Energiewende
„Power to X“
Es ist eines der Kernprobleme der Energiewende: Wie lässt sich überschüssiger Strom am besten chemisch speichern, so dass die Energie flexibel wieder abrufbar ist. Ein Forschungsprojekt will in den nächsten zehn Jahren marktreife Lösungen präsentieren.
Wenn es gelänge, aus Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff, der aus Wasser und erneuerbaren Energien gewonnen wird, einen Kraftstoff zu produzieren, der beinahe emissionsfrei verbrennt, wären viele Probleme gelöst. "Neue Kraftstoffe aus erneuerbaren Rohstoffen und nicht-fossilen Energien gewinnen zu können, gibt uns die Chance, die Nachteile der motorischen Verbrennung von erdöl-basiertem Benzin und Diesel zu vermeiden", sagt Walter Leitner. Er ist Professor für technische Chemie und Petrolchemie an der RWTH Aachen, und natürlich weiß er, dass die Idee gewagt ist. Damit das gelingt, müssen die Forscher gezielt chemische Bindungen brechen und neue Verknüpfungen systematisch wieder aufbauen.
Das ist eine Idee von vielen, denen eins gemeinsam ist: Sie nutzen viel elektrische Energie, um chemische Reaktionen herbeizuführen. Im Fachjargon heißt das Projekt, dessen Sprecher Walter Leitner ist, "Power-to-X" - mit Hilfe von Strom (power) wird ein Produkt erzeugt, das Energie bindet, die später auf Abruf wieder zur Verfügung gestellt werden kann oder so zur Wertschöpfung genutzt wird. Das "X" steht für die vielen Möglichkeiten, Stoffe im Rahmen dieser Elektrolyse- und Katalyseprozesse zu erzeugen; Kraftstoffe können es ebenso sein wie Kunststoffe oder Zwischenprodukte der Chemieindustrie. Für das Gelingen der Energiewende spielt dieser Power-to-X-Ansatz eine zentrale Rolle: Wenn in besonders windstarken Zeiten oder an sonnenreichen Tagen die Windkraft- und Photovoltaikanlagen auf Hochtouren laufen, soll der Strom in diese energieaufwändigen chemischen Prozesse fließen - Strom, der in diesen Spitzenzeiten ansonsten gar nicht verbraucht werden kann und deshalb umgangssprachlich auch als "Überschuss-Strom" bezeichnet wird.
Ein wichtiges Beispiel für das "X", welches durch Elektrolyse entsteht, ist das sogenannte Synthesegas. Ein Gasgemisch wie es in vielen industriellen Prozessen zum Einsatz kommt. "Derzeit wird Synthesegas aus fossilen Rohstoffen hergestellt", sagt Rüdiger Eichel, Direktor des Instituts für Energie- und Klimaforschung am Forschungszentrum Jülich und einer der Koordinatoren des Kopernikus-Projektes. Die Wissenschaftler versuchen jetzt, Synthesegas aus CO2 und Wasser herzustellen - mit Hilfe von Überschuss-Strom. "Wenn das gelingt, wäre dies ein wichtiger Schritt in Richtung der CO2 Emissions-freien Synthese von Kraftstoffen, anderen Energieträgern oder Basischemikalien", sagt Eichel.
In der Forschung sind einige dieser Ansätze bereits erfolgreich umgesetzt worden - auch das ist eine Gemeinsamkeit vieler Vorhaben, die im Power-to-X-Projekt verfolgt werden. Neben der Erforschung neuer Lösungen geht es auch um die sogenannte Skalierbarkeit: Die Innovationen sollen vom Labormaßstab auf die industrielle Nutzung übertragen werden. Auf dem Weg dorthin ist nicht allein die Größe der nötigen Elektrolyse- und Katalyse-Apparate die Herausforderung, sondern auch die Maßgabe, mit erneuerbar erzeugtem Strom zu arbeiten. "Die meisten Prozesse wurden allerdings für den Betrieb unter konstanter Last konzipiert und optimiert. Vor dem Hintergrund der fluktuierenden Verfügbarkeit regenerativer Quellen wollen wir diese Prozesse jetzt dynamisch einsetzen; immer in Abhängigkeit von der verfügbaren Menge des Stroms", sagt Rüdiger Eichel.
An dieser Stelle setzt das Kopernikus-Projekt an, um effiziente und langlebige Materialien und Bauteile zu entwickeln. Innerhalb der zehnjährigen Laufzeit wollen die Forscher mindestens drei konkrete Technologien zur Marktreife bringen. "Wir müssen eine kritische Balance halten zwischen hohem Innovationsgrad und rascher Umsetzung", sagt Projektsprecher Walter Leitner. "Deshalb schauen wir von vornherein: Was hat die Chance, in dieser Zeit fertig zu werden?" In der ersten Phase des Projekts stehen deshalb Fragestellungen aus der Grundlagenforschung im Mittelpunkt; anschließend werden die erfolgversprechendsten Ansätze ausgewählt. Auf sie richten sich die geballten Anstrengungen der Wissenschaftler. Die Struktur des Kopernikus-Projekts ist dabei bewusst so angelegt, dass sie offen ist für Assoziierungen." Andere Forscher beschäftigen sich mit ähnlichen Themen. Wir wollen dieses Wissen in die Entwicklung einbeziehen und sicherstellen, dass wichtige Forschungsinfrastrukturen und Demonstratoren möglichst effizient genutzt werden", sagt Leitner.
Eine wesentliche Aufgabe im Projekt Power-to-X ist deshalb die Erstellung einer Roadmap, in der die verschiedenen Ansätze und Impulse zusammengetragen werden. Zu allen von ihnen sammeln die Wissenschaftler sämtliche Informationen über die technische Reife, die gesellschaftliche Akzeptanz und die Möglichkeiten zur Implementierung in die heutigen Infrastrukturen. Im Hintergrund wird diese Roadmap laufend aktualisiert und bietet damit einen guten Überblick über den Forschungsstand. Die Ergebnisse der Wissenschaftler können die Energiewende in vielen verschiedenen Bereichen voranbringen. Wegen dieser breiten Ansätze bezeichnet Kurt Wagemann das Projekt Power-to-X auch als konkretes Beispiel für das Konzept der "Sektorkopplung". Wagemann ist Geschäftsführer der Gesellschaft für Chemische Technik und Biotechnologie (DECHEMA) und einer der Koordinatoren des Kopernikus-Vorhabens. "Unser Projekt wandelt Strom so um, dass er in so unterschiedlichen Bereichen wie Mobilität und Chemieproduktion nutzbar wird", sagt er - je nach dem, was das konkrete "X" ist, in das die Forscher die Energie verwandeln.
In wie großem Maßstab sich die entwickelten Technologien einsetzen lassen, hängt dann nicht nur von technischen Parametern ab, sondern auch vom jeweiligen Einsatzgebiet. Denkbar wären gewaltige Anlagen, in denen die energieaufwendigen Elektrolyse-Prozesse ablaufen. Aber auch dezentrale Standorte kommen in Frage, sagt Kurt Wagemann: "Mich fasziniert die Idee, diese Synthese etwa in Containern umzusetzen". Durch solche kompakten und dennoch effizienten Lösungen würde der Power-to-X-Ansatz auch an Standorten denkbar, die nicht in das Stromnetz integriert sind. Direkt an Offshore-Windkraftfeldern beispielsweise ließe sich die gewonnene Energie gleich verarbeiten - beispielsweise zu Flüssiggas, das sich leichter transportieren lässt. Aber auch Länder ohne ausgefeilte Netz-Infrastruktur rückten mit einer dezentralen Lösung in den Fokus. Für das Kopernikus-Projekt wäre das ein wichtiger Erfolg: Dass sich die entstehenden Technologien nicht nur in Deutschland anwenden lassen, sondern auch für den Export eignen, zählt schließlich zu den beabsichtigen Nebenaspekten der Forschung.
Die Kopernikus-Projekte stellen die größte Forschungsinitiative zur Energiewende dar. Sie verfolgen ein hochgestecktes Ziel: „Bis 2025 bringen wir neue Energiekonzepte auf den Weg, die im großtechnischen Maßstab angewendet werden können – und die auch gesellschaftlich mitgetragen werden“, sagte Bundesforschungsministerin Johanna Wanka zum Auftakt. Die Forschungsvorhaben sind in vier Schlüsselbereiche unterteilt, die inhaltlich den großen Herausforderungen der Energiewende folgen: Die Entwicklung von Stromnetzen, die Speicherung überschüssiger erneuerbarer Energie durch Umwandlung in andere Energieträger, die Neuausrichtung von Industrieprozessen auf eine schwankende Energieversorgung und das verbesserte Zusammenspiel aller Sektoren des Energiesystems.
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