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Medizin

Renaissance der RNA

Bakterienribosomen - Molekulares Modell eines Messenger-RNA-gebundenen Ribosoms. Bild: Laguna Design / Science Photo Library

Die RNA steht am Ursprung des Lebens. Sie kann es allerdings auch in Gefahr bringen. Jetzt rückt sie nach jahrzehntelangem Schattendasein wieder in den Fokus der Wissenschaft – mit bemerkenswerten Aussichten.

Die Bekanntschaft mit Salmonellen ist eine Bekanntschaft der unliebsamen Art: Die Bakterien, die beispielsweise auf einem Salatblatt sitzen können, das in der Küche mit etwas rohem Hähnchenfleisch in Kontakt gekommen ist, lösen Erbrechen und Durchfall aus. Für Menschen, die schon ein geschwächtes Immunsystem haben, können sie sogar lebensbedrohlich werden.

Wie beide aufeinander reagieren, der Mensch als Wirt und die Mikrobe als ungebetener Gast, konnten Forscher des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie (IMIB) der Universität Würzburg kürzlich in einem Paper in der Fachzeitschrift"Nature" zeigen. Sie nutzten dafür ein neuartiges Analyseverfahren, mit dem sie zugleich die Gene der Salmonellen und der menschlichen Wirtszellen unter die Lupe nehmen können. Es hat das Zeug dazu, die Erforschung von Infektionskrankheiten zu revolutionieren. Sein Name: "Duale RNA-Sequenzierung".

RNA, kurz für Ribonukleinsäure, spielt bei jeder Infektion mit Bakterien eine tragende Rolle. Beide Partner bringen sie mit, der Wirt und das Bakterium. Und das hochmoderne Verfahren ermöglicht es den Forschern, gewissermaßen mit dem RNA-Mikroskop in die Zelle zu schauen.

Adenin Kristalle - Mikroaufnahme mit polarisiertem Licht eines Adenin-Kristalls. Adenin ist eine der vier Nukleinbasen in der DNA und RNA. Bild: Alfred Pasieka / Science Photo Library

Im konkreten Fall infizierten die Würzburger Forscher verschiedene Kulturen menschlicher Zellen mit dem Erreger Salmonella Typhimurium und untersuchten sie danach in kurzen Abständen immer wieder. So konnten sie im Detail zeigen, welches seiner rund 5.000 Gene das Bakterium in verschiedenen Phasen der Infektion an- oder abschaltet. Gleichzeitig konnten sie nachweisen,wie die mehr als 40.000 Gene der Wirtszelle auf den Eindringling reagieren.

Die RNA erlebt in der Forschung derzeit eine Renaissance. "Die Bedeutung von RNA Molekülen in Infektionsprozessen wurde bis vor kurzem unterschätzt", sagt Jörg Vogel, Leiter des Instituts für Molekulare Infektionsbiologie an der Uni Würzburg. "Heute wissen wir, dass RNAs mit vielen Molekülen der Wirtszelle und der Krankheitserreger interagieren." Vogel untersucht dieses Wechselspiel nicht nur an der Uni Würzburg, sondern auch im neu gegründeten Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI), einer gemeinsamen Einrichtung der Uni und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig. Dort wollen sie mit modernsten Technologien, die die RNA-Moleküle sichtbar machen, neue Ansatzpunkte für Therapien entdecken.

Die RNA selbst ist dabei im Grunde eine ehrwürdige alte Dame. Die älteste, wenn man so will: Schon vor knapp vier Milliarden Jahren könnten erste organische Moleküle aus Ribonukleinsäure, Kurzform: RNA, entstanden sein, hervorgegangen aus einer Mischung verschiedener Bausteine von Nukleinsäuren, den Nukleotiden. 1986 gab der Biochemiker und Nobelpreisträger Walter Gilbert dieser Hypothese den Namen "RNA-Welt". Die Kernaussage: Das wichtigste Ereignis, das am Ursprung des Lebens gestanden hat, ist die Bildung eines Moleküls, das in der Lage ist, sich zu vervielfältigen. Eines Moleküls, das sich nicht nur eigenständig kopieren, sondern auch leicht abändern kann und dadurch immer effizientere Kopiermechanismen entwickelt. Das alles trifft auf die RNA zu. Das Leben könnte also über lange Zeit auf RNA beruht haben - weit, bevor die Desoxyribonukleinsäure DNA entstand, die der RNA später die Show stehlen sollte.

