Politik
Quereinstieg in Brüssel

<b>Impulsgeber</b> Der EU-Forschungskommissar
Carlos Moedas hat sich in den ersten 18 Monaten seiner Amtszeit bei der Europäischen Kommission vom Seiteneinsteiger zum respektierten Gesprächspartner entwickelt. Die Forschungspolitik Europas wird er auf Jahre hinaus prägen. Eine Zwischenbilanz
Verwunderlich ist das nicht. Denn der im August 1970 geborene Moedas, der in Harvard Bauingenieurwesen studierte, galt als Mann der Wirtschaft. Mehr als 15 Jahre arbeitete der Portugiese bei verschiedenen Unternehmen, etwa beim französischen Wasserversorger Suez-Lyonnaise des Eaux, bei Goldman Sachs und bei der Deutschen Bank. Ins Rampenlicht der Politik zog es ihn 2011 – als Quereinsteiger schaffte er für die liberal-konservative Partido Social Democrata den Einzug ins Parlament. Er wurde Staatssekretär und war unter anderem dafür zuständig, das EU-Rettungsprogramm zu überwachen, mit dem Portugal die Folgen der Finanzkrise auffing.
<b>Kommissare unter</b> sich Wöchentliches Meeting der Juncker-Kommission („College“). Bild: Etienne Ansotte/EU
Bei seinem Amtsantritt im November 2014 waren die Startvoraussetzungen für Carlos Moedas dabei alles andere als ideal. Kommissionspräsident Juncker führte das neue Amt der Vize-Präsidenten ein – das sind Kommissare, die zugleich mehrere ihrer Kollegen für gemeinsame Themen zusammenbringen sollen und ihnen übergeordnet sind. „Damit ist Moedas‘ politischer Spielraum deutlich stärker begrenzt als der seiner Vorgänger“, sagt Gaul. Doch ohnehin sei es Moedas‘ Hauptaufgabe, dafür zu sorgen, das Förderprogramm Horizont 2020 erfolgreich umzusetzen. Das noch bis 2020 laufende, rund 75 Milliarden Euro schwere Programm wurde aber noch vor seiner Amtszeit auf den Weg gebracht. Spannend könnte es vor allem nächstes Jahr werden, wenn die Kommission eine Zwischenbilanz zu Horizont 2020 ziehen wird. Dann wird sich zeigen, wie groß die Zufriedenheit der Forschungseinrichtungen, der Hochschulen und der Industrie mit der Förderung ausfällt.
Eine große Herausforderung in seinem ersten Amtsjahr war für Carlos Moedas besonders die Diskussion um Junckers Prestigeprojekt, den Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI), mit dem der Kommissionspräsident mehr Wachstum für Europa erreichen und beispielsweise in innovative anwendungsnahe Infrastruktur- und Energieprojekte investieren will. 2,7 Milliarden Euro wollte die EU-Kommission aus dem Horizont-Topf abzwacken – Moedas billigte das, aber insbesondere das EU-Parlament sowie Forschungseinrichtungen und Hochschulverbände gingen auf die Barrikaden. Auch wenn die Kürzungen für Grundlagenforscher letztlich glimpflicher ausfielen als befürchtet, ist man in der Wissenschafts-Community gewarnt. „Wir sehen die Tendenz seitens der Kommission, die Grundlagenforschung zugunsten der anwendungsnahen Forschung zu schwächen“, sagt beispielsweise Lesley Wilson, die Generalsekretärin der European University Association (EUA). Und auch die HRK schaut genau hin. „Solange es um wirkliche Forschung geht, haben viele Hochschulen kein Problem mit dem Begriff der anwendungsnahen Forschung“, sagt Gaul. Dies entspreche sogar dem Profil Technischer Universitäten und Fachhochschulen. „Man muss aber mit dem Begriff sehr genau sein und ihn von Produktentwicklung unterscheiden.“
<b>Forschungspolitik der EU</b> Das Schema skizziert das komplexe Zusammenspiel der wichtigsten Akteure der EU-Forschungspolitik. Quelle: Helmholtz-Büro Brüssel
Gespannt sind viele, wie Moedas ein anderes Projekt umsetzen will, das ihm am Herzen zu liegen scheint: die Einrichtung eines Europäischen Innovationsrates. Moedas will damit für Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Hochschulen „Instrumente bündeln, die die EU-Kommission in Bezug auf Innovation anbietet“. Als Forscher, sagt er, wisse man, an wen man sich wende mit einer sehr guten Idee: an den Europäischen Forschungsrat. Erfinder wüssten das nicht. Noch hat sich Moedas aber nicht festgelegt, wie der Innovationsrat im Detail aussehen könnte: ob er also analog zum Forschungsrat über ein Budget verfügt und Fördergelder vergibt. „Die Erfolgsgeschichte des Europäischen Forschungsrats dafür als Inspiration zu nehmen, ist in Ordnung, aber es ist wichtig, die Analogie nicht zu weit zu treiben und vor allem, das eine nicht auf Kosten des anderen zu machen“, warnt Michael Matlosz. Bei der Leibniz- Gemeinschaft fürchtet man, dass langfristig vor allem die Verbundforschung unter dem neuen Kurs der EU-Kommission in Richtung Innovation leiden könnte. Denn schon längst kursieren Modelle, nach denen das EU-Forschungs-und Innovationsprogramm der Zukunft aus zwei Säulen mit ERC und EIC bestehen könnte, die durch Fördermaßnahmen in den Bereichen Mobilität, Infrastrukturen und Joint Programming ergänzt würden. Claudia Labisch, Leiterin des EuropaBüros der Leibniz-Gemeinschaft, sagt dazu, dass damit die drängenden gesellschaftlichen Herausforderungen – die Societal Challenges –, in denen sich viele Forscher schon heute nicht mehr richtig wiederfinden, zukünftig gänzlich im Zeichen von Innovationsförderung stünden.
Leser:innenkommentare