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Standpunkt

Mit zweifelhaften Klima-Kompromissen verspielen wir unsere Zukunft

Hans-Otto Pörtner, Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, und Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II (Klimafolgen, Anpassung und Verwundbarkeit) im 6. Begutachtungszeitraum (2015-2023). Bild: Kerstin Rolfes

Am 30. November begann die Weltklimakonferenz in Dubai. Ein Kommentar von Hans-Otto-Pörtner zur nationalen und internationalen Klimapolitik.

Waldbrände in Kanada, rund ums Mittelmeer und auf Hawaii, Überschwemmungen in China, den USA und Japan, Hitzerekorde und Korallensterben vielerorts und dazu noch Regen statt Winterschnee in den Anden: Die vielen Extremereignisse dieses Jahres unterstreichen die Auswirkungen des Klimawandels und die Dringlichkeit, ihn endlich zu mindern und Mensch und Natur wirksam zu schützen. Seit Jahrzehnten werden allerdings ambitionierte und wirksame Klimaschutzmaßnahmen hinausgezögert. Die Politik geht auf nationaler und internationaler Ebene zweifelhafte Kompromisse ein; die erforderliche Transformation aller gesellschaftlichen Systeme läuft nur schleppend an. Vielen Verantwortlichen scheint die Einsicht zu fehlen, dass ambitionierter Klimaschutz vor allem bedeutet, die Treibhausgasemissionen rechtzeitig, d.h. ohne Verzögerung und mit hohem Tempo zu reduzieren. Natur und Klima machen keine Kompromisse. Etliche Veränderungen und Schäden sind bereits jetzt nicht wieder rückgängig zu machen.

Wertvolle Zeit kosten die Debatten zur Technologieoffenheit. Es ist richtig, Technologiepfade nicht zu früh und nicht ganz zu verschließen. Wenn sich aber eine Technik durchgesetzt hat – und das ist aktuell beim E-Auto aufgrund seiner Energieeffizienz der Fall - dann wird erzwungene Technologieoffenheit den Klimaschutz verzögern. Auch die für COP28 erneut diskutierte Abscheidung und unterirdische Speicherung von CO2 stellt keinen Königsweg aus der Krise dar. Sie kann helfen, bereits verlorene Zeit für den Klimaschutz aufzuholen, ersetzt aber keinesfalls den schnellstmöglichen Verzicht auf fossile Brennstoffe. Nur so können zügig und wirksam jene Emissionsreduktionen erreichen werden, die die Klimaziele in Reichweite halten. Dabei gehen uns durch den Klimawandel bereits heute zunehmend Handlungsoptionen verloren, um uns anzupassen und auch wirtschaftliche Schäden zu mindern. Jetzt erst richtig loszulegen, bedeutet daher, dass die Maßnahmen schneller greifen müssen und vielleicht auch teurer und unbequemer werden.

In den zurückliegenden 150 Jahren des Industriezeitalters hat die Menschheit viel erreicht. Aber wir haben auch Fehler gemacht. Diese müssen wir jetzt korrigieren, wenn wir unsere Lebensgrundlagen erhalten wollen. Allerdings wollen gerade konservative Politiker:innen diese großen Zusammenhänge nicht sehen. Sie scheuen die Schwierigkeiten und ziehen es oft vor, so weiterzumachen wie bisher. Es scheint auch, dass Politik in ihren Kompromissen wissenschaftliche Erkenntnisse nicht genügend berücksichtigt und es sich gestattet, natur-gesetzmäßige Zusammenhänge beliebig zu ignorieren, mit den heute spürbaren Konsequenzen.

Ein Beispiel dafür ist die Reform des Klimaschutzgesetzes. Wir haben eine grundlegende Entscheidung des Verfassungsgerichts, der zufolge es beim Klimaschutz nicht nur um die Interessen jetziger Generationen geht, sondern auch um die Interessen künftiger Generationen. Es ist ein hohes Verfassungsgut, den nächsten Generationen dieselben Freiheitsgrade zu sichern, die wir heute noch haben. Was das genau heißt, darüber lässt sich streiten, aber de facto bedeutet es, dass wir den nächsten Generationen ein Weltklima hinterlassen müssen, in dem es sich mit hoher Qualität leben lässt. Dieses Gebot unterminieren wir derzeit. Um es ganz klar zu formulieren: Es ist in meinen Augen verfassungswidrig, sollte das revidierte Klimaschutzgesetz durch verwässerte Maßnahmen dazu führen, dass wir die Klimaziele nicht einhalten.

Wir haben keine Spielräume mehr! Wirksamer Klimaschutz ist für uns alle von existentieller Bedeutung. Wir steuern aktuell auf eine Welt zu, die um 2,7 bis 3,2 Grad wärmer sein wird. Was das bedeutet, scheinen Entscheidungstragende von heute nicht genügend zu verstehen oder nicht einhundertprozentig ernst zu nehmen. Unser „Sommer der Extreme“, wie die WMO den Juni und Juli 2023 nannte, war da nur ein kleiner Vorgeschmack. 

Wir müssen um jedes Zehntelgrad Celsius weniger Erwärmung kämpfen. Und wenn sich das bald jenseits von 1,5 oder auch irgendwann vielleicht jenseits von 2 Grad Erwärmung abspielt, dann müssen wir trotzdem weiterkämpfen, um noch mehr Schäden und Leiden zu verhindern. Es wird dann nur viel schwieriger, als es sich heute darstellt, oder auch in Teilen unmöglich. Klimaschutz ist letztlich von existentieller Bedeutung für Mensch und Natur und deshalb alternativlos.

Hans-Otto Pörtner ist Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, und Ko-Vorsitzender der IPCC-Arbeitsgruppe II (Klimafolgen, Anpassung und Verwundbarkeit) im 6. Begutachtungszeitraum (2015-2023).

Übersichtsseite der Helmholtz-Klimainitiative zur Weltklimakonferenz in Dubai

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