Die RNA übersetzt die Befehle der DNA, die zur Bildung der Proteine führen.

Tatsächlich spielt bei heutigen Lebewesen die RNA eine untergeordnete Rolle, wenn man sie mit der DNA vergleicht. "DNA macht RNA macht Protein" - so heißt nicht umsonst die einfache Formel für die kernhaltigen Zellen; im Klartext: Die RNA übersetzt die Befehle der DNA, also die genetischen Informationen, die zur Bildung der Proteine führen. Wegen dieser Botenfunktion wird sie auch als Messenger-RNA (mRNA) bezeichnet: Die genetische Information wird von der DNA auf die RNA übertragen, wobei das Enzym RNA-Polymerasesie "umschreibt" (Transkription). Anschließend wird dieses RNA-Transkript freigesetzt, die RNA-Polymerase löst sich von der DNA. Nach der Wanderung der RNA aus dem Zellkern zu den Ribosomen, den Eiweißproduzenten der Zelle im Zytoplasma, wird die Information abgelesen und in das entsprechende Protein umgesetzt. Die RNA ist also nur ein Zwischenspeicher, während die DNA den permanenten Speicher für die genetischen Informationen darstellt. Eine Erkenntnis der vergangenen zwei Jahrzehnte ist es allerdings, dass sich die Rolle der RNA nicht auf den Informationstransport vom Zellkern zu den Ribosomen beschränkt. Bestimmte Formen der RNA (sogenannte small interfering RNA, siRNA) sind zum Beispiel in der Lage, die Bildung von Eiweißen zu hemmen.

Sie werden mit zahlreichen anderen kurzen, teils auch ringförmigen RNAs unter dem Begriff nicht-kodierende RNAs zusammengefasst.

"Man hat die RNA lange nicht für voll genommen, zu Unrecht."

"Diese nicht-kodierenden RNA-Moleküle sind die Netzwerker in der Genregulation", sagt Jörg Vogel. Ihn fasziniert die Frage nach den unterschiedlichen Funktionen der vielen nicht-kodierenden RNA-Moleküle in den Zellen von Mensch und Mikrobe. "Man hat sie lange nicht für voll genommen, zu Unrecht." An Ideen zur weiteren RNA Forschung fehlt es den Würzburger Forschern deshalb nicht.

Die Aussichten sind vielversprechend: RNA basierte Medikamente können vielleicht eines Tages als Alternative zu Antibiotika fungieren: Sie könnten helfen, die Zusammensetzung der Bakterien im menschlichen Körper, die Mikrobiota, zu modifizieren, wenn deren Balance gestört ist. "Mit RNA-Ansätzen ist es möglich, einzelne Spezies herauszugreifen, eventuell sogar ihr Wachstum zu stimulieren", sagt Vogel.

Das Interesse der Würzburger Forscher gilt aber auch den Viren. Die meisten von ihnen sind auf RNA als permanentes Speichermedium angewiesen, nur wenige nutzen DNA als genetischen Informationsspeicher. Viren enthalten zwar das Programm zu ihrer eigenen Vervielfältigung, verfügen aber über keinen eigenen Stoffwechsel, so dass sie sich nicht selbst reproduzieren können. Sie (miss-)brauchen dazu den Stoffwechsel einer Wirtszelle.

Gegen einige Krankheiten, die von Viren verursacht werden, gibt es bereits Medikamente, die bei der RNA ansetzen. Zum Beispiel bei Hepatitis C: Dieses Virus braucht regulatorische RNA, um sich in der befallenen Zelle zu vermehren. Ein spezielles Medikament namens Miravirsen lieferte hier bereits den Beweis dafür, dass es grundsätzlich funktionieren kann, zur Behandlung von Hepatitis C bei dieser RNA anzusetzen. "Dieses Prinzip möchten wir uns auch im Kampf gegen andere Krankheitserreger zu Nutze machen", sagt Jörg Vogel. Welche Krankheitserreger dabei konkret im Mittelpunkt stehen, soll sich auch aus der engen Zusammenarbeit mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig ergeben, die geplant ist.

