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Die Landkarte im Kopf

Medizin-Nobelpreis geht an drei Neurowissenschaftler

Ob Ratte oder Mensch, das innere Navigationssystem scheint nach den gleichen Prinzipien zu funktionieren. Illustration: Matthias Karlen

Der Amerikaner John O'Keefe sowie die Norweger May-Britt Moser und Edvard Moser haben Zellen entdeckt, die das Navigationssystem des Gehirns bilden. Dafür haben sie nun den Nobelpreis bekommen

Woher wissen wir, wo wir gerade sind? Wie finden wir den Weg von einem Ort zum anderen? Und wie können wir uns Wege merken? Eine Art inneres GPS-System macht es möglich. Die drei Neurowissenschaftler John O’Keefe und das norwegische Ehepaar May-Britt Moser und Edvard Moser haben die hierfür verantwortlichen Gehirnzellen erforscht. Für ihre Entdeckungen haben sie den diesjährigen Nobelpreis für Medizin erhalten. „Die Erkenntnis, dass eine Karte im Gehirn gespeichert und abgerufen werden kann, revolutionierte unser Verständnis von räumlicher Gedächtnisbildung“, betont Stefan Remy vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn.

John O'Keefe, Professor am University College London, erforschte die Rolle des Gehirnteils Hippocampus für die räumliche Orientierung. Bereits 1971 fand er heraus, dass sich Ratten mithilfe von Nervenzellen im Hippocampus orientieren. Wenn sich die Ratten an einer bestimmten Stelle eines Raums befanden, war ein Teil der sogenannten Ortszellen im Hippocampus aktiv. Sobald sie die Position im Raum wechselten, waren andere Zellen aktiv. Der Neurowissenschaftler kam zum Schluss, dass die Zellen im Hippocampus durch ihre Aktivität eine Vielzahl an Karten verschiedener Räume „zeichnen“.

Mehr als drei Jahrzehnte später entschlüsselten May-Britt Moser und Edvard Moser von der Universität Trondheim eine weitere Komponente des Orientierungssystems im Gehirn von Ratten. 2005 entdeckten sie die Rasterzellen im sogenannten entorhinalen Kortex, ein Hirnareal, das sich in der Nähe des Hippocampus befindet. Die Rasterzellen funktionieren wie ein Koordinatensystem und ermöglichen die Positionsbestimmung im Raum. Diese Zellen spielen eine entscheidende Rolle bei der Planung von Wegen und bei der Erinnerung an bereits zurückgelegte Wege. Zusammen mit anderen Zellen des entorhinalen Kortex im Gehirn der Ratten, die die Position des Kopfes und die Grenzen des Raumes bestimmen sowie im Zusammenspiel mit den Ortszellen des Hippocampus verfügen die Tiere über ein umfangreiches Navigationssystem. 

Wissenschaftler gehen davon aus, dass Menschen bei der Orientierung ein vergleichbares System nutzen: „Das menschliche Gehirn und das Hirn eines Nagetieres unterscheiden sich in dieser Hinsicht nicht grundlegend“, sagt Stefan Remy vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Bonn. Die Forschungsleistung der drei Nobelpreisträger ist daher auch für das Verständnis von vielen neurodegenerativen Krankheiten wie Alzheimer von großer Bedeutung. „Bei der Demenz vom Alzheimer-Typ, sind die beschriebenen Hirnregionen schon früh im Krankheitsprozess gestört“, erklärt der Neurowissenschaftler vom DZNE. „Es wird eine wichtige Aufgabe der zukünftigen Wissenschaft sein zu erkennen, welche Krankheitsprozesse die Funktion des Orientierungssystems beeinflussen und Wege zu finden, die spezialisierten Funktionen der Nervenzellen bei Demenzerkrankungen länger zu erhalten und therapeutisch zu verbessern“.

Hintergrundinformationen des Nobelpreis-Komitees

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