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Human Lung Cell Atlas

Molekulare Landkarte der Lunge

Darstellung der Zellklassen im Human Cell Atlas. Bild: Helmholtz Munich

Die menschliche Lunge besteht aus Abermillionen Zellen. Welche dieser Zellen sind an Krankheiten beteiligt, welche an der Heilung? Welche Wirkung hat eine Behandlung? Mit dem gerade fertiggestellten „Human Lung Cell Atlas“ können Forschende diese Fragen nun einfacher beantworten.

Ein ausgewachsener menschlicher Körper besteht aus rund 40 Billionen Zellen. Erstaunlich, wenn man bedenkt: Am Anfang ist da nur eine einzige – die Eizelle, die durch Befruchtung beginnt sich zu teilen. Eine Zelle ist der Grundbaustein sämtlicher Organismen und damit Ausgangspunkt jedes Lebewesens. Aus dieser kleinsten lebenden Einheit entsteht eine immense Komplexität – allein im Gehirn wurden bereits mehrere tausend Subtypen identifiziert. Alle Zellen des Körpers haben denselben Grundbauplan, unterscheiden sich aber wesentlich voneinander – Haut, Muskeln und Gehirn bis hin zu spezialisierten Zellpopulationen in Organen und Geweben – je nach Einsatzort erfüllen sie andere Zwecke. Allein die Unterschiede im Ablesen bestimmter Gene, die den Entwicklungsprozess der Zellen steuern, sorgen dafür, dass letztendlich eine Haut- oder Lungenzelle entsteht.

Der Human Cell Atlas ist ein 2016 gegründetes internationales Forschungsprojekt, das darauf abzielt, einen umfassenden Katalog aller menschlichen Zelltypen zu erstellen.  Die Grundlage für das Verständnis der menschlichen Gesundheit und für die Diagnose, Überwachung und Behandlung von Krankheiten. Weltweit arbeiten über 2.900 Forschende aus 94 Ländern in vielen Einzelprojekten daran mit und haben bereits Hunderte von Zelltypen identifiziert und kartografiert. Forscher:innen analysieren nicht nur das Genom der Einzelzellen, sondern auch das Transkriptom. Sie schauen sich also an, welche Gene in einer Zelle tatsächlich aktiv sind und decken so entscheidende Unterschiede auf. Während das Humangenom-Projekt 1990 bis 2003 eine Referenz für alle Gene liefert, ist der Zellatlas des Menschen nun eine Referenz für alle Zellen.

Verstehen, wie etwas funktioniert

Einer von ihnen ist Fabian Theis, Leiter des Computational Health Centers, Direktor des Instituts für Computational Biology bei Helmholtz Munich und Professor an der Technischen Universität München (TUM). „Uns Forscher treibt etwas ganz Zentrales an: Wir wollen verstehen, wie etwas funktioniert“, sagt Theis, „und ein Atlas ist dafür genau das Richtige. Denn man kann sich darin in Ruhe umschauen und Antworten suchen auf Fragen, wie: Welche Entitäten spielen bei den unterschiedlichen Krankheiten eine Rolle?“ Mit dem Atlas ließe sich das Fortschreiten von Krankheiten ebenso verstehen wie die Frage, wie diese Krankheiten künftig verhindert werden können.

Mit dem Human Lung Cell Atlas wurde nun mit der Lunge das erste Organ vollständig kartografiert. Die Datensätze von über 480 Menschen aus nahezu 40 Studien flossen in diesen Einzelzell-Atlas ein. „Man muss sich das so vorstellen: Wenn man mehrere Menschen bittet, eine Karte von einem bestimmten Gebiet zu zeichnen, dann erhält man am Ende auch ein Dokument mit vielen Übereinstimmungen. Ebenso ist das bei unserem Atlas.“ Verwendet wurden für den Atlas vorrangig Daten gesunder Lungen, aber auch Datensätze von mehr als 10 verschiedenen Lungenkrankheiten. Eines der größeren Probleme dabei war die Tatsache, dass unterschiedliche Forschergruppen verschiedene Namen für Zelltypen verwendeten – manchmal wurde auch der gleiche Name für unterschiedliche Zellen verwendet. Grundlagenarbeit war deswegen zunächst eine Standardisierung. „Der Atlas ist ein erster Schritt auf dem Weg zu einer einheitlichen Annotation der menschlichen Lunge, wodurch die Lungenforschung enger zusammenrückt”, sagt Fabian Theis.

Der Lungezellatlas wird Wissenschaftler:innen als zentrale Ressource dienen, Lungenbiologie besser zu verstehen

Das Theis Lab ist bekannt für Leidenschaft und Kompetenz im Bereich der Künstlichen Intelligenz. Dies war es auch, was dem Projekt den Erfolg verschafft hat, denn das Team entwickelte eigens eine Strategie des Machine Learnings, um die Daten effizienter verarbeiten und analysieren zu können. „Ein ganzheitlicher Organ-Atlas benötigt eine Vielzahl an Datensätzen, um die Diversität zwischen Zelltypen und Individuen aufzugreifen”, erklärt Lisa Sikkema vom Institut für Computational Biology, „jedoch stellte uns die Kombination von verschiedenen Datensätzen vor eine große Herausforderung. Wir haben eine Benchmarking-Pipeline entwickelt, um die optimale Methode zur Integration aller Datensätze in den Atlas zu finden. Dabei haben wir auf künstliche Intelligenz gesetzt und Wissen und Daten aus nahezu 40 vorhandenen Lungenstudien kombiniert.“

Der dadurch entstandene Zellatlas wird Wissenschaftler:innen als zentrale Ressource dienen, Lungenbiologie besser zu verstehen. Die Forscher:innen haben den Atlas dafür vollständig öffentlich zugänglich gemacht. Ein Beispiel: Mit seiner Hilfe konnte das Vorhandensein einer Lungenfibrose bei COVID-19 dargelegt und darüber hinaus festgestellt werden, welcher gemeinsame Zellzustand zwischen Lungenfibrose-, COVID-19- und Lungenkrebspatienten zu finden ist. „Wissenschaftler können sich auf der Suche nach Antworten in dem Atlas frei bewegen, sie können zum Beispiel Gemeinsamkeiten bei krankheitsassoziierten Zellen und neue Behandlungsziele entdecken“, erzählt Theis. Der Zellatlas funktioniert wie ein Reiseführer und wird in Zukunft ständig erweitert und verfeinert werden.

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