutzen. Als einer der Pioniere der virtuellen Realität gilt Jaron Lanier. Der Amerikaner leitete von 1984 bis 1990 das Unternehmen VPL Research, das sich mit der Entwicklung von Virtual Reality-Anwendungen beschäftigte. Seit den 1990er Jahren findet man Virtual Reality-Technologien zunehmend in vielen verschiedenen Anwendungsbereichen etwa bei Flugsimulatoren, Spielsystemen, in der Medizin, aber auch in der Biochemie, der Robotik oder bei der Visualisierung von Datenbanken.

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