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Auszeichnung

Neuer Wirkstoff gegen Parasitenkrankheiten

Das interdisziplinäre Forscherteam nahm den Erwin-Schrödinger-Preis bei der Helmholtz-Jahrestagung entgegen. Bild: Event images Berlin/Andreas Schulz

Millionen Menschen erkranken jedes Jahr an den parasitären Erkrankungen Afrikanische Schlafkrankheit, Chagas-Krankheit und Leishmaniose. Nun haben Forschende eine neue Schwachstelle der Parasiten entdeckt und einen Wirkstoff entwickelt, der die Erreger abtötet. Für ihre interdisziplinäre Arbeit wurden sie mit dem Erwin-Schrödinger-Preis 2020 ausgezeichnet.

Grzegorz Popowicz lehrt am Institut für Strukturbiologie des Helmholtz Zentrums München.

Tropische Erkrankungen wie die Afrikanische Schlafkrankheit, die Chagas-Krankheit und Leishmaniose verbreiten sich immer schneller auf der ganzen Welt. Betroffene leiden etwa unter Fieber und Hautveränderungen, im chronischen Zustand vergrößern sich bestimmte Organe, und der Magen-Darm-Trakt wird zunehmend gelähmt. Eine Behandlung ist bei allen Krankheiten schwierig, sie können unter Umständen sogar tödlich verlaufen. „Derzeit gibt es keine guten Behandlungsmöglichkeiten: Entweder sind die erhältlichen Medikamente sehr giftig oder nicht effektiv genug. Dagegen wollten wir etwas tun“, sagt Grzegorz Popowicz vom Helmholtz Zentrum München, während er die Tür des institutseigenen NMR-Spektrometers öffnet und ein Probenröhrchen einstellt. Stolz steigt er von einem kleinen Tritt herunter und strahlt: „Deswegen sind wir sehr glücklich, dass unsere jahrelange Arbeit Früchte trägt und wir sogar dafür honoriert werden.“

Millionen Menschen weltweit sind betroffen

Grzegorz Popowicz gehört einem Forscherteam an, das sich intensiv mit diesen Tropenkrankheiten beschäftigt, die von drei unterschiedlichen, jedoch miteinander verwandten Parasiten – den sogenannten Trypanosomen – ausgelöst werden. Schätzungsweise 20 Millionen Menschen sind davon betroffen: Laut Weltgesundheitsorganisation WHO sind allein mit der Chagas-Krankheit mehr als sechs Millionen Menschen infiziert – hauptsächlich in Mittel- und Südamerika. Jährlich gibt es rund 15.000 Todesfälle. Doch auch in der nördlichen Hemisphäre könnten die Zahlen künftig durch Migration und Klimawandel ansteigen. Die Übertragung der Parasiten erfolgt durch Stechfliegen wie der Tsetse-Fliege, Bremsen oder Raubwanzen. Über den Blutkreislauf verbreitet sich der Erreger in seinem Wirt.

Michael Sattler ist Direktor des Instituts für Strukturbiologie am Helmholtz Zentrum München.

Den Stoffwechsel der Parasiten stören

Diese Vermehrung im Wirt will ein interdisziplinäres Forscherteam des Helmholtz Zentrums München, der Ruhr-Universität Bochum und der Warschauer Medizinischen Universität stoppen. Unter Einsatz modernster Verfahren der Strukturbiologie konnten die Gruppen von Ralf Erdmann (Ruhr-Universität Bochum) und Michael Sattler (Helmholtz Zentrum München) ein Molekül entwickeln, das den Stoffwechsel des Parasiten an einem kritischen Punkt blockiert und dadurch eliminiert.

Dieses neue Konzept fundiert auf einem Meilenstein der Grundlagenforschung. Die Wissenschaftler blicken auf eine langjährige Zusammenarbeit zurück. „Damals", erinnert sich der Strukturbiologe Michael Sattler, „saßen Ralf Erdmann und ich nach einer Konferenz zusammen und haben über unsere Forschung geredet. Da haben wir erkannt, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Bekämpfung von Parasiten spielen könnte.“ Gemeinsam erforschten die Wissenschaftler die Biologie der Parasiten und konnten daraus die Hypothese für einen neuen Wirkstoff ableiten.

Im Fokus ihrer Arbeit stehen sogenannte Peroxisomen: Das sind Zellorganellen, die gleichermaßen in Mensch und Parasit zu finden und für das Überleben der Einzeller essenziell sind. „Wir mussten Unterschiede zwischen den menschlichen und parasitären Importmaschinerien finden“, erklärt Ralf Erdmann, „damit wir spezifische Inhibitoren entwickeln können, die die lebenswichtige Importmaschinerie der Parasiten blockieren.“

Ziel war, den Stoffwechsel der Parasiten zu stören. Die Glykosomen – dem Peroxisom verwandte Organellen der Trypanosomen – konnten hier als die „Achillesferse“ des Parasiten identifiziert werden. Das Team hat einen Weg gefunden, eine sogenannte „Stoffwechselkatastrophe“ in den Parasiten auszulösen, die zu ihrem Absterben führt. Dafür entwickelten die Wissenschaftler mithilfe hochauflösender Röntgenstrukturen und Kernspinresonanzdaten (NMR) maßgeschneiderte Inhibitoren, die wie passende Puzzlestücke an die Proteine binden. „Wir kannten das Schloss", beschreibt Grzegorz Popowicz die Vorgehensweise. „Unsere Aufgabe war es, den richtigen Schlüssel zu finden!"  

