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Energy Lab

Modellabor für die Energiewende

Labore und Anlagen des Energy Lab 2.0. Bild: KIT

In Karlsruhe, Jülich und Stuttgart arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus drei Helmholtz-Zentren gemeinsam an Technologien für das Energiesystem der Zukunft. Dazu haben sie Europas größte Forschungsinfrastruktur für erneuerbare Energien aufgebaut.

Bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu werden, ist eine Mammutaufgabe. Es reicht nicht, die fossilen Kraftwerke abzuschalten und durch Wind- und Sonnenenergie zu ersetzen. Denn die steht einerseits nicht immer und überall gleichmäßig zur Verfügung. Und andererseits macht der elektrische Strom nur knapp 20 Prozent am deutschen Gesamtenergiebedarf aus. Auch die Sektoren Wärmeversorgung, Verkehr und Industrie müssen umgebaut werden. Doch wie kann das funktionieren? Das wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT), des Forschungszentrums Jülich (FZJ) und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) im Energy Lab herausfinden. „Das Energy Lab ist ein Modellabor, an dem wir verschiedene, sektorgekoppelte Energiesysteme entwerfen, studieren und analysieren können“, sagt Veit Hagenmeyer, der ein zentrales Teilprojekt am KIT-Campus in Karlsruhe leitet. „Gleichzeitig zeigen wir mögliche Pfade auf, die unser Land vom heutigen Energiesystem hin zum zukünftigen gehen kann.“

Dicht gepackte Energie

Damit die Energiewende gelingen kann, stehen die Forscherinnen und Forscher vor einigen Herausforderungen. Eine betrifft das Stromnetz. Das verbindet die Verbraucher heute noch mit wenigen großen, immer verfügbaren Grundlastkraftwerken und schnell zuschaltbaren Kraftwerken, die Verbrauchsspitzen auffangen können. Bei regenerativer Energie sieht das anders aus. Denn Wind und Sonne sind nicht ständig verfügbar – also nicht grundlastfähig. Außerdem sind Solaranlagen und Windräder über die gesamte Republik verteilt – also dezentral. Das funktioniert nicht ohne Speicher und ohne neue Netzarchitektur. Eine andere Herausforderung liegt darin, dass elektrischer Strom nicht für alle Anwendungen das Mittel der Wahl ist. In manchen Fällen ist es deshalb eher realistisch, auf molekulare Energieträger mit einer sehr hohen Energiedichte zurückzugreifen. Für eine nachhaltige Energieversorgung sollen diese natürlich aus regenerativem Strom erzeugt werden. Die technischen Verfahren dazu nennt man Power-to-X.

Power-to-Gas Methanisierungsanlage. Bild: KIT

Um die beiden großen Herausforderungen zu meistern, gliedert sich das Energy Lab in zwei große Hauptstränge – den molekularen, also „chemischen“, und den elektrischen Teil. „Der molekulare Teil umfasst alles, was Power-to-X betrifft“, sagt Roland Dittmeyer. Er leitet das Energy Lab und ist Experte für chemische Prozesse. „Unter Power-to-X werden Techniken zusammengefasst, die elektrischen Strom nutzen um energiearme Stoffe wie zum Beispiel Wasser und Kohlendioxid in energiereiche chemische Verbindungen umzuwandeln.“ In Wasserstoff zum Beispiel, oder in Methan, oder auch in synthetische Kraftstoffe, die e-Fuels. Denn solche Moleküle haben eine sehr viel höhere Energiedichte als die fortschrittlichsten Batterien. So stecken in einem Kilogramm Kerosin, Diesel oder Benzin rund 46 Megajoule; in einem gleichschweren Lithium-Ionen-Akku etwa 0,6 Megajoule. Davon könnten nicht nur Luft- oder Schwerlastverkehr profitieren, sondern auch die saisonale Großspeicherung von elektrischer Energie. „Wenn viele Terawattstunden über Wochen oder Monate gespeichert werden sollen, wird das vermutlich auch nur in Molekülen machbar sein“, glaubt Roland Dittmeyer.