Medizinische RNA-Forschung beschränkt sich allerdings nicht auf Infektionskrankheiten. Hoffnung auf neue Erkenntnisse gibt es auch bei der Bekämpfung von Krebs: Am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg zum Beispiel werden derzeit lange nicht-kodierende RNAs (IncRNAs) und ihre Rolle bei der Entstehung von Krebs untersucht. So haben Wissenschaftler um Sven Diederichs schon im Jahr 2003 eine RNA identifiziert, die bei Lungenkrebs darauf hindeutet, dass er besonders bösartig ist und früh Metastasen in anderen Organen bildet. Damit ist diese spezielle RNA ein guter Anhaltspunkt für die Diagnose - aber nicht nur das: Wenn es gelingt, dieses Molekül zu hemmen, könnte das eine aussichtsreiche Therapiestrategie sein.

RNA-Extraktion. RNA-Proben werden auf ein Gel aufgetragen. Nach dem Anlegen einer elektrischen Spannung trennen sich die „RNA-Moleküle“ der Größe nach auf. Der erste Schritt zur Analyse. Bild: HZI

Ähnliche Methoden, mit denen die Bildung von bestimmten Eiweißen auf RNA-Ebene verhindert wird, spielen auch in der Pflanzenwelt eine Rolle. Spezielle Technologien, bei denen zwei gegensinnige Einzelstränge von RNA sich wechselseitig blockieren, wurden etwa bei der sogenannten "Anti-Matsch"-Tomate eingesetzt, die 1994 auf den Markt kam, kommerziell aber erfolglos blieb. In ihr war die Bildung des Enzyms Polygalacturonase vermindert, das Pektin in der Zellwand abbaut: Die Tomate wird dadurch haltbarer, sie kann ausgereift geerntet werden. Ein anderes Beispiel ist die Kartoffelsorte Amflora, die aber anders als die Anti-Matsch-Tomate nicht zum Verzehr geeignet ist. Ihre Stärke besteht vollständig aus Amylopektin, aus dem sich Papier und Klebstoff herstellen lassen. Grund ist die Blockade der Amylose-Synthese.

Die Hoffnung der Forscher richtet sich jetzt darauf, die Kontrollmechanismen besser zu verstehen, über die die Zellen verfügen. Wenn das gelingt, lassen sich darüber eines Tages vielleicht Ansatzpunkte für die Behandlung bisher unheilbarer Leiden finden. Ein Beispiel dafür ist die Arbeit von Grundlagenforschern der Berliner Charité um Tarek Hilal vom Institut für Medizinische Physik und Biophysik. Sie konnten zeigen, auf welche Weise zwei spezielle Hilfsproteine fehlerhafte mRNA erkennen und Anstöße für ihren Abbau geben. "Insbesondere bei neurodegenerativen Erkrankungen wie der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) konnten fehlerhafte mRNAs beobachtet werden“, sagt Hilal. Die Forscher untersuchten mRNAs, denen das Stopp-Signal fehlt, was den gesamten Prozess der Biosynthese von Proteinen stört. "Die Erforschung der Auswirkungen defekter mRNAs und der Folgen eines mangelnden Abbaus gewinnt zunehmend an Bedeutung“, sagt Hilal, dessen Paper im Dezember 2016 in der Fachzeitschrift "Nature Communications“ erschien.

All diese Ansätze machen Hoffnung, dass der alten Dame Ribonukleinsäure bald weitere Geheimnisse abgewonnen werden könnten. Und dass die "neue RNA-Welt" damit zu wirkungsvolleren Therapien führen wird - im Kampf gegen Infektionskrankheiten, Krebs und Krankheiten, die mit dem Abbau von Nerven- und Muskelgewebe einhergehen.

Helmholtz-Institut für RNA-basierte infektionsforschung (HIRI)

Am neuen Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg sollen Ribonukleinsäuren (RNA) und ihre Rolle bei Infektionskrankheiten erforscht werden. In dem Institut arbeiten das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig und die Julius-Maximilians-Universität Würzburg (JMU) eng zusammen. Die Forscher versprechen sich davon ein großes Potenzial der RNA als Ansatzpunkt für Medikamente sowie als Therapeutika selbst. Gründungsdirektor des HIRI ist Jörg Vogel, der Direktor des Institutes für Molekulare Infektionsforschung an der JMU. Der renommierte RNA-Forscher wurde erst im März 2017 für seine Forschung auf dem Gebiet der Ribonukleinsäure-Biologie mit dem wichtigsten deutschen Forschungspreis, dem Leibniz-Preis, ausgezeichnet.

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