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European XFEL

Neuer Röntgenlaser liefert erste Ergebnisse

Künzterische Darstellung des Experiments: Treffen die intensiven Röntgenlaserblitze (lila) auf die Proteinkristalle in dem schnellen Wasserstrahl, lässt sich aus diesen Aufnahmen die Struktur der Proteine in dem Kristall erkunden (rechts). Credit: DESY/Lucid Berlin

Vor einem Jahr ist das neue Super-Mikroskop in Hamburg in Betrieb gegangen. Jetzt gibt es einen ersten, vielversprechenden Erfolg: Ein Forscherteam konnte die Struktur eines Enzyms enthüllen, das eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Antibiotikaresistenzen in einem Bakterium spielt.

Seit gut einem Jahr laufen die Experimente an Europas neuem Röntgenlaser European XFEL. Eine große internationale Forschergruppe unter DESY-Führung hat nun die Ergebnisse der ersten wissenschaftlichen Experimente veröffentlicht. Die Pionierarbeit zeigt nicht nur, dass die neue Anlage Experimente um mehr als das Zehnfache beschleunigen kann, sie enthüllt auch erstmals im Detail die Verbindung eines bestimmten Enzyms, das für Antibiotika-Resistenzen eine wichtige Rolle spielt, mit einem Hemmstoff, der das Enzym blockiert. Das Forscherteam präsentiert seine Ergebnisse, zu denen auch die erste am European XFEL neu bestimmte Proteinstruktur gehört, im Fachblatt „Nature Communications“.

Die Forscher untersuchten unter anderem das Enzym mit der Bezeichnung CTX-M-14-β-Laktamase aus dem Bakterium Klebsiella pneumoniae, von dem zum Teil mehrfach resistente Stämme in Krankenhäusern kursieren und dort ein gravierendes Problem darstellen. Vor zwei Jahren wurde in den USA sogar ein Stamm des Bakteriums identifiziert, der nach Angaben der US-Seuchenschutzbehörde CDC gegen alle 26 gewöhnlich verfügbaren Antibiotika resistent war.

Das Enzym kommt in allen Stämmen des Bakteriums vor. Es funktioniert wie eine Art molekulare Schere und zerschneidet die molekulare Struktur der Penizillin-Antibiotika, wodurch diese wirkungslos werden. Um dies zu vermeiden, werden Antibiotika häufig mit dem Hemmstoff Avibactam zusammen verabreicht. Avibactam legt sich gewissermaßen zwischen die Scherenblätter des Enzyms und blockiert so die Schneidefunktion. Durch Mutationen kann sich jedoch die Form der molekularen Schere ändern. „Manche Krankenhausstämme von Klebsiella pneumoniae können bereits speziell entwickelte Antibiotika der dritten Generation spalten“, berichtet Ko-Autor Christian Betzel, Professor an der Universität Hamburg. „Wenn wir verstehen, wie das genau geschieht, könnte das eventuell dabei helfen, Antibiotika zu entwerfen, die dieses Problem umgehen.“

Die Forscher konnten die molekulare Struktur der CTX-M-14-β-Laktamase des nicht-resistenten, gewöhnlichen „Wildtyps“ des Bakteriums mit dem an das aktive Zentrum gebundenen Inhibitor Avibactam darstellen. Während die Strukturen der beiden einzelnen Komponenten bereits bekannt waren, haben die Forscher erstmals die Verbindung dieser beiden Stoffe sichtbar gemacht. Die Messungen zeigen, dass sich Strukturinformationen von hoher Qualität mit dem European XFEL gewinnen lassen. Die Forscher sehen dies als einen ersten Schritt zur Aufzeichnung von Serien-Schnappschüssen von biochemischen Reaktionsabläufen zwischen Enzymen und ihren Substraten. Zusammen mit den Ko-Autoren Martin Aepfelbacher und Holger Rohde, Professoren am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf, plant das Team, den Röntgenlaser im nächsten Schritt als eine Art Filmkamera einzusetzen, um aus solchen Serienbildern einen Film molekularen Dynamik zu erstellen. „Solche Filme würden uns entscheidende Einblicke in den biochemischen Prozess geben, die uns eines Tages helfen könnten, bessere Inhibitoren zu entwerfen und damit Antibiotikaresistenzen zu reduzieren“, sagt Betzel.

Der neue Röntgenlaser European XFEL ist so etwas wie ein Riesen-Mikroskop. Er bringt Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit, um sie dann durch sogenannte Undulatoren zu schicken. Diese Magnetstrukturen zwingen die rasenden Teilchen auf Slalombahnen – wodurch die Elektronen kurze und intensive Röntgenblitze abgeben, die zudem eine zentrale Eigenschaft von Laserlicht aufweisen: Die Strahlung ist kohärent, das heißt, die einzelnen Wellenzüge marschieren bildlich gesprochen im Gleichschritt, was 3D-Aufnahmen im Mikrokosmos ermöglicht.