Im Rahmen des von der Bundesregierung initiierten Kopernikus-Projekts Power-to-X (P2X) haben er und sein Team zum Beispiel untersucht, auf welchem Wege sich nachhaltiger synthetischer Treibstoff herstellen ließe. Das Rezept dafür klingt einfach: Man nehme regenerativ erzeugten Strom. Filtere damit das Kohlendioxid aus der Luft heraus, leite es zusammen mit Wasserdampf durch einen ebenfalls strombetriebenen Elektrolyseapparat und wandle das entstehende Synthesegas in flüssige Kohlenwasserstoffe um. Diese arbeite man anschließend zu Kerosin, Benzin oder Diesel auf und könne sie schlussendlich in den Tank oder den Speicher füllen. „Die Umsetzung hingegen ist ein Kraftakt, der eine enge Zusammenarbeit zwischen Forschung und Industrie erfordert“, sagt er. Bei P2X sah sie so aus: Das Schweizer Unternehmen Climeworks entwickelt Filtersysteme, mit denen sich das CO2 aus der Luft holen lässt. Direct Air Capture nennt sich diese Technologie. Das Dresdner Cleantech-Startup Sunfire ist auf Elektrolyseure spezialisiert und übernimmt den Teil, bei dem aus CO2 und Wasserdampf ein Synthesegas entsteht. Ineratec, eine Ausgründung des KIT, nutzt das Fischer-Tropsch-Verfahren, um die kurzen Moleküle des Synthesegases zu langen Ketten zusammenzusetzen. Das Ergebnis sind die flüssigen Kohlenwasserstoffe. „Diese nutzen wir am Institut für Mikroverfahrenstechnik des KIT im letzten Schritt und verwandeln sie in synthetischen Kraftstoff“, erzählt Roland Dittmeyer.

Dass dieser Pfad gangbar ist, haben die Forscherinnen und Forscher bereits bewiesen. Ihr Prototyp schafft es, 10 Liter synthetischen Treibstoff pro Tag zu liefern. Am Energy Lab läuft bereits die nächste Phase des Projektes. In dieser soll die Anlage einerseits wachsen und damit mehr synthetischen Kraftstoff herstellen. Andererseits feilen alle Beteiligten an ihren Prozessen, um die Effizienz des gesamten Systems weiter zu erhöhen und damit möglichst viel vom regenerativ erzeugten Strom in lange lagerfähige Kraftstoffe mit hoher Energiedichte umzuwandeln.

Netz der Zukunft auf dem Reißbrett

Im elektrischen Teil des Energy Lab hingegen suchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach neuen Wegen, Strom zu erzeugen, zu speichern und zu verteilen. „Wir forschen zum Beispiel intensiv an Technologien für die Leitwarten der Zukunft“, sagt Veit Hagenmeyer, der mit seinem Institut für Angewandte Informatik in diesem informationsgetriebenen Bereich zu Hause ist. Außerdem simulieren die Forscherinnen und Forscher die Energieverteilnetze. „Das können wir in Echtzeit und in verschiedensten Granularitäten – also vom Hausnetz über Stadtviertel, Städte und Regionen bis hin zu ganz Europa.“ Dazu haben sie verschiedene Netzmodelle erarbeitet, die zum Beispiel im Falle der EU mit aktuellen Daten des Verbands Europäischer Übertragungsnetzbetreiber (ENTSO-E) gespeist werden. In ihren Laboren können die Teams dann unterschiedliche Fragestellungen am Computer durchrechnen lassen. Was passiert, wenn die Hälfte der französischen Kernkraftwerke abgeschaltet werden? Wie wirkt sich eine Dunkelflaute an der Nordsee auf die Energieversorgung in München aus oder wie viel grünen Wasserstoff muss Deutschland importieren, um bestimmte Industriebereiche nachhaltig zu machen? Die Antworten darauf sind einige der vielen Puzzleteile, aus denen Stück für Stück das Gesamtbild eines nachhaltigen und klimaneutralen Energiesystems der Zukunft wird.

Power Hardware in the Loop Labor. Bild: KIT

Wenn solche Computersimulationen aber auf Daten aus realen Netzen basieren, warum benötigt das Energy Lab all die ganzen Geräte vom 1 Megawatt Solarfeld über den 1 Megawattstunden Lithium-Ionenspeicher bis hin zu den Musterhäusern auf dem Living Lab Energy Campus und den Elektroautos vor deren Einfahrt? „Da das Gesamtsystem aus Einzelkomponenten besteht, muss man diese sehr gut kennen“, sagt Veit Hagenmeyer. „Und da hilft es nicht, einfach nur Messdaten zu erhalten oder in die Literatur zu schauen. Da müssen wir direkt mit den Komponenten arbeiten können und verschiedene Parameter testen.“ Der komplette Campus Nord in Karlsruhe ist deshalb als präziser digitaler Zwilling in einer Power Hardware in the Loop – Umgebung nachgebaut. Das heißt, die Forscherinnen und Forscher haben ein digital simuliertes Abbild des Campusnetzes geschaffen. In ihren Laboren können sie dann testen, wie sich zum Beispiel neuartige Speichersysteme oder supraleitende Verteilungssysteme auf das Netz auswirken würden. „Im Energy Lab forschen wir aber nicht nur an neuen Technologien oder simulieren die Netze der Zukunft“, sagt Veit Hagenmeyer. „Wir sind auch stark im Bereich der Cybersecurity mit dem am KIT beheimateten Kompetenzzentrum für Angewandte Sicherheitstechnologie KASTEL aktiv. Denn je weiter Digitalisierung und Vernetzung voranschreiten, umso wichtiger werden Sicherheitsaspekte.“

Kurzfristige Umwälzungen im Blick

Das große Ziel der Forscherinnen und Forscher ist es, den Konflikt zwischen ökologischer Verträglichkeit, Bezahlbarkeit und Versorgungssicherheit für das Energiesystem der Zukunft zu lösen. Energie-Trilemma nennt sich die Herausforderung, Ökonomie, Ökologie und Versorgungssicherheit unter einen Hut zu bekommen. Dabei setzen sie sich mit Szenarien wie einer Dunkelflaute auseinander – der Zeit also, in der weder die Sonne scheint noch der Wind weht. Und sie betrachten, wie das Energienetz der Zukunft geknüpft sein muss, um statt von den heute noch üblichen wenigen Großkraftwerken bald von vielen kleinen dezentralen Energieerzeugern versorgt zu werden. Das alles sind Planspiele, auf deren Basis politische Entscheider die Weichen für unser zukünftiges Energiesystem stellen.

Doch was ist mit kurzfristigen Einflüssen, die unser Energiesystem ins Wanken bringen können – wie der Krieg in der Ukraine und der damit verbundene Wegfall des russischen Erdgases als Brückentechnologie? „Tatsächlich sind unsere Forschungen eher mittel- bis langfristig ausgerichtet“, sagt Veit Hagenmeyer. „Um die Lücke zu schließen und auch auf kurzfristige Änderungen der Rahmenbedingungen reagieren zu können, haben wir RESUR ins Leben gerufen.“ Das steht für Helmholtz-Plattform zum Design robuster Energiesysteme und Rohstoffversorgung und ist eines der vier Helmholtz-Zeitenwende-Projekte, die im September 2022 gestartet sind. Die Energy Lab Projektpartner KIT, FZJ und DLR arbeiten auch hier eng zusammen, um in Zukunft auch für solche Ereignisse eine wissenschaftliche Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen.

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