Bedeutung der Grundlagenforschung

Als Grundlagenforscher untersuchen Ralf Erdmann und Michael Sattler seit vielen Jahren die Funktionsweise der Organellen. Aus diesem Verständnis heraus entwickelte sich der innovative Lösungsansatz zur Bekämpfung der Parasiten. Obwohl die Forschung zunächst nicht direkt auf ein Medikament ausgerichtet war, könnten die Erkenntnisse nun den Weg für einen zukunftsweisenden Wirkstoff aufzeigen.

„Wirkstoffentwicklung geht nur interdisziplinär“

Michael Sattler sieht in der Kombination von Grundlagenforschung und dem Austausch von Wissenschaftlerteams aus unterschiedlichen Fachgebieten großes Potenzial. Am Beispiel des Gewinnerprojekts des Erwin-Schrödinger-Preises 2020 zeige sich die Effektivität einer solchen Zusammenarbeit, wie der Strukturbiologe betont: „Ralf Erdmann und ich hatten die Idee für einen neuen Wirkstoffansatz. Grzegorz Popowicz etablierte daraufhin die Methodik für das Wirkstoffscreening und die strukturbasierte Wirkstoffentwicklung. Maciej Dawidowski synthetisierte die Moleküle und Vishal Kalel testete diese schließlich in umfangreichen Untersuchungen in den Trypanosomen." Michael Sattler stellt die Wichtigkeit der Teamarbeit für den Projekterfolg heraus: „Jeder dieser Wissenschaftler ist für sich Experte in dem, was er tut, aber keiner kann einen Wirkstoff von Anfang bis Ende entwickeln. Das geht nur interdisziplinär.“

Meldung des Helmholtz Zentrums München

Helmholtz-Jahrestagung 2020

Der Erwin-Schrödinger-Preis

Mit dem Wissenschaftspreis des Stifterverbandes – Erwin-Schrödinger-Preis würdigen die Helmholtz-Gemeinschaft und der Stifterverband herausragende wissenschaftliche oder technisch innovative Leistungen, die in Grenzgebieten zwischen verschiedenen Fächern der Medizin, Natur- und Ingenieurwissenschaften erzielt worden sind und an denen Vertreter mindestens zweier Fachrichtungen mitgewirkt haben.

Die Preisträger der letzten Jahre

Die drei Parasitenkrankheiten im Überblick

Afrikanische Schlafkrankheit 

Die Afrikanische Schlafkrankheit ist eine Erkrankung des Lymph- und Nervensystems. Erreger sind einzellige Parasiten, sogenannte Trypanosomen. Die Infektion wird durch Stiche infizierter Tsetse-Fliegen übertragen. Die Krankheit tritt vor allem in Afrika auf und verläuft in zwei Phasen: Die erste Phase äußert sich meist durch Symptome wie Fieber oder geschwollene Lymphknoten. Die zweite Phase beginnt mit dem Eindringen des Parasiten in das zentrale Nervensystem und kann unter anderem zu einer Persönlichkeitsveränderung, Verwirrtheit und einem veränderten Tag-Nacht-Schlafrhythmus führen. In ihrem Endstadium fallen die Patienten in einen Dämmerzustand, der der Krankheit ihren Namen verliehen hat. Unbehandelt führt die Erkrankung meist zum Tod.

Chagas-Krankheit

Die Chagas-Krankheit – auch Amerikanische Schlafkrankheit genannt – wird ebenfalls von Trypanosomen ausgelöst und durch nachtaktive, blutsaugende Raubwanzen übertragen. Sie kann zu einer Erkrankung des Herzens, der Verdauungsorgane und des Nervensystems führen. Nach einer Infektion kommt es akut zu Fieber und Atemnot, später können auch Darmlähmungen und Hirnhautentzündung auftreten. Die bisher verfügbaren Medikamente sind sehr toxisch, außerdem gibt es keine Impfmöglichkeit. Die Chagas-Krankheit kommt in Mexiko sowie in Zentral- und Südamerika vor.

Leishmaniose

Die Leishmaniose ist eine von Schmetterlingsmücken übertragene Haut- und Organerkrankung, die von einzelligen Protozoten ausgelöst wird. Leishmaniose kommt weltweit in warmen Ländern vor, in Europa etwa in Spanien, Italien oder der Türkei. Krankheitsfälle in Deutschland sind selten: Das Robert Koch-Institut geht von etwa 20 Erkrankungen pro Jahr aus. Es existieren zahlreiche Varianten der Leishmaniose. Mögliche Symptome sind Hautgeschwüre, Fieber, Gewichtsverlust, Leber- und Milzschwellungen sowie Magen-Darm-Erkrankungen. Die Krankheit kann je nach Ausprägung leicht oder schwer verlaufen.

Quellen: Tropeninstitut, Robert Koch-Institut, Weltgesundheitsorganisation WHO

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