Mit diesen Röntgenblitzen durchleuchten die Forscher unterschiedliche Materialien. Die bemerkenswerten Eigenschaften der Röntgenpulse machen völlig neue Experimente möglich: Zum einen sind sie so intensiv, dass sie die einzelnen Atome in einem Molekül sichtbar machen können. Zum anderen sind sie weniger 100 billiardstel Sekunden kurz, wodurch sich extrem schnelle Vorgänge verfolgen lassen, zum Beispiel chemische Reaktionen.

Filme von chemischen und biochemischen Reaktionen sind nur ein Beispiel aus einem breiten Spektrum neuer wissenschaftlicher Experimente, die durch den European XFEL möglich werden. Ein Schlüsselfaktor ist dabei die Geschwindigkeit, mit der sich Daten sammeln lassen. „Das eröffnet ganz neue Wege in der Strukturforschung“, unterstreicht Ko-Autor Adrian Mancuso, der Leiter der European-XFEL-Messstation, an der die Experimente stattgefunden haben. „Der Unterschied bei der hier gezeigten Geschwindigkeit, mit der Entdeckungen am European XFEL möglich sind, ist so drastisch wie der Unterschied der Reisezeit über den Atlantik zwischen einem Schiff und einem Flugzeug. Die Auswirkungen können immens sein.“

Die Experimente an dem frisch eröffneten Röntgenlaser waren alles andere als Routine. „Da wir als erste an einer völlig neuen Anlage gearbeitet haben, mussten wir zahlreiche Herausforderungen meistern, die zuvor noch niemand angegangen war“, betont DESY-Forscher Anton Barty, der das Team von rund 125 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern geleitet hat. „Man kann es mit dem Jungfernflug eines neuartigen Flugzeugs vergleichen: Sämtliche Berechnungen und die gesamte Montage sind getan, alles sagt, es wird funktionieren – aber erst wenn man es versucht, wird man wissen, ob es wirklich fliegt.“

Bild: DESY

European XFEL

Sie sind milliardenfach heller als das Licht aus einem Speicherring und deutlich kürzer als eine billionstel Sekunde – jene Röntgenblitze, die eine spektakuläre Laseranlage erzeugt: Der „European XFEL“ ist eine 3,4 Kilometer langer Gigant, eingebaut in einen unterirdischen Betontunnel. Er beginnt auf dem Gelände des Deutschen Elektronen-Synchrotron DESY in Hamburg-Bahrenfeld, verläuft in Richtung Nordwest und endet hinter der Landesgrenze zu Schleswig-Holstein in einer riesige Experimentierhalle. 

Basis ist ein supraleitender, rund zwei Kilometer langer, linearer Beschleuniger. Er bringt Elektronen nahezu auf Lichtgeschwindigkeit und schickt sie anschließend durch lange Spezialmagneten. Diese sogenannten Undulatoren zwingen die Elektronen auf Slalombahnen, wodurch die Teilchen extrem kurze und starke Röntgenblitze aussenden. Genau diese Blitze sind es, auf die die Forscher aus sind. Sie sind bis zu eine Milliarde Mal intensiver als bei Speicherringen, den heute stärksten Röntgenquellen. Die Wellenlänge der Blitze kann variiert werden – die größte beträgt sechs, die kleinste 0,1 Nanometer. Damit lassen sich selbst feinste, atomare Details einer Probe erkennen. Außerdem sind die Blitze deutlich kürzer als eine billionstel Sekunde – ideal, um ultraschnelle Prozesse wie den Ablauf einer chemischen Reaktion zu analysieren. Nicht zuletzt haben die Blitze die Eigenschaften von Laserlicht. Das ermöglicht im Prinzip die Aufnahme von Hologrammen, also dreidimensionalen Bildern.

Von den Forschungsmöglichkeiten profitieren die unterschiedlichsten Wissenschaftler: Chemiker wollen chemische Reaktionen quasi in Echtzeit filmen: Das Prinzip: Ein herkömmlicher Laser startet die Reaktion, anschließend schauen die Experten mit den intensiven Röntgenblitzen aus dem Europan XFEL nach, was genau passiert und wie sich einzelne Atome während der Reaktion verhalten. Molekularbiologen können detaillierte Bilder einzelner Eiweißmoleküle aufnehmen. Physiker wollen unter anderem Reibungsprozesse haarklein analysieren, um das bislang nur mäßig erforschte Phänomen der Reibung grundlegend zu verstehen. Und Astrophysiker werden Schockwellen durch Materialproben schicken und dadurch Extrembedingungen simulieren, wie sie im Inneren von Sternen und Riesenplaneten herrschen.

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