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Autoimmunerkrankungen

Knuts Vermächtnis

Der Eisbär Knut in jungen Jahren. Bild: Jens Koßmagk / Wikipedia (CC BY-SA 2.0 de)

Seit einigen Jahren werden immer mehr seltene Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems entdeckt. Viele davon ließen sich gut behandeln - würden sie rechtzeitig diagnostiziert. Ausgerechnet der Tod des Eisbären Knut könnte nun helfen, die Wachsamkeit gegenüber den Leiden zu schärfen.

Wenn das Eigene nicht als Eigenes, sondern als Fremdes erkannt wird - dann hat der Körper ein Problem. Das ist der Fall bei sogenannten Autoimmunerkrankungen wie Rheuamtoide Arthritis und Diabetes Mellitus Typ I, unter denen Millionen Deutsche leiden. Ein derartiges Fehlverhalten des Immunsystems gibt es aber nicht nur in den Gelenken und in Organen wie der Bauchspeicheldrüse, sondern auch im Gehirn. Die häufigste Autoimmunkrankheit hier ist die Multiple Sklerose (MS), in Deutschland sind mehr als 100.000 Menschen erkrankt.

Bei der Behandlung von MS hat die Medizin in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht. "Vor ein paar Jahrzehnten saß ein MS-Patient nach einiger Zeit noch im Rollstuhl, das lässt sich inzwischen weitestgehend verhindern", sagt Harald Prüß, Forscher am Berliner Standort des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Facharzt an der Klinik für Neurologie der Charité. Alle paar Jahre werde ein neues Medikament zugelassen, das mindestens genauso gut wirkt wie die Vorgängerpräparate. 

Der Grund für die Serie von Erfolgen ist ein Konzept namens Autoimmuntherapie. "Weil die körpereigene Attacke bei Multipler Sklerose sich ganz gezielt gegen bestimmte Zellen im Nervensystem richten, bieten sie auch ideale Anknüpfpunkte für besonders spezifische Medikamente", sagt Prüß. Auch wenn eine vollkommene Heilung von Multipler Sklerose bislang noch unmöglich erscheint, so hat sich das Leben für etliche MS-Patienten inzwischen fast normalisiert.

Anders ist es bei seltenen Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems, die durch spezifische körpereigene Antikörper verursacht werden. Hier bahnt sich gerade ein Dilemma an. "Fast jährlich wird derzeit ein solches neues Leiden entdeckt", sagt Prüß. Das Problem ist nur: Selbst für Neurologen in der Praxis ist es kaum möglich, mit der rasanten Entwicklung Schritt zu halten. Bis die neuesten Erkenntnisse die Mehrheit der praktizierenden Ärzte erreichen, vergeht oft viel Zeit. Außerdem sind die neuen Erkrankungen nun einmal so selten, dass die Mehrheit der Neurologen statistisch betrachtet niemals eine zu Gesicht bekommt. 

Besonders dramatisch ist: "Die Erkrankten werden wegen der Symptome nicht selten in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen, weil nicht systematisch nach den Antikörpern gesucht wird, die Kennzeichen für seltenen Erkrankungen sind", so Prüß. Die Diagnose folgt dann erst mit einiger Verzögerung. Dabei könnten auch diese Patienten gut behandelt werden, wenn sie denn in einem frühen Stadium erfolgt.

Dass vor wenigen Tagen auch bei dem weltberühmten Eisbär Knut als Todesursache eine solche seltene Autoimmunerkrankung diagnostiziert wurde, hat weltweit für Aufsehen gesorgt. Knut war bereits 2011 gestorben, weil er während eines epileptischen Anfalls in ein Wasserbecken gefallen war. Die Nachricht, dass dies auf eine Autoimmunerkrankung des Gehirns zurückzuführen ist, macht zur Zeit die Runde durch alle Medien, von Boulevardzeitungen bis hin zu Fachmagazinen wurde das seltene Leiden namens Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis genannt. So hat die kuriose Aufmerksamkeit, die der Berliner Eisbär auch nach seinem Tod noch erfährt, einen sehr positiven Nebeneffekt: Fachkreisen und Gesellschaft wissen nun mehr über die seltenen Autoimmunerkrankungen des zentralen Nervensystems.

Rätsel um Eisbär Knuts Erkrankung gelöst" (Pressemitteilung des DZNE)

Infoblatt zur Anti-NMDA-Rezeptor-Enzephalitis

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