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Hochwasser-Bilanz

Macht euch ehrlich!

Bild: UFZ/André Künzelmann

Die Helmholtz-Hochwasserforscher Christian Kuhlicke und Volker Meyer ziehen einen Monat nach dem Hochwasser Bilanz und fordern mehr Transparenz von der Politik. Ein Essay

Die öffentliche Bestürzung war groß nach den Überschwemmungen der vergangenen Wochen. Von der zweiten Jahrhundertflut nach 2002 war die Rede. Auch manche Krokodilsträne wurde geweint. Wer hätte auch mit so etwas rechnen können! 

Von wegen. Es ist Zeit, dass wir uns ehrlich machen. Es gibt keinen umfassenden Hochwasserschutz und kann ihn nicht geben. Wir können nicht alle Menschen gleichermaßen vor den Folgen von Überschwemmungen bewahren, sondern wir müssen Prioritäten setzen. In Wirklichkeit tut die Politik das längst. Öffentlich jedoch spinnt sie weiter an der Legende, gleichen Schutz für alle bieten zu können, wären da nur nicht all die Bürgerinitiativen, Naturschützer oder Landwirte, die ständig auf die Bremse treten. Mit solchen Argumenten werden nicht nur die Bürger für dumm verkauft, verhindert wird auch die dringend nötige gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir uns wirklich wirksam auf die nächste Flut vorbereiten können. 

Keine Frage: Es hat sich einiges getan seit dem Hochwasser von 2002. Die Kommunikation zwischen Behörden, Rettungsorganisationen und Anwohnern läuft heute viel besser, was vor allem dem Ausbau der Informationskanäle und des Internets zu verdanken ist. Auch der nach 2002 aufgestellte, ambitionierte Aktionsplan der Bundesregierung hat geholfen. Er fasst zahlreiche Maßnahmen zur „Verbesserung des vorbeugenden Hochwasserschutzes“ in einem 5-Punkte-Programm zusammen. Die Punkte zielen vor allem darauf ab, den Flüssen ihren natürlichen Verlauf zurückzugeben,  Auen zu erhalten oder zurückzugewinnen. Die Richtung stimmt: Wir müssen grundsätzlich darüber diskutieren, wofür welche flussnahen Flächen genutzt werden dürfen und wofür nicht. Wir müssen hinterfragen, wo was gebaut werden darf und was nicht.

Das Problem: Kurzfristig helfen solche, nennen wir sie ruhig: nachhaltigen Hochwasserschutzmaßen – so unverzichtbar sie sein mögen! – nicht. Und selbst in einigen Jahrzehnten, wenn sie voll greifen, werden sie die Hochwasserscheitel maximal um einige Zentimeter bis Dezimeter reduzieren können. Hochwasser verhindern werden sie nicht.;

Und genau bei dieser ernüchternden Erkenntnis kommt sie ins Spiel, die große Illusion. Abseits der schönen 5-Punkte-Rhetorik haben Bund, Länder und Gemeinden im vergangenen Jahrzehnt nämlich doch wieder vor allem in die Optimierung konventioneller Schutzmaßnahmen investiert: ¬Deiche wurden erneuert, hohe  Mauern noch höher gezogen. Genau das ist die Logik des „Wir können alle schützen“. Der Bevölkerung wurde durch rege Bautätigkeit allerorten in den vergangenen Jahren eine Sicherheit vorgegaukelt, die es nie gegeben hat. Flüsse kennen keine Grenzen, Wasser sucht sich seinen Weg, und genau das ist vor wenigen Wochen wieder passiert. Indem die einen durch immer höhere Mauern und Deiche geschützt werden, saufen die anderen ab. Bestenfalls erwischt es nicht wieder genau dieselben, sondern zur Abwechslung mal den Nachbarn.

Gleichzeitig wurden eben nicht überall auf gleichem Niveau geschützt. Es wurde zeitlich priorisiert. Vor allem wurde dort investiert und erneuert, wo der drohende Schaden am höchsten ist. Daher sind Städte wie Leipzig oder Dresden logischerweise viel besser geschützt als die Kleinstadt mit 2000 Einwohnern. Nur sagt das offen keiner. Lieber werden hinterher Krokodilstränen geweint, als vorher Klartext zu reden.

Klartext wäre: Der Schutz dicht besiedelter Regionen ist zwar vielleicht nicht moralisch wichtiger, aber er ist wirtschaftlicher als der Schutz der Randgebiete. Solange Gelder und Ressourcen begrenzt sind, muss die Politik erklären, warum sie es für richtig hält, das Eigentum der einen besser zu schützen als das Eigentum anderer. Sie muss aufzeigen, wie sie Prioritäten setzen kann und bereits setzt. Sie sollte sich dabei von der Wissenschaft beraten lassen und die Diskussion mit den Bürgern über die Folgen offen führen.

Kurzum: Es ist ein Gebot der Ehrlichkeit, dass die Politik künftig die ganze Gesellschaft bei ihrer längst stattfindenden Risikoabwägung mit in die Verantwortung nimmt. Den Bürgern, deren Eigentum nicht im gleichen Maße geschützt werden kann, muss das vorher gesagt werden. Mehr als das. Ihnen muss das klare Versprechen gemacht werden: Wenn etwas passiert, steht ihr nicht alleine da. Wir beraten euch, wir helfen euch dabei, eure Häuser so umzubauen, dass es bei einer Überflutung nicht zum maximalen Schaden kommt. Und wenn das Äußerste doch passiert, dann steht die Gesellschaft an Eurer Seite. Nicht aus der vielbeschworenen, gutmenschelnden Solidarität heraus, sondern als Teil einer Abmachung auf Augenhöhe, eine Abmachung im Sinne einer vernünftigen Risiko- und Pflichtenverteilung, die VOR der nächsten Überschwemmung getroffen wird. So würde sich die Politik, so würden wir alle uns ehrlich machen.

Darum fordern wir nicht nur Ehrlichkeit, wir fordern auch Konsequenzen: Wir brauchen eine Förderung privater Bauvorsorge. Dies gilt vor allem dort, wo nun nach dem Hochwasser wiederaufgebaut und saniert wird, aber auch dort,  wo künftig in hochwassergefährdeten Gebieten gebaut wird. Es muss so gebaut und. saniert werden, dass Gebäude durch Hochwasser nicht wesentlich geschädigt werden. Warum gibt es bis heute keine Planungsgrundsätze zum hochwasserangepassten Bauen und Sanieren, an die sich Bauherren zu halten haben? Warum wird solch Bauweise gerade in wenig oder nicht geschützten Bereich nicht öffentlich gefördert?

Wir brauchen eine vorsorgende Versicherungspflicht in Deutschland für Naturkatastrophen. Individuelle Versicherungen für Betroffene in Risikogebieten für Erdbeben und Hochwasser sind in Deutschland gerade in Hochrisikogebieten nicht verfügbar oder sehr teuer. Sie sind aber auch ungerecht, wenn man berücksichtigt, dass der staatlich finanzierte Hochwasserschutz ungleich verteilt ist. Es sind insbesondere jene auf eine Versicherung angewiesen, die nicht in den Genuss staatlichen Schutzes kommen. Gerade in diesen weniger oder gar nicht geschützten Räumen sind aber die Prämien umso höher. Darum müssen die Folgekosten von Naturkatastrophen auf alle solidarisch verteilt werden, unabhängig von der direkten Betroffenheit. Eine solidarische Pflichtversicherung für alle könnte eine umfangreiche Entschädigung gewährleisten, so dass nicht nur die Opfer großer, medienwirksamer Hochwasser abgesichert wären. Über Prämiennachlässe könnte zudem ein Anreiz für die private Vorsorge gesetzt werden.

Gut möglich, dass ein solcher Vorschlag zum Aufschrei bei all jenen führt, die glücklicherweise nie von Hochwasser und anderen Katastrophen betroffen sein werden – und das auch genau wissen. Ihnen kann man nur sagen: Soforthilfen in Höhe von acht Milliarden Euro pro Jahr müssen auch von irgendwem bezahlt werden. Und zwar ebenfalls von ihnen. Den Steuerzahlern. Zudem könnten über eine Versicherungspflicht weitere Elementarschäden, wie Starkregen, Hagel oder Erbeben mit abgedeckt werden, von denen in Summe alle betroffen sein können.

Es macht eben doch einen Unterschied, ob wir hinterher die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und in demonstrativem Aktionismus Nothilfefonds einrichten – oder ob wir jetzt ehrlich über Risiken und Prioritäten reden und als Gesellschaft gemeinsam die Schlüsse daraus ziehen. Nachvollziehbar, offen und ehrlich. Politik, Bürger, Unternehmen, Länder, Kommunen sollten gemeinsam Verantwortung übernehmen, über Landesgrenzen hinweg, auch international. Hochwasser ist schließlich kein deutsches Phänomen. Wann und wo so soll das geschehen? Ein Ansatzpunkt ist bereits durch EU-Recht gesetzt. Die EU-Hochwasserrichtlinie verlangt die Erstellung von Risikomanagementplänen für jedes Flussgebiet. Hier sollten „interessierte Stellen“, also nicht zuletzt die Bürger, aktiv miteinbezogen werden. Eine echte Chance also für eine ehrliche Debatte über Vorsorge jenseits des „gleichen Schutzes für alle“. Eile ist geboten. Bis zur nächsten „Jahrhundertflut“ vergehen womöglich nur ein paar Jahre. Ob dann die spontane Solidarität wieder reichen wird, um den Schaden vieler zu lindern, darauf verlassen sollten wir uns nicht.

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