Kommentar
Marschieren für die Wissenschaft 2018
Mitte April haben Wissenschaftler erneut öffentlich auf sich aufmerksam gemacht – mit einem zweiten March for Science. Mittlerweile zeigt sich: Gegen Populismus hilft am besten, Politik und Gemeinwesen für die Bedeutung des Wissenstransfers in die Gesellschaft zu sensibilisieren. Ein Kommentar von Franz Ossing
In der sofort einsetzenden Diskussion um den March for Science im vergangenen Jahr war zu hören, dass die Wissenschaft deshalb auf die Straße gehe, weil sie befürchte, „Pfründe“, „Ansehen“ und „Glaubwürdigkeit“ zu verlieren – einschlägige Zitate lassen sich quer durch traditionelle wie neue Medien schnell ergoogeln. Genau betrachtet, waren diese vorlauten Bemerkungen allerdings eher feuilletonistisch und weniger empirisch belegt. Die Vorwürfe gingen einher mit der Behauptung, dass die Wissenschaftskommunikation versagt und die Wissenschaft sowieso keine Lust zum Kommunizieren habe.
Das alles ist, gerade in Deutschland, schon recht erstaunlich. Denn wer ein wenig in die Landschaft schaut, kann eine enorme Vielfalt an Wissenschaftskommunikation mit einer Vielzahl von Akteuren feststellen – von der Öffentlichkeitsarbeit der Forschungseinrichtungen über den Wissenschaftsjournalismus bis hin zu Science-Centern und Aktivitäten von Städten. Nach mittlerweile 19 Jahren kann man feststellen: Die PUSH-Initiative zur Wissenschaftskommunikation von 1999 hat durchaus etwas bewegt, es besteht aber Innovationsbedarf. Das, unter anderem, zeigt die aktuelle Diskussion um die Wissenschaftskommunikation in Deutschland, die schon vor dem March for Science begann, aber dadurch befeuert wurde.
Rund 60 Prozent der Teilnehmenden des March for Science aus dem Vorjahr stammten aus der Wissenschaft. Das heißt ja, dass die Wissenschaft selbst sich zu Wort meldet. Warum tut sie das? Weil ihre Ergebnisse durch populistisches Getöse entwertet werden. Sicher, Impfgegner und Klimaskeptiker gab es auch vorher, aber jetzt haben diese die digitalen Mittel zur Hand, um sich lautstark zu Wort zu melden. So steht nachprüfbares, wissenschaftlich erworbenes Wissen scheinbar gleichberechtigt neben dubiosen Abhandlungen zu Chemtrails und Homöopathie. Das macht die Wissenschaft zu Recht nervös.
Das beste Mittel dagegen ist, der Gesellschaft bewusst zu machen, wie sehr sie von Wissenschaft durchdrungen ist. Der Forschung verdanken wir, dass es wirksame Medikamente gibt, dass der Rettungswagen mit GPS punktgenau ankommt und dass der Strom trotz magnetischen Sonnensturms gleichmäßig aus der Steckdose kommt – aber weiß die Bevölkerung das? Hier hat die Wissenschaft tatsächlich kommunikativen Nachholbedarf: Unser Gemeinwesen lebt letztlich von Forschung und Wissenschaft, aber die tagtägliche Beratungs- oder Dienstleistung für Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, die Entwicklung innovativer Verfahren, kurzum, der Wissenstransfer in die Gesellschaft ist dem Publikum nicht unbedingt bekannt.
Das ist auch systembedingt: Wenn bei Evaluationen der Forschungseinrichtungen und bei der Formulierung von Stellenausschreibungen die wissenschaftliche Exzellenz nur anhand von Publikationindizes gemessen und der Wissenstransfer als quasi selbstverständlich behandelt wird, ist das für die Forschenden kaum ein Anreiz zum Engagement. Das hat der Wissenschaftsrat mittlerweile erkannt und fordert die Forschungseinrichtungen auf, sich für Evaluationen Kriterien zur Bewertung des Wissenstransfers einfallen zu lassen. Die Berliner Initiative des diesjährigen March for Science zog die Konsequenz, nicht erneut eine Demo anzumelden, sondern mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Kneipen und Cafés zu gehen und dort in einem neuen Format, den Kieznerds, den direkten Austausch zwischen Bürgern und Forschenden zu vermitteln. Das hat zunächst weniger Reichweite, wirkt aber nachhaltiger